Raiser, Thomas, Grundlagen der Rechtssoziologie, 4. Aufl. (= UTB 2904). Mohr (Siebeck), Tübingen 2007. XXI, 370 S.

 

Thomas Raiser, der nach dem Studium von Philosophie und Rechtswissenschaft in Tübingen, Bonn, Berlin und München bei Ernst Steindorff über Haftungsbegrenzung nach dem Vertragszweck promovierte und sich 1969 in Hamburg bei Hans Würdinger und Hans Möller mit der bekannten Untersuchung über das Unternehmen als Organisation habilitierte, hat sich stets nicht nur für das Recht, sondern auch für seine philosophischen und soziologischen Grundlagen besonders interessiert. Deswegen ist er nicht nur einer der führenden Kapitalgesellschaftsrechtler geworden, sondern auch einer der führenden deutschen Rechtssoziologen. Sein Erfolg zeigt sich unter anderem darin, dass seine 1972 erstmals vorgelegte Rechtssoziologie über unterschiedliche Zwischenstationen nunmehr in Tübingen eine vierte, neugefasste Auflage erfahren hat.

 

Das dadurch ausgezeichnete Werk gliedert sich nun übersichtlich in drei Teile, von denen der erste Teil sich um die Bestimmung des wissenschaftlichen Orts der Rechtsgeschichte als Teilgebiet der Soziologie und als Zweig der Rechtswissenschaft bemüht. Rechtssozologiegeschichte enthält der zweite Teil mit den chronologisch gereihten Theoretikern der Rechtssoziologie von Karl Marx und Friedrich Engels über Emile Durkheim, Eugen Ehrlich, Max Weber, Theodor Geiger, Niklas Luhmann bis zu Helmut Schelsky. Abschließend wird in zehn Kapiteln die Rechtssoziologie auf den Feldern Rechtsbegriff, Rechtsprinzipien, Sanktionen, Geltung und Wirksamkeit des Rechts, Macht, Herrschaft und Recht, Konflikt und Konfliktregelung, Erforschung der Rechtskultur, Menschen und Recht, Sozialprofil der Juristen und Evolution des Rechts exemplifiziert.

 

In der ersten, als Einführung in die Rechtssoziologie bei Schweitzer erschienenen Auflage hatte der Verfasser - entsprechend einer Forderung Eugen Ehrlichs - als Ziel seines Werkes eine Rechtssoziologie des liberalen und sozialen Rechtsstaats genannt. Über Ehrlich hinaus hatte er 1995 in der zweiten, das lebende Recht betitelten, bei Nomos erschienenen Auflage das Bestreben hinzugefügt, Rechtssoziologie nicht mehr rein positivistisch und in Abschottung von der Rechts- und Sozialphilosophie und von der dogmatischen Jurisprudenz zu betreiben. Die vierte Auflage kehrt im Titel zur Rechtssoziologie zurück und verschlankt das Werk vor allem in den früheren Abschnitten 17 bis 22.

 

Diese beachtlichen Eingriffe wurden erforderlich, weil die darin verarbeiteten Ergebnisse empirisch-rechtssoziologischer Forschungen zu Unterschieden zwischen alten und neuen Bundesländern, zur Berufssoziologie der Juristen und zur Struktur der Zivilprozesse inzwischen veralten und neuere Daten nicht mehr zur Verfügung stehen. Das aktuelle rechtssoziologische Forschungsinteresse hat sich anderen Gegenständen zugewandt, die dem Verfasser nicht in gleicher Weise nahestehen. Aufgegeben hat er auch den bedeutsamen, aber ein Fremdkörper gebliebenen Versuch, besondere Merkmale der deutschen Rechtskultur herauszuarbeiten, sowie das Bemühen, von einer allgemeinen Rechtssoziologie eine besondere Rechtssoziologie zu scheiden.

 

Dass das Werk sich damit unter Zurückdrängung spezieller und zeitgebundener Themen auf die dauerhaften Grundlagen der Rechtssoziologie konzentriert, kommt bereits im Titel augenfällig zum Ausdruck. Möge ihm in dieser zeitloseren Form bleibende Anerkennung beschieden sein. Auch wenn die Rechtssoziologie nicht die Bedeutung in der juristischen Ausbildung gewonnen hat, die sie verdient hätte, ist es erfreulich, wenn ein umfassendes, systematisches, interdisziplinär und transnational angelegtes Standardwerk auf dem neuesten Stand jedem Interessierten zur Verfügung steht.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler