Ludyga, Hannes, Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (= Juristische Zeitgeschichte 8, 3). BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2007. XV, 479 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die auf dem Umschlag eine aus Privatbesitz stammende Ansichtskarte der Hauptsynagoge München um 1925 (!) vor der Frauenkirche zeigende Arbeit ist die von Hermann Nehlsen betreute, im Wintersemester 2006/2007 in München angenommene Dissertation des als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hans-Georg Hermann tätigen Verfassers. Sie gliedert sich insgesamt in 10 Kapitel. Diese sind im Wesentlichen chronologisch geordnet.

 

In der Einleitung weist der Verfasser besonders darauf hin, dass der Schwerpunkt der Darstellung im 19. Jahrhundert liegt. Im Rahmen seiner Untersuchung ist der bei den Landtagsverhandlungen auftretende Antisemitismus herauszuarbeiten, weil es auch Aufgabe des Rechtshistorikers bildet (!), sich mit Antisemitismus und Rassismus auseinanderzusetzen. Die dabei entstehende Darstellung will ein Beitrag bei der Sammlung von Bedingungen für die Entrechtung und Ermordung der Juden während der Zeit des Nationalsozialismus, ein Beitrag zur bayerischen Verfassungsgeschichte und ein Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte Bayerns sein, weil der Umgang mit Minderheiten charakteristisch für eine Gesellschaft ist.

 

Im zweiten Kapitel stellt der Verfasser, ausgehend von Stephan Schwarze, Die Juden in Bayern im Wandel der Zeiten, 1963, die Literatur- und Quellenlage dar. Seine Quellenlage ist günstig, weil ein Rückgriff auf die Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Bayern möglich ist, die in ihren Aufzeichnungen vollständig erhalten geblieben sind, wenn auch eine wörtliche Wiedergabe der Redebeiträge erst ab 1822 erfolgte. Hinzu kommen verschiedene ergänzende Quellen.

 

Das kurze dritte Kapitel behandelt an Hand der Literatur die Juden in Bayern bis 1799, wobei der Verfasser davon ausgeht, dass Juden in Bayern seit vielen Jahrhunderten leben. Die Lex Baiuvariorum, deren abschließende Redaktion nach dem Verfasser vermutlich zwischen 737 und 743 erfolgte, erwähnt Juden nicht, doch schließt der Verfasser aus der Raffelstettener Zollordnung von 903/905 auf eine Sesshaftigkeit von Juden in Bayern, die für Regensburg im Jahr 981 urkundlich bezeugt ist. In Würzburg sind Juden seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts belegt, in München 1229, in Landshut in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in Straubing vor 1338, in Fürth 1440.

 

Im vierten Kapitel untersucht der Verfasser die Rechtsstellung der Juden von 1799 bis 1819. Bedeutsam hierfür ist die ablehnende Haltung Montgelas’, der Juden für sittlich unvollkommen hielt. Für das Ende des 18. Jahrhunderts ermittelt er unter bayerischer Herrschaft zwischen 250 und 350 Familien (München 31, Sulzbach 55, Floss 42, Sulzburg 37, Schnaittach 59, Ottensaß 30, Forth 38, Hüttenbach 76, woraus sich allein eine Summe von 368 Familien errechnet, ohne dass die etwas später genannten 12 Regensburger Familien berücksichtigt sind und obwohl nach Aussage des Verfassers die meisten Juden in Bayern auf dem Land lebten) mit 2000 bis 3000 Zugehörigen, meist in Unter-, Mittel- und Oberfranken und Schwaben, wobei die Zahl bis 1812 (von 2-3000) auf 37000 steigt, was der Verfasser überwiegend mit der Vergrößerung Bayerns erklärt.

 

Eine wichtige allgemeine Regelung der sehr differenzierten Verhältnisse schafft im Zuge einer übergeordneten, mit den Toleranzpatenten Kaiser Josephs II. von Österreich (!) von 1781/1782 beginnenden Entwicklung wenig später das Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen in Bayern vom 10. Juni 1813. Es verbietet jede Einwanderung und Niederlassung fremder Juden im Königreich und strebt die Verminderung der Judenfamilien an. Die Verfassung vom 26. Mai 1818 bringt für die Juden keine Verbesserung ihrer Rechtsstellung.

 

Auf dieser Grundlage untersucht der Verfasser dann sehr detailliert die weitere Entwicklung vom ersten Landtag 1819 bis zum ersten Landtag unter König Ludwig I. (1827/1828), den er durch die Nichtvorlage eines Gleichstellungsgesetzes gekennzeichnet sieht, von der Julirevolution 1830 bis zum kürzesten Landtag im Vormärz 1847, von 1848 bis zur Lockerung der Ansässigkeitsmachungsbestimmungen 1861 und infolge der letzten Schritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung im norddeutschen Bund (3. Juli 1869) und im deutschen Reich (22. April 1871). Es folgt im neunten Kapitel die Zeit vom Anwachsen des Antisemitismus in den 1890er Jahren bis zum Ende des ersten Weltkriegs, die mit der antisemitischen Hetze Friedrich Beckhs am 1. März 1918 beschlossen wird.

 

In Ausblick und Zusammenfassung teilt der Verfasser die Diskussionen (etwas anders) in vier Phasen sein, die von 1819 bis 1831, von 1831 bis 1848, von 1849 bis 1880 und von 1880 bis 1918 reichen. Davon stellte die vierte Phase das rechtlich vorher Erreichte in Frage. Deutlich vollzogen für ihn hier die bayerischen Parlamentarier den Schritt zum Rassenantisemitismus, wobei die antisemitischen Äußerungen auch von zahlreichen katholischen Parlamentariern stammen, und dennoch stellt der Verfasser fest, dass am Ende der vierten Phase eine Anerkennung des Judentums als einer der katholischen und protestantischen Kirche gleichberechtigt anerkannte(n) Kirchengesellschaft steht und die ständige Reglementierung und Diskriminierung des Judentums als Privatkirchengesellschaft zu einer Verfestigung der Judengegnerschaft geführt hatte.

 

Es folgen das Literatur- und Quellenverzeichnis, wobei der Verfasser zwar alphabetisch nach Familiennamen ordnet, aber doch eher verwirrend immer den Vornamen voranstellt (z. B. Roswitha Gräfin von Armansperg). Erfreulicherweise bietet er ein Personenregister, bei dem aber (nach Mitteilung der Redaktion auf Grund eines redaktionellen Versehens) die Seitenzahlen überwiegend nicht die richtige Fundstelle wiedergeben. Ingesamt also trotz einer interessanten modernen Thematik, intensiver Betreuung und unbestreitbaren Fleißes ein eher durchwachsenes Ergebnis.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler