Quensel, Bernhard K., Max Webers Konstruktionslogik. Sozialökonomik zwischen Geschichte und Theorie (= Fundamenta Juridica 54). Nomos, Baden-Baden 2007). 350 S. Besprochen von Gerhard Dilcher.

 

Die Arbeit geht auf eine Hamburger wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Dissertation zurück, die im Kontakt mit den Weber-Forschern Hubert Treiber und Stefan Breuer u. a. entstanden ist. Sie nimmt sich vor, Webers Begründung einer sozialwissenschaftlichen Methode zwischen der historischen und der theoretischen Schule der Nationalökonomie genauer zu analysieren. Dies zielt vor allem auf „seine Idealtypus-Lehre im Rahmen einer Theorie der Deutung sozialen Handelns“. Dabei will Quensel „unter den Ablagerungen der soziologischen Rezeptionsgeschichte“ die juridische Vorprägung der Weberschen Konzepte aufdecken (S. 19). Der Forschungsgegenstand ist nicht ganz neu, aber noch nicht in dieser genauen Ausrichtung und in einer solch umfangreichen Analyse angegangen worden. Beides, eine wissenschaftliche Methode zwischen Geschichte und Theorie wie auch die juridische Vorprägung der heute in der Geschichtswissenschaft zu neuem Ansehen gelangten Methodik Webers, kann auf das Interesse der Leser dieser Zeitschrift rechnen.

 

Im ersten Kapitel verfolgt der Verfasser die Anfänge Max Webers in der Jurisprudenz und seinen Übergang in die Nationalökonomie. Als grundlegend sieht er hierbei für Weber die Konzeption einer Sozialökonomik, in der Geschichte und Theorie miteinander vermittelt sind. Das zweite Kapitel bringt die hier vor allem interessierenden Ausführungen zu einer forschungspragmatischen Hermeneutik, zu ihren Wurzeln in der Auseinandersetzung zwischen Rechtsdogmatik, Rechtsgeschichte und Rechtssoziologie und ihr Ergebnis, der Idealtypus als Mittel historischen Verstehens. Das dritte Kapitel versucht, Webers Kapitalismusthese am Sonderfall der jüdischen Wirtschaftsethik zu überprüfen. Unter den hinzugefügten Exkursen interessiert hier vor allem der dritte, der dem (in der Literatur durchaus schon diskutierten) Einfluss Georg Jellineks auf Webers Begriffsbildung gewidmet ist.

 

Wie Quensel richtig erkennt, geht es Max Weber nicht um eine Historik, sondern um eine wissenschaftlich profunde und zu verantwortende (und damit auch historische) Diagnose der Moderne. Diesem Zwecke und unter dieser Fragestellung will er das unendliche Material des Faktischen (und damit Historischen) ordnen, unter dem doppelten Aspekt des deutenden Verstehens (deshalb eine Handlungslehre) und der ursächlichen (historischen) Erklärung. An späterer Stelle zeigt die Arbeit, wie Weber zu ersterem die juristische Lehre von der Willenserklärung, zum zweiten die juristischen Lehren pragmatischer kausaler Zuordnung heranzieht. Wohl zutreffend rückt Quensel Weber weg von einer zu nahen Verbindung zur südwestdeutschen Schule des Neukantianismus (Rickert), zu einem erkenntniskritischen, jedoch im genannten Sinne pragmatischen Ansatz. Überzeugend - und über die bisherigen meist nur kurzen Beobachtungen hinausgehend - zeigt er, wie Weber bewusst für die soziologische Begriffsbildung auf die Art und Weise juristischer Begrifflichkeit zurückgreift. Weber vermischt dabei keineswegs die Grenze zwischen Sollen und Sein, vielmehr grenzt er das Recht durchaus im Bereich des Normativen ein und ab. Doch sind die Rechtsbegriffe immer schon im Hinblick auf typische soziale Sachverhalte entstanden. Sie eignen sich deshalb in besonderer Weise für die Begriffsbildung zur Erfassung „sozietaler“ (ein etwas manirierter Lieblingsbegriff Quensels, nicht Webers!), damit aber im Bereich des Faktischen anzusiedelnder Tatbestände. Für den Bereich der Rechtsgeschichte insbesondere, die danach zu fragen habe, wie zu einer gegebenen Zeit das Recht praktisch lebendig war, heiße dies: Keine narrative Aneinanderreihung der Faktizitäten des Rechtslebens, aber auch kein Überstülpen einer Dogmatik über die Geschichte, sondern eine reflektierende rechtssystematische Durchdringung des Gegenstandes, auch mit dem Ziel, von der normativen Ordnung Abweichendes im lebendigen Rechtsbewusstsein und der faktischen Gestaltung zu erkennen (s. bes. S. 125ff.). Damit ist man, von der Jurisprudenz zur Rechtsgeschichte und zur Soziologie fortschreitend, bei jener Begriffsbildung angelangt, die Weber Idealtypus nennt. Dieser stellt - oft missverstanden aber von Weber klar ausgeführt - ein begriffliches Konstrukt des Wissenschaftlers dar, um die Vielfalt des Faktischen unter den oben genannten Fragestellungen zu ordnen und analytisch auszumessen. Quensel zeigt, wie Weber von Carl Mengers Forderung nach Realtypen ausgeht und sich in unmittelbarer Nähe des „empirischen Typus“ von Georg Jellinek befindet (S. 129ff.). Auch zu dem gleichzeitigen Versuch Werner Sombarts, Empirie und Theorie in einer „Kulturwissenschaft“ zusammenzubringen, werden die Berührungspunkte und Unterschiede herausgearbeitet. Quensel sieht dabei noch einen gewissen Unterschied zwischen der von der soziologischen Fragestellung her geprägten Begrifflichkeit des Idealtypus und den für die historische Beschreibung geprägten Begrifflichkeiten der Historiker. Hier könnte eine Diskussion ansetzen mit jenen Historikern und Rechthistorikern, die die Weberschen Begrifflichkeiten für ihre historischen Arbeiten verwenden, etwa den idealtypischen Begriff der okzidentalen Stadt oder die vielfältige Verwendung zur Erfassung frühneuzeitlicher Tatbestände, vor allem auch in vergleichender Betrachtung. Hier ist ja offensichtlich, dass, je weiter ein Vergleichen ausgreift, um so notwendiger eine über das Beschreibende hinausreichende, Unterschiede sowohl überbrückende wie analysierende Begrifflichkeit ist. Als solche ist aber der Webersche Idealtypus gemeint.

 

Quensel hat im Ringen mit dem oft ungefügen Material, das er im Vorwort andeutet, ein differenziertes Bild der Entstehung der Weberschen Methodik gezeichnet. Die oft langen Zitate, darunter viele oft überlesene, zeigen einen sicher mühevoll gewonnenen Durchblick durch Webers Werk. Dabei ist es bei einer Erstlingsschrift nicht verwunderlich, wenn in der Darstellung auch Längen, Schwerfälligkeiten, oft auch ambitionierte Begrifflichkeiten, die das Verständnis nicht erleichtern, auftauchen. Die Darstellung hat dadurch nicht die Transparenz, die gerade angesichts des schwierigen Gegenstandes und der verschiedenen angesprochenen Disziplinen zu wünschen wäre. Nicht dem Autor, sondern dem Verlag ist es zuzurechnen, wenn das dialogische Verhältnis zwischen Text und Fußnoten durch deren lieblose Verbannung in einen getrennten und schwer auffindbaren Anmerkungsapparat - und davon noch einmal getrennte Literaturnachweise - für den Leser nur mühsam nachzuvollziehen ist. Doch ist gerade unter Einbeziehung der Fußnoten die Darstellung zuverlässig und differenziert; sie zeichnet sehr viel genauer als bisher geschehen die oft nur vermutete Herkunft der begrifflichen sozialwissenschaftlichen Arbeitsweise Max Webers aus seiner juristischen Prägung. Eine italienische Arbeit des Soziologen Realino Marra, die das Problem der formazione giuridica di Max Weber mehr von der inhaltlichen Seite angeht, ist zitiert, aber nicht ausgewertet. Der Rezensent möchte bei dieser Gelegenheit auch auf die im Druck befindliche Edition der rechthistorischen Dissertation Max Webers über die mittelalterlichen Handelsgesellschaften (Max Weber Gesamtausgabe I/1, ed. G. Dilcher und S. Lepsius) hinweisen, die dazu weiteres Material und weitere Beobachtungen beitragen wird (so schon G. Dilcher, Von der Rechtsgeschichte zur Soziologie. JZ 2007, S. 105-112).

 

Königstein/Ts.                                                                                    Gerhard Dilcher