Le Code de Commerce 1807-2007. Livre du Bicentenaire, hg. v. Bonneau, Thierry u. a. Dalloz, Paris 2007. XI, 834 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die zentrale Feier zum Bicentenaire des Code de Commerce hat am 1./2. 2. 2007 in der Sorbonne stattgefunden unter Anwesenheit des Senatspräsidenten, des Justiz- und des Außenministers sowie des Präsidenten der Cour de Cassation. Die zu diesem Jubiläum erschienene Festschrift enthält 44 Beiträge von Mitgliedern der Universität Panthéon-Assas (Paris II), die sich in ihrer Mehrzahl mit Fragen des geltenden französischen Handels- und Wirtschaftsrechts befassen. Der erste Teil: „Des mots et des Codes“ (S. 3-179) enthält zunächst den Beitrag von A. Lefebvre-Teillard: „Cambacérès et le Code de commerce“ (S. 3 ff.). Cambacérès, der an den Beratungen des Staatsrats über den Code de commerce 1806/07 teilnahm, stand dem neuen Code mit seinem objektiven System (commercialité objectif) ablehnend gegenüber und befürwortete stattdessen einen Code de Marchands sowie eine weniger weite Zuständigkeit der Handelsgerichte, die u. a. nicht über Wechselstreitigkeiten von Privaten entscheiden sollten. Klar gesehen hat er die Gefahren, die mit der Kommanditgesellschaft auf Aktien verbunden sein würden. V. Lasserre-Kiesow stellt in dem Beitrag: „L’esprit du Code de commerce“ (S. 19ff.) fest, dass die Kodifikatoren von 1807 die gute Ordnung des Handels garantieren wollten unter der Devise: crédit, célerité, sécurité (S. 21). Vor allem aber sei der Code de commerce eine Kodifikation des Seerechts einschließlich der Seeversicherung (nach dem Vorbild der Ordonnance sur la marine). Für das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert beobachtet Lasserre-Kiesow eine Kommerzialisierung des allgemeinen Zivilrechts durch das Handelsrecht, wie dies auch mit der Übernahme von Regelungen des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs in das Bürgerliche Gesetzbuch geschah. Ein Jahrhundert später steht für Lasserre-Kiesow die Universalisierung und Globalisierung des Handelsrechts im Vordergrund: „Le seul véritable esprit d’un code de commerce est peut-être l’esprit transnational“ (S. 36). Mit der Bedeutung des Gewohnheitsrechts und der Handelsgebräuche im Code de commerce von 1807 und in der Folgezeit befasst sich F. Terré in dem Beitrag: „Coutume et commerce“ (S. 37ff.). – Abgeleitet vom ius commercii des römischen Rechts (bezogen auf Kauf und Verkauf) tauchte das Substantiv „commerce“ – so J.-L. Sourioux in seinem Beitrag: „La vie du mot ,commerce’“ (S. 53ff.) – erstmals 1370 in einem Gedicht Guillaume de Machauts auf. Das Wort „commerce“ wurde dann von der königlichen Gesetzgebung in der Ordonnance sur le commerce von 1673 rezipiert und bildete in der Folgezeit eine reichhaltige Wortfamilie heraus. Eine negative Sicht des Code de commerce von 1807 sowie der Nachfolgekodifikation von 2001 vermitteln D. Bureau und N. Molfessis in ihrem Beitrag: „Le bicentenaire d’un fantôme“ (S. 61ff.): „La conception même du Code devait révéler son inaptitude à regrouper l’ensemble des règles du commerce. Mal né, le Code s’est progressivement vidé de sa substance, pour n’englober qu’une très faible partie du droit commercial.“ (S. 63). Auch der neue Code de commerce sei ohne Einheit und deshalb ohne esprit: „Dépourvu de toute transcendance, il n’est certainement pas plus grand que l’ensemble des articles qu’il contient.“ (S. 80). Die folgenden Beiträge des ersten Teils der Festschrift befassen sich mit der Abgrenzung des Code de commerce zu anderen Rechtsgebieten (Verbraucherrecht, Geld- und Finanzrecht sowie Arbeits- und Sozialrecht). Kaum rechtsgeschichtlich orientiert ist der Beitrag P.-Y. Gautiers über die Auslegungsmethodik im Handelsrecht (S. 169ff.).

 

Der zweite Teil der Festschrift mit der Überschrift „Des entreprises et des contrats“ (S. 181-648) ist fast ausschließlich dem geltenden Handels- und Wirtschaftsrecht gewidmet. Nur wenige Autoren gehen am Rande auch auf rechtshistorische Fragen ein, so Y. Gaudemet (S. 397ff.) in seinem Beitrag über den Wettbewerb mit Hinweis auf die Freigabe der wirtschaftlichen Betätigung durch die Revolution von 1789 (S. 398ff.) und Cl. Brenner auf die Grundlagen der kurzen Verjährung im Art. 2272 des Code civil und in Art. 189 des Code de Commerce, Regelungen, die auch für die deutsche Rechtsentwicklung von Bedeutung waren. Von besonderem Interesse ist der Beitrag von Solange Becqué-Ickowicz: „Le rôle de traditio dans le transfert de propriété“ (S. 473ff.). Sie weist darauf hin, dass das Traditionsprinzip in zahlreichen Fällen insbesondere im Handel das Konsensprinzip zurückgedrängt habe: Im Interesse Dritter erlaube die traditio in der Tat „contrairement à ce que l’on peut croire de prime abord, de faciliter la circulation des biens par la sécurité qu’elle apporte.“ (S. 498).

 

Im dritten Teil der Festschrift „Au-delà des frontières“ (S. 648ff.) behandelt J. Cavallini in seinem Beitrag das Prinzip der Freiheit des Handels und der Industrie in der Europäischen Union und die Reichweite dieses Prinzips, ausgehend von Turgot als Vater des liberalen Kapitalismus und den Mängeln des Code de commerce (als Schutz der Gesellschaft vor den entreprises commerciales; S. 654). Es folgen neben weiteren Beiträgen zum geltenden internationalen Handels- und Wirtschaftsrecht u. a. die Abhandlungen Th. Bonneaus über die „législation financière“ und das Gemeinschaftsrecht mit einem kurzen Überblick über das Börsenrecht des Code de commerce (S. 707). Der einzige rechtshistorische Beitrag in Teil 3 von L. Convert befasst sich mit den spanischen Handelsrechtskodifikationen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Baden bereits 1810 den Code de commerce als Anhang zum Badischen Landrecht rezipierte, wiesen die spanischen Juristen die mit der Etablierung der französischen Herrschaft zwischen 1808 und 1813 geplante Einführung des Code de commerce zurück (S. 772ff.) Der Código de comercio von 1829 öffnete sich den Einflüssen des französischen Modells nur teilweise, während der Código de comercio von 1885 ein originäres Werk darstellt (zur Geschichte des spanischen Handelsrechts bereits K. O. Scherner, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3/3, 1986, S. 3475ff.). Bedauerlich ist, dass die Festschrift auf die Rezeption des französischen Handelsrechts insbesondere im 19. Jahrhundert in den anderen Staaten des Kontinents (Niederlande, Deutschland, Italien) und die Weitergeltung des Code de commerce in den linksrheinischen Gebieten nicht eingeht. Auf diese Weise hätte sich vielleicht das negative Image, das nicht wenige Autoren der Festschrift vom Code de commerce zeichnen, im gesamteuropäischen Rahmen etwas relativiert. Auch die Verbindung des heutigen französischen Handels- und Wirtschaftsrechts mit den Entwicklungen in den europäischen Nachbarstaaten wird in den Beiträgen kaum behandelt. Auch wenn der Ertrag der Festschrift für die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Code de commerce und die handelsrechtliche Judikatur des 19. Jahrhunderts gering ist, so vermittelt der Band gleichwohl als zeitgeschichtliches Dokument des Bicentenaire des Code de commerce auf historischer Grundlage ein differenziertes Bild des heutigen französischen Handels- und Wirtschaftsrechts.

 

Kiel

Werner Schubert