Lange, Hermann, Römisches Recht im Mittelalter, Band 1, Die Glossatoren. Beck, München 1997. XXXI, 485 S.

 

Lange, Hermann/Kriechbaum, Maximiliane, Römisches Recht im Mittelalter, Band 2 Die Kommentatoren. Beck, München 2007. XL, 1017 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Römisches Recht im Mittelalter ist römisches Recht und damit Fachgebiet der Romanisten. Mit seiner von Berlin aus ab 1815 veröffentlichten siebenbändigen Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter hat Friedrich Carl von Savigny, der bereits mit 24 Jahren durch sein als Dozent und außerordentlicher Professor in Marburg vorgelegtes, im Grund unhistorisches Buch „Das Recht des Besitzes“ wegen seiner beispielhaften Methodik bekannt geworden war, rechtshistorische Unsterblichkeit erlangt. Ein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angegangenes europäisches Gemeinschaftsprojekt eines neuen Ius Romanum medii aevi ist leider gescheitert, so dass auch für die Vertreter der nationalen Rechtsgeschichten, die durch das römische Recht seit dessen Wiederentdeckung im Hochmittelalter allmählich erwachsen sind, eine bedauerliche Lücke bestand, an deren Schließung sie unbedingtes eigenes Interesse haben mussten.

 

Ihre Schließung hat erfreulicherweise Hermann Lange, in Dresden 1922 geboren, 1953 mit einer Untersuchung über Schadensersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie bei Franz Wieacker in Freiburg im Breisgau habilitiert, 1955 außerordentlicher Professor in Innsbruck, danach ordentlicher Professor in Kiel, Mainz und Tübingen, außer durch Arbeiten zum modernen Schuldrecht, Sachenrecht und Familienrecht auch durch Werke über Die Consilien des Baldus de Ubaldis (1974) sowie Die Anfänge der modernen Rechtswissenschaft (1993) hervorgetreten, in Angriff genommen und 1997 mit 75 Jahren einen ersten Band über Römisches Recht im Mittelalter der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Er ist anscheinend in der germanistischen Abteilung dieser Zeitschrift nicht eigens besprochen worden. Zusammen mit dem jetzt vom 85jährigen Autor gemeinsam mit Maximiliane Kriechbaum bearbeiteten zweiten Band verdient er es jedoch unbedingt, auch den Germanisten als bewundernswerte Leistung besonders vorgestellt zu werden, mag auch die eigentliche fachliche Würdigung der internationalen Romanistik vorbehalten bleiben.

 

Der erste der von Anfang an geplanten beiden Bände betrifft die Glossatoren. Er erfasst damit die Zeit von etwa 1050 bis 1250. Er gliedert sich in insgesamt acht Kapitel.

 

Das erste Kapitel betrifft die Grundlagen und Anfänge. Dementsprechend werden nach einer Vorbemerkung die Glossatoren und ihr Verhältnis zum byzantinischen und zum frühmittelalterlichen römischen Recht behandelt und Kontinuität und Diskontinuität sorgsam gegeneinander abgewogen. Die Anfänge einer erneuerten Rechtswissenschaft werden auf die im Detail leider kaum klärbare Wiederentdeckung der justinianischen Digesten im frühhochmittelalterlichen Italien bezogen.

 

Das zweite Kapitel betrifft die anschließende Ausbildung im wiederentdeckten römischen Recht. Dabei steht erwartungsgemäß Bologna im Mittelpunkt, wobei auf die Ursachen der Sonderstellung Bolognas so gründlich wie möglich eingegangen wird. Über Oberitalien und Süditalien sowie die Rechtslehre ohne eigene Rechtsschulen wird auf Frankreich und seine einzelnen Unterrichtsanstalten sowie auch das bald einen Sonderweg einschlagende England eingegangen.

 

Danach wendet sich der Verfasser den Quellen der Glossatoren zu. Dabei geht er von den Digesten und ihrem Codex Florentinus sowie dem Vulgattext aus. Er behandelt aber danach auch Codex und Authentiken, Novellen, Institutionen, Libri feudorum, kanonisches Recht und abschließend in notwendiger Kürze Gewohnheitsrecht, Statuten und weströmisches Vulgarrecht.

 

Das vierte Kapitel ist auf die Methoden der Stoffbeherrschung und auf die Literaturformen der Glossatoren bezogen. Es sieht die Gründe in Legistik, Artistik und Scholastik. Danach erklärt es als in neun Gruppen zusammengefasste Literaturformen die namengebenden Glossen, die Summen, Quaestionen, Distinktionen, Lecturae, Casus, Commenta, Notabilia, Brocardica, Dissensiones dominorum, Traktate, Disputationen und am Ende ganz kurz die Consilia.

 

Das fünfte Kapitel ist den einzelnen, mit Pepo von Bologna erstmals fassbaren Glossatoren und ihren Werken gewidmet. Dargestellt werden in chronologischer Abfolge Irnerius, Bulgarus, Martinus, Jacobus, Hugo, Rogerius, Albericus, Aldricus, Wilhelmus de Cabriano, Placentinus, Henricus de Baila, Johannes Bassianus, Pillius, Cyprianus, Otto Paiensis, Lotharius, Burgundio von Pisa, Vacarius, Azo, Hugolinus, Jacobus de Ardizone, Jacobus Columbi, Jacobus Balduini, Tancredus, Bagarottus, Damasus, Bernardus Dorna, Pontius de Ilerda, Karolus de Tocco, Symon Vicentius, Roffredus und Odofredus. Dabei werden bei allen 32 Juristen Lebensgeschichte und Bedeutung dem jeweiligen Schrifttum gegenübergestellt.

 

Ein eigenes sechstes Kapitel erhalten Accursius und die Glossa ordinaria. Dis ist zweifelsohne gerechtfertigt. Schließt dieses umfassende Werk die gesamte Periode doch zusammenfassend ab, mag auch in Einzelheiten Streit über den Umfang und den Wert der individuellen Leistung bestehen.

 

Gewissermaßen einen ergänzenden Nachtrag liefern die Werke unbekannter Verfasser. Sie sind zwar ebenfalls bekannt und auch durchaus wichtig, können aber keiner einzelnen bekannten Person als deren Schöpfung zugeordnet werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Werke Exceptiones Petri, Tübinger Rechtsbuch, Ashburnhamer Rechtsbuch, Grazer Rechtsbuch, Brachylogus, Summa Trecensis, Summa Tubigensis, Tractatus de aequitate, Lo Codi, Epitome exactis regibus, Florentiner Rechtsbuch, Summa Vindocinensis, Summa Vindobonenis, Summa Institutionum Justiniani est in hoc opere, Fragmentum Pragense und Ulpianus de edendo.

 

Das achte Kapitel besteht in einer sachlichen Zusammenfassung der zahllosen Einzelheiten. Es zeigt den Verlauf der Arbeiten an den libri legales und deren wissenschaftlichen Charakter am Gegenstand der Bearbeitung und den Entwicklungsstufen einschließlich der Anfänge eines besonderen Prozessrechts und Kriminalrechts, der Verbindlichkeit des Textes, und an den Verhältnissen zwischen Theorie und Praxis, Analyse und Synthese sowie Person und Kollektiv. Insgesamt erweisen sich die Glossatoren bedeutsam durch die Beherrschung des gesamten Corpus des römischen Rechts, die allmähliche Vorbereitung eines ius commune in Europa und die Begründung einer wissenschaftlichen Rechtskultur an Universitäten, mit deren Hilfe eine neue Bildungsschicht für Führungsaufgaben heranwächst.

 

Zehn Jahre später legen nun zwei Verfasser den von Anfang an geplanten zweiten Band vor. Er betrifft die Kommentatoren. Er erfasst damit die Zeit zwischen 1250 und 1500, in der nicht mehr die Erklärung des einzelnen Quellenwortes eines Textes im Mittelpunkt steht, sondern die Gesamterklärung eines Textes, eine Literaturgattung, die im Gegensatz zur Glosse noch in der Gegenwart in kräftiger Blüte steht.

 

Den zu bewältigenden Stoff schildern die Verfasser im Vorwort als aus mehreren Gründen umfangreicher. Da sich römisches Recht – vergleichbar dem amerikanischen Recht in der Welt der Gegenwart – in ganz Kontinentaleuropa ausgebreitet habe, sei die Zahl der Universitäten nicht nur in Italien, sondern auch außerhalb Italiens laufend gestiegen. Die Kommentare hätten sich nicht auf die vier wichtigsten antiken Rechtsbücher beschränkt, sondern auch das Statutarrecht erfasst und die Methoden der Stoffbeherrschung sowie die Literaturformen hätten aus allgemeinen Erwägungen mit theologischen und philosophischen Schriften der Zeit in Beziehung gesetzt werden müssen, wodurch sich der doppelte Umfang von selbst rechtfertigt.

 

Der umfangreiche Stoff habe die Mitarbeit eines zweiten Verfassers und daraus folgend eine Aufteilung der Aufgaben notwendig gemacht. Hermann Lange habe die Einleitung, das erste, zweite und sechste Kapitel und einen Teil des fünften Kapitels verfasst. Maximiliane Kriechbaum habe das dritte und vierte Kapitel und einen Teil des fünften Kapitels bearbeitet.

 

In der Einleitung wird gewissermaßen im Anschluss an den ersten Band das römische Recht um die Mitte des 13. Jahrhunderts geschildert. Neben dem Verhältnis zum kanonischen Recht und zum ius proprium, Literaturformen, Methodischem und der Ausbildung wird insbesondere die Ausbreitung des römischen Rechts außerhalb Italiens dargelegt. Dabei werden nacheinander Frankreich, Spanien, Portugal, England, Schottland, Deutschland, Niederlande, Belgien, Schweiz, Böhmen, Österreich, Ungarn, Polen, Baltikum und Skandinavien betrachtet.

 

Das erste Kapitel betrifft dann die Ausbildung im römischen Recht. Es gliedert sich in zwei Abschnitte. Dabei wird Italien von den transalpinen Ländern abgesondert.

 

Für Italien geht es in einem allgemeinen Teil nach einem Überblick um die universitates der Scholaren in Bologna, Padua, Perugia, Florenz, Pisa, Pavia, Ferrara, Siena, um den Rektor, die Rechtslehrer, die Scholaren, das Unterrichtsprogramm, das Bibliothekswesen und die drei Grade Baccalaureat, Lizentiat und Doktorat. Im besonderen Teil werden neun Universitäten in der Reihenfolge Bologna, Padua, Perugia, Pavia, Siena, Florenz, Pisa, Ferrara und Neapel vertieft untersucht. Dabei werden der Entwicklung der Universität jeweils die einzelnen Rechtslehrer gegenübergestellt.

 

Etwa den gleichen Raum wie Italien nehmen die transalpinen Länder bezüglich ihrer Ausbildung insgesamt ein. Der besondere Teil geht hier auf acht einzelne Universitäten näher ein. Dies sind Montpellier, Orléans, Angers, Toulouse, Avignon, Oxford, Köln und Erfurt. Eine Auswahl war notwendig und bei ihr mussten die Orte von geringer Bedeutung, wie anscheinend beispielsweise Wien, naturgemäß zurückstehen.

 

Das zweite Kapitel betrifft die Rechtsquellen der Kommentatoren. Naheliegenderweise stehen wieder Digesten, Institutionen, Codex, Tres libri Codicis und Novellen im Vordergrund. Daneben nehmen aber nun Libri feudorum, Lombarda, Pax Constantiae, kanonisches Recht, Ius proprium innerhalb und außerhalb Italiens breiten Raum ein. Selbst das Gewohnheitsrecht wird noch auf wenigen Seiten erfasst.

 

Das dritte Kapitel ist den Methoden der Stoffbewältigung gewidmet. Dabei werden Dialektik und Jurisprudenz, Philosophie und Recht verbunden, System und ordo betrachtet, argumentum und regula erfasst, auctoritas und ratio gegenübergestellt und distinctio und Interpretation einschließlich der Verwendung ontologischer Begriffe und Grundlehren erörtert. Soweit dabei in den Quellen moderni den antiqui entgegengesetzt werden, ist eine abwertende Bedeutung noch nicht erkennbar.

 

Bei den Literaturformen des vierten Kapitels wird mit der lectura bzw. dem Kommentar begonnen. In ihm ist die quaestio ein Bestandteil und für ihn entwickeln sich unterschiedliche Formen. Verwandt sind repetitiones, - doch noch vorhandene - glossae und additiones. Als eigenständig werden angesehen quaestiones und consilia, tractatus, summa und speculum. Als weitere Literaturformen werden dictionaria, repertoria, differentiae und contrarietates angeführt.

 

Das fünfte Kapitel stellt einzelne Kommentatoren und ihre Werke vor. Dies betrifft für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts Jacobus de Arena, Dinus de Rossonis Mugellanus, Johannes de Blanoso, Albertus Gandinus, Guilelmus Duranti, Raimundus Lullus, in Neapel Benedictus de Isernia, Marinus de Caramanico, Bartholomäus de Capua, Andreas Bonellus de Barulo, Andreas de Isernia, Blasius de Morcone, in Frankreich Jacobus de Ravanis, Petrus de Bellapertica, Guilelmus de Cuneo und Johannes Faber, für das 14. Jahrhundert Ricardus Malumbra, Oldradus de Ponte, Jacobus de Belvisio, Jacobus Butrigarius, Cinus de Pistoia, Johannes Andreae, Albericus de Rosate, den berühmten Bartolus de Saxoferrato, Rainerius de Forlivio, Lucas de Penna, den ebenfalls berühmten Baldus de Ubaldis sowie für das fünfzehnte Jahrhundert Bartholomäus Salicetus, Raphael Fulgosius, Johannes de Imola, Paul de Castro, Antonius Minuccius de Prato Veteri, Alexander Tartagnus, Bartholomaeus Caepolla, Johannes Baptista Caccialupus, Franciscus de Accoltis, Bartholomaeus Socinus, Ludovicus Bologninus, Philippus Decius und Jason de Mayno. Der Anteil der Deutschen an diesen 40 Juristen spiegelt die Bedeutung der deutschen Universitäten für die Zeit der Kommentatoren eindrucksvoll wider.

 

Im abschließenden Kapitel wird in Gegenüberstellung zum ersten Kapitel das römische Recht um 1500 zusammengefasst. Besonderes Interesse erweckt dabei die Fortbildung einzelner Rechtsinstitute von der Verschollenheit über die Schuldverträge, Geldersatz und reale Erfüllung, Actiones bonae fidei und actiones stricti iuris, Verträge zu Gunsten Dritter, laesio enormis, Zahlkraftrecht, Wechselrecht, ius ad rem, Besitz und Besitzschutz, dominium directum und dominium utile, Erbvertrag, Erbverzicht, gemeinschaftliches Testament, Testamentsvollstreckung und Strafrecht bis zum Völkerrecht, während anscheinend das Prozessrecht und das Staatsrecht nicht besonders betroffen sind. Ganz am Ende steht dann noch eine wertvolle Übersicht über die einzelnen Länder von Italien bis Skandinavien in ungefähr gleicher Abfolge wie in der Einleitung.

 

Erschlossen wird jeder Band durch ausführliche Register. Sehr wertvoll sind die zahlreichen Literaturhinweise. Auch wenn die Verfasser selbst betonen, dass sie aus dem - seit den Zeiten Savignys durch die wissenschaftliche Behandlung ungeheuer angeschwollenen - Stoff eine Auswahl treffen mussten und sich naturgemäß bei manchen Fragen mit der bloßen Wiedergabe des Meinungsstandes zu begnügen hatten, ist ihnen auch die Germanistik für ihre ein drucksvolle Leistung zu großem Dank verpflichtet – nirgends ist so viel aktuelles Wissen über römisches Recht im Mittelalter an einem Ort sachlich und verständlich zusammengefasst greifbar wie hier, so dass das Werk trotz möglicher Schwächen in besonderen Einzelheiten auch dem Germanisten eine völlig neue zuverlässige Arbeitsgrundlage bieten kann.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler