Naß, Klaus, Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1996. LVIII, 472 S.

 

Die Reichschronik des Annalista Saxo, hg. v. Naß, Klaus (= Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 37). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2006. XXIX, 752 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Sommersemester 1995 wurden des Verfassers quellenkritische Studien zur Chronik des Annalista Saxo vom Fachbereich für Philosophie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Technischen Universität Braunschweig als Habilitationsschrift angenommen, die von Horst Fuhrmann, Hartmut Hoffmann, Rudolf Schieffer, Bernd Schneidmüller und manch anderem gefördert worden war. Reinhard Schneider wurde für eine Rezension in dieser Zeitschrift gewonnen, doch konnte sie anscheinend nicht realisiert werden. Deswegen verdient sie zumindest in Zusammenhang mit der jetzt vorgelegten Edition, deren Grundlage sie bildet, einen kurzen Hinweis.

 

Die Untersuchung geht von einer ausführlichen Beschreibung der Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale 11851 aus, die als Original und als vermutliches Teilautograph der Chronik angesehen wird. Sie wurde wahrscheinlich im östlichen Sachsen an einem unbekannten Ort von mindestens sechs nicht näher bekannten Schreibern geschrieben. Spätestens 1292 ist sie Würzburg vorhanden, wo sie vermutlich bis ins frühe 16. Jahrhundert blieb.

 

Im Anschluss hieran ermittelt der Verfasser die für die Chronik verwendeten Quellen in chronologischer Folge der Jahresberichte. Für die Entstehung der Erstfassung bietet ihm das erschließbare Berichtsende mit dem Jahr 1142 einen ersten Anhaltspunkt, der wegen einiger zusätzlicher Überlegungen auf die Zeit zwischen 1144 bzw. 1148 und 1152 bzw. 1155 verfeinert wird. Die Nachwirkung erscheint im Vergleich zu der beeindruckenden Leistung auffallend gering und außerdem zeitlich begrenzt.

 

Auf dieser sorgfältig ermittelten kritischen Grundlage hat der Verfasser mehr als zehn Jahre später die geplante Edition der von 741 (Tod Karl Martells, Herrschaftsbeginn Pippins des Jüngeren) bis 1139, ursprünglich auf verlorenen Schlussblättern wohl bis 1142 (erste Herrschaftsjahre Konrads III.) reichenden Chronik verwirklicht. Die Chronik war in zwei Bücher mit dem Teilungsjahr 1002 eingeteilt. Die Grundeinheit der Darstellung ist der Bericht über das jeweilige mit dem Weihnachtsfest beginnende Inkarnationsjahr.

 

Der nach wie vor unbekannte Verfasser hat für seine Reichschronik des regnum Teutonicum mindestens 39 historiographische Werke, 25 Briefe, 11 hagiographische Werke, 7 Urkunden, 4 kirchenrechtliche Texte, 3 Kataloge und 2 Gedichte verwertet, von denen heute neun verloren und sieben nur noch in kürzerer Fassung überliefert sind. Nach dem Prinzip der Leitquelle hat der Annalista Saxo in durchaus kritischem Úmgang mit den Quellen pro Jahresbericht durchschnittlich dreieinhalb Vorlagen herangezogen.

 

Außer der Pariser Handschrift ist kein weiterer zusätzlicher mittelalterlicher Textzeuge bekannt Fünf Abschriften entstammen dem 17. und 18. Jahrhundert. Für die gelehrte Welt hat erst Jean Mabillon 1672 den Annalista Saxo entdeckt.

 

Die der umsichtigen Einleitung folgende Edition der Pariser Handschrift bietet das Werk auf modernem wissenschaftlichem Niveau. Ausführliche Register erschließen es vortrefflich (ius, ius belli, ius ecclesiasticum, ius hereditarium, ius regium, ius sinodale, ius successionis). Damit ist ein bedeutendes Werk mittelalterlicher deutscher Chronistik vom wohl besten Sachkenner in optimaler Weise ediert.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler