Thiäner, Frank, Das Verhältnis von Aufsichtsrat und Abschlussprüfern in der rechtshistorischen Entwicklung bis 1937 (= Rechtshistorische Reihe 352). Lang, Frankfurt am Main 2007. 214 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Das Werk von Thiäner, eine unter Gerhard Köbler entstandene Dissertation, untersucht die Frage, wie sich der Überwachungsdualismus von Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft und Abschlussprüfern entwickelt hat und wie dieser ausgestaltet ist. Im ersten Teil behandelt Thiäner die Entwicklung der Aktiengesellschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Gesichtspunkt, wie die „dreigliedrige Unternehmensverfassung aus Vorstand, Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat und Hauptversammlung entstand und welche Rolle dem Verwaltungsrat bei der Überwachung der Geschäftsführung zukam“ (S. 22). War der Verwaltungsrat in der Praxis grundsätzlich das oberste Organ der Aktiengesellschaft, so änderte daran auch nichts die vom Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 verfügte Umbenennung des Verwaltungsrats in „Aufsichtsrat“. Dieser war nicht nur ein „falsch bezeichnetes Mitverwaltungsorgan, sondern er war weiterhin das dominierende Leitungsorgan der Aktiengesellschaft“ (S. 59). Mit der Aktienrechtsnovelle von 1870 (hierzu auch W. Schubert, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1981, S. 285ff.) wurde der Aufsichtsrat für alle neu gegründeten Aktiengesellschaften obligatorisch (S. 60ff.). Auch die Aktienrechtsnovelle von 1884 (hierzu die Quellen bei W. Schubert/P. Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht. Eine Sammlung von Texten und Quellen zur Aktienrechtsreform 1884, Berlin 1985) und das Handelsgesetzbuch von 1897 änderten nichts daran, dass der Aufsichtsrat weiterhin an der Verwaltung der Gesellschaft sollte teilnehmen können. Bereits nach dem ADHGB (Art. 225 Abs. 2) hatte der Aufsichtsrat die Pflicht, die Rechnungslegung zu prüfen, eine Regelung, an der die Novellen von 1870 und 1884 sowie das HGB von 1897 festhielten. Zusätzlich hatten die Aktionäre die Möglichkeit, durch die Generalversammlung die Rechnungslegung auch einer Revisionskommission oder anderen Revisoren zu übertragen.

 

Im zweiten Teil behandelt Thiäner die Diskussion über den Aufsichtsrat und die Einführung der Pflichtprüfung ab Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit Recht widmet er der späten Kaiserzeit breiten Raum (S. 93ff.), da schon zu dieser Zeit unter detaillierter Einbeziehung der ausländischen Entwicklungen alle Fragen diskutiert wurden, die auch die Weimarer Aktienrechtsdebatte bestimmt haben. Diese schildert Thiäner ausführlich unter Auswertung der zahlreichen unveröffentlichten Quellen (teilweise veröffentlicht bei W. Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik [1926-1931], Frankfurt am Main 1999) bis zur Einführung der Pflichtrevision durch eine Notverordnung vom 19. 9. 1931. Allerdings regelten weder diese Novelle noch das Aktiengesetz von 1937 und von 1965 das Verhältnis zwischen der weiter bestehenden Prüfungspflicht des Aufsichtsrats und der Pflichtprüfung durch außenstehende, durch die Hauptversammlung gewählte unabhängige Revisoren eindeutig. Mit der Novelle von 1931 setzte das Reichsjustizministerium sowohl die Hauptforderung der Wirtschaftsverbände um, an der Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Prüfung des Rechnungsabschlusses festzuhalten, als auch die Forderung der reformfreudigen Kreise nach Einführung einer Pflichtrevision (S. 156ff.). An der Gültigkeit der Grundsätze von 1931 hat auch das Aktiengesetz von 1965 wenig geändert, so dass ein „Defizit zwischen der Prüfungsverantwortung des Aufsichtsrats einerseits und seinen Möglichkeiten, auf die Revision Einfluss zu nehmen, andererseits“ (S. 173) blieb. De lege lata empfiehlt Thiäner die Institutionalisierung einer dauerhaften Kommunikation zwischen Aufsichtsrat und Revision (S. 168ff.).

 

Anhand von publizierten Gesellschaftsverträgen des 19. Jahrhunderts hat Thiäner überprüft, wie die Aufgaben des Aufsichtsrats in der Praxis ausgestaltet waren und welche Rolle gesellschaftsfremde Rechnungsrevisoren bei der Rechnungsprüfung spielten. Insgesamt gehen die rechtstatsächlichen Untersuchungen von Thiäner zeitlich über die Untersuchungen von G. Landwehr, (SZ Germ. Abt. 99 [1982], S. 1ff.) hinaus. Anzuerkennen ist auch, dass Thiäner die ausländischen Modelle zur Überwachung der Aktiengesellschaften in seine Untersuchungen mit einbezogen hat (S. 78ff.). Mit seinem Werk hat Thiäner eine wichtige Facette der im Detail immer noch wenig erforschten Aktienrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts unter Einbeziehung insbesondere der Quellen der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zuverlässig erschlossen.

 

Kiel

Werner Schubert