Leuthier, Oliver, Entstehung und Entwicklung des Hausarbeitgesetzes. Logos-Verlag, Berlin 2006. XXX, 324 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Heimarbeit ist heute im Heimarbeitsgesetz vom 14. 3. 1951 geregelt, das weitgehend dem Heimarbeitsgesetz vom 30. 10. 1939 entspricht; erstmals war die Heimarbeit im Hausarbeitsgesetz vom 20. 12. 1911 eingehender geregelt worden. Leuthier geht in seiner Arbeit der Entstehung dieses Gesetzes detailliert nach und verfolgt die Entwicklung bis in die NS-Zeit. Für das Recht der Bundesrepublik wird lediglich der Ist-Zustand aufgrund des Gesetzes von 1951 in der heutigen Fassung beschrieben. Das Gesetz von 1911 erging erst zu einem Zeitpunkt, als die Hausarbeit (Hausindustrie) ihren Höhepunkt überschritten hatte. Die Hausindustrie lässt sich bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen und betrifft die gewerbliche Betriebsform, bei der die Arbeiter mit oder ohne Hilfspersonal in eigenen Räumen (Wohnung bzw. eigener Werkstätte) handwerksartig mit der Herstellung von Waren beschäftigt sind, die in der Regel von sog. Zwischenmeistern für die Unternehmen vergeben wurden. Die Blütezeit der Hausindustrie dürfte in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, in das Zeitalter der Frühindustrialisierung, fallen; die Heimarbeit war vor allem im mitteldeutschen Bergland mit Schwerpunkt in Sachsen und Niederschlesien (hier 1847 der Weberaufstand) verbreitet gewesen. Nach der amtlichen Statistik von 1882 belief sich die Zahl der Heimarbeiter auf 480.000 (= 6,5% der gewerblich Tätigen) und ging bis 1907 auf 405.000 zurück (2001: 66.000 Heimarbeiter). Um 1900 waren allein in der Bekleidungsindustrie mehr als 200.000 Heimarbeiter (mehrheitlich Frauen) beschäftigt. Die sozialen Missstände in der Heimarbeit (niedrige Löhne, überdurchschnittlich lange Arbeitszeit, Kinderarbeit, schlechte sanitäre Verhältnisse) traten schon früh in den Blickpunkt des Vereins für Socialpolitik. Die Ursachen für diese Missstände führt Leuthier zurück auf die geringe Organisation der Heimarbeiter, den hohen Anteil weiblicher und ungelernter Arbeitskräfte in der Hausindustrie, die Ausbeutung insbesondere durch Zwischenmeister, rückständige Produktionsweisen und auf die Strukturschwäche der Regionen, in denen die Heimarbeit vornehmlich verbreitet war. Hinzu kamen noch das Desinteresse der freien Gewerkschaften an der Hausindustrie, die nach ihrer Meinung am besten beseitigt werden sollte (S. 98f.), Vorbehalte insbesondere des Zentrums gegen Eingriffe in die Privatsphäre der Familie sowie die protektionistisch ausgerichtete Agrarpolitik Preußens. Die ersten gesetzlichen Schutzmaßnahmen betrafen die Ausdehnung des Truckverbots auf die Hausarbeit, den Lohnschutz für die selbstständigen Hausgewerbetreibenden in der Konfektions- und Textilindustrie und die Einschränkung der Kinderarbeit durch das Kinderschutzgesetz von 1903 (S. 76).

 

Erst die deutsche „Heimarbeits-Ausstellung“ von 1906 in Berlin konfrontierte die breitere Öffentlichkeit mit den sozialen Problemen in der Hausindustrie. Sie führte zu Initiativen auch der bürgerlichen Parteien (Zentrum, Nationalliberale) zu einem Hausarbeitsgesetz. Die Reichsregierung wollte sich jedoch zunächst im Gegensatz zu einem Entwurf der Sozialdemokraten und zu den Initiativen anderer Parteien mit einer Novelle zur Gewerbeordnung und einer Teilregelung der Hausarbeit in der Zigarrenherstellung begnügen. Erst Anfang 1910 kam es zur Vorlage eines eigenständigen Entwurfs zu einem Hausarbeitsgesetz, das nach sehr kontroversen Beratungen im Reichstagsplenum und in der dazugehörigen Kommission erst im Dezember 1911 verabschiedet wurde. Nicht durchsetzen konnten sich die SPD und das Zentrum mit ihren Forderungen nach Lohnämtern und staatlich beeinflussten Mindestlöhnen. Die von der Regierung zugestandenen Lohnverzeichnisse und Lohnbücher sowie die ohne eigene Befugnisse ausgestatteten Ausschüsse konnten hierzu nicht ausreichen. Selbst insoweit trat das Hausarbeitsgesetz erst 1918/19 in Kraft, da die hierzu erforderlichen Verordnungen nicht zustande kamen. Zentraler Inhalt des Gesetzes von 1911 war der Arbeits- und Gesundheitsschutz, der den Gewerbeaufsichtsbehörden und der Polizei übertragen wurde. Im Ersten Weltkrieg verbesserte sich die wirtschaftliche Lage der Heimarbeiter, da die Kriegsbekleidungsämter ihre Vertragspartner verbindlich zur Zahlung von Mindestlöhnen verpflichteten (vgl. S. 201-232). Das Heimarbeiterlohngesetz von 1923 ermächtigte die inzwischen zustande gekommenen Fachausschüsse, Mindestlöhne festzusetzen und Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären. Jedoch ließ sich das Gesetz nicht effektiv umsetzen, da sich mit dem Bußgeldverfahren des Gesetzes die zahlreichen Lohnverstöße nicht wirksam ahnden ließen. Erst unter dem Nationalsozialismus, der allerdings die Tarifvertragsfreiheit beseitigte, wurden die Mängel der Heimarbeitsgesetzgebung behoben. Mit der Neufassung des Gesetzes über die Heimarbeit im Jahre 1939 wurden die meisten Zwischenmeister in die Verpflichtung zur Zahlung der Mindestlöhne einbezogen; das Bußgeldverfahren wurde in ein Zwangsverfahren umgewandelt. Damit konnte nach Leuthier die Heimarbeitsgesetzgebung als abgeschlossen angesehen werden: „Alle wesentlichen, für die Praxis erheblichen Mängel wurden vom Gesetzgeber aufgegriffen und zu einer den Interessen der Hausindustriellen gerechten Lösung zugeführt. Der Reifeprozess der Heimarbeitgesetzgebung nahm somit ein halbes Jahrhundert in Anspruch und musste drei völlig diametrale Staatsformen durchlaufen“ (S. 323).

 

Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht außer der Schilderung der Situation der Heimarbeiter in der Kaiserzeit die Entstehungsgeschichte des Hausarbeitsrechts und des Hausarbeitsgesetzes von 1911. Hierbei geht der Verfasser ausführlich auf die politischen Auseinandersetzungen über die im Kontext einer grundsätzlich liberalen Wirtschaftsordnung zu beurteilenden Frage einer behördlichen Lohnfestsetzung ein. Allerdings hat Leuthier darauf verzichtet, die Regierungsmaterialien, soweit sie in den Archiven überliefert sind, heranzuziehen (u. a. der Stellungnahmen Preußens und Bayerns und des Bundesrates sowie die Meinungsbildung innerhalb der Reichsregierung). Allerdings sind die gedruckten Quellen bereits sehr umfangreich und geben einen guten Einblick in die politischen Kräfteverhältnisse. Gleichwohl wäre es auch im Interesse der Vollständigkeit nützlich gewesen, wenn die Position der wichtigeren Bundesregierungen (der Länder bzw. des Bundesrates [Reichsrates]) detaillierter herausgearbeitet worden wäre. Nützlich wäre es auch gewesen, wenn Leuthier auf die englischen Lohnämter näher eingegangen wäre, die in der rechtspolitischen Diskussion eine nicht unerhebliche Rolle spielten (vgl. S. 154). Verwirrend ist endlich für den Leser, dass Leuthier sein Werk mit einer bis in die Einzelheiten gehenden Analyse der aktuellen rechtlichen Stellung des Heimarbeiters nach dem Gesetz von 1951/2000 beginnt (S. 2-10), statt den Leser zunächst mit den rechtlichen Problemen der Hausarbeit (Heimarbeit) anhand der kontinuierlichen Ausweitung der Hausarbeitsgesetzgebung vertraut zu machen. Ungeachtet der offen gebliebenen Wünsche liegt mit dem Werk von Leuthier ein grundlegendes, sorgfältig dokumentiertes Werk zu einer bisher von der Rechtsgeschichte weitgehend unbeachtet gebliebenes Rechtsgebiet vor, das die Kenntnisse der Arbeitsrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts erheblich erweitert.

 

Kiel

Werner Schubert