Struve, Tilman, Staat und Gesellschaft im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze (= Historische Forschungen 80). Duncker & Humblot, Berlin 2004. X, 332 S. Besprochen von Elmar Wadle.

 

Struve, Tilman, Salierzeit im Wandel. Zur Geschichte Heinrichs IV. und des Investiturstreites. Böhlau, Köln 2006. X, 435 S., Ill. Besprochen von Elmar Wadle.

 

Sammlungen von (älteren) Aufsätzen eines Autors mögen gelegentlich kritisch aufgenommen werden; sie bieten freilich Vorteile der unterschiedlichsten Art, vor allem dann, wenn die Beiträge einen mehr oder weniger einheitlichen Themenbereich repräsentieren. Die beiden Bände Struves können als Musterbeispiele gelten.

 

Unter dem etwas weit geratenen Titel des ersten Sammelbandes sind zwölf Aufsätze zusammengestellt, die eine grundlegende Monographie des Autors über „Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung des Mittelalters“ (Monographieen zur Geschichte des Mittelalters 16, Stuttgart 1978) variieren und erweitern. In der Einleitung (S. 1-11: Die Antizipation einer vollkommenen Ordnung) hebt Struve hervor, dass er auf die Bezeichnung „Staat“ nicht verzichten möchte, wenn es darum geht, den „politisch-organisatorischen Rahmen“, die „Formen staatlich-gesellschaftlichen Lebens“ zu beschreiben. Er will vor allem den Wandel beschreiben, den die mittelalterliche Reflexion über das Gemeinwohl durchlaufen hat. Auf die personalen Strukturen der Frühzeit folgen im früheren Mittelalter die in Fürstenspiegeln und Traktaten niedergelegten Vorstellungen vom rechten Regiment. Das durch den Investiturstreit geförderte Bestreben, die geistlich-kirchliche Sphäre von der weltlich-gesellschaftlichen zu trennen, führte zu neuen Akzenten bei der Deutung der irdischen Herrschaft, zur Belebung des theokratischen Herrschaftsgedankens, zur Ausbildung einer „eigenständigen säkularen Staatsvorstellung“ (S. 3) und schließlich zu Modellen, die dem „Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft“ im Sinne Ernst-Wolfgang Böckenfördes entsprechen. Bei der Suche nach den zentralen Denkfiguren weist Struve dem Organismusvergleich eine zentrale Stelle zu; er habe wegen seiner „nahezu unbegrenzten Verwendbarkeit und … prinzipiellen Offenheit“ als „universell anwendbares Modell“ (S. 4) immer wieder im Zentrum der theoretischen Reflexion gestanden. Diesem Prinzip gilt auch in der Aufsatzsammlung das vornehmliche Interesse des Autors. Natürlich werden auch andere Bausteine des mittelalterlichen Nachdenkens über „Herrschaft“ und „Staat“ nicht übersehen. Dies gilt namentlich für traditionelle Ansätze der Patristik und - was jeden Rechtshistoriker freut – den Einfluss des römischen Rechts.

 

Trotz der Ausrichtung auf ein gemeinsames Generalthema sind die zwölf Aufsätze unterschiedlich zugeschnitten. Sie orientieren sich zum Teil an einzelnen Denkern (Alfredus Anglicus, Johann von Salisbury, Marsilius von Padua, Cola di Rienzo) zum Teil an bestimmten Perioden (Salierzeit, frühere Stauferzeit, Reichsreformkonzepten und Friedenskaiser-Utopie des späteren Mittelalters); eine dritte Gruppe stellt übergreifende Aspekte (Organismusvergleich, Einfluss der aristotelischen „Politik“, monarchische Herrschaft, „dienende“ Stände) in den Vordergrund.

 

Die „Nachträge“ enthalten Hinweise auf neuere wichtige Editionen und Literatur und ergänzen die eindrucksvolle Dichte der urspünglichen Belege. Die trotz der inneren Zusammenhänge und Überschneidungen große Vielfalt des Bandes erschließt sich freilich erst dem geduldigen Leser. Hilfe bei einer ersten Orientierung bietet das eher etwas knapp gehaltene Register.

 

Der Inhalt des zweiten hier vorzustellenden Bandes ist durch den Untertitel genauer gekennzeichnet als durch den Haupttitel. „Salierzeit im Wandel“ deutet zwar an, dass nicht die ganze salische Epoche Gegenstand der Aufsätze ist; die Stichworte „Heinrich IV.“ und  „Investiturstreit“ sind etwas präziser, wenngleich nicht zu verkennen ist, dass letzterer beim Tod Heinrichs IV. (1106) noch nicht beigelegt war. Der Fortgang der Debatte in der Zeit des letzten Saliers wird nicht eingehender behandelt, in den allgemeinen Betrachtungen zu Beginn und zu Ende des Bandes aber mitbedacht.

 

Ebenso wie der vorgenannte Sammelband wird auch dieser durch Vorwort und „Einleitung“ eröffnet; letztere enthält den allgemeinen Zusatz „Das salische Königtum zwischen Anfechtung und Behauptung“; der Sache nach wird ein erster Überblick über den Inhalt der Beiträge geboten.

 

Die zwölf Aufsätze sind auch hier unverändert abgedruckt und nur gelegentlich ergänzt und mit Querverweisen versehen. Die Titel hingegen sind neu gestaltet und nach thematischen Schwerpunkten angeordnet; diese wiederum sind - allerdings nur im Inhaltsverzeichnis – durch folgende Zwischentitel markiert: „Geschichtsschreibung als Seismograph“, „Die Dynastie der Salier“, „Die Gegenspieler“, „Die Anhänger“, „Angriff und Verteidigung“ und „Zeitdiagnose“.

 

Inhaltlich geht es um die Wahrnehmung des „Epochenwandels“ im 11.Jahrhundert, um die Interpretation der Interventionen Heinrichs IV. in den Urkunden seines Vaters, um die politische Rolle der Kaiserin Agnes, um Rudolf von Schwaben, Gregor VII. und Mathilde von Tuszien, um die oberitalienischen Städte und Bischöfe, um die Bewertung der päpstlichen Eideslösung und die Rückbesinnung auf die antiken Grundlagen des Kaisertums, schließlich um die Endzeiterwartungen im Zeitalter Heinrichs IV.

 

Diese Stichworte mögen genügen, um auf die vielen Aspekte und Anregungen hinzuweisen, die das Buch auch für Rechtshistoriker aller Sparten bereithält. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die vielen Hinweise auf die Erneuerung der antiken Kaiseridee nebst der Vorstellung vom Majestätsverbrechen und auf die deutlichen Rückgriffe auf Grundsätze des römischen Rechts, namentlich in den aufstrebenden Städten Oberitaliens.

 

Das Register ist zwar knapp gehalten, bietet aber wohl hinreichende Stichworte, um die einschlägigen Stellen aufspüren zu können.

 

Saarbrücken                                                                                                  Elmar Wadle