Lang, Markus, Karl Loewenstein. Transatlantischer Denker der Politik (= Transatlantische historische Studien 28). Steiner, Stuttgart 2007. 353 S., 3 Abb., 2 Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die als biographische Studie zur Geschichte der politischen Ideen und der Politikwissenschaft im 20. Jahrhundert angelegte Arbeit ist die geringfügig abgeänderte, von Klaus Dicke angeregte und von Alfons Söllner betreute, im Juli 2005 von der philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz angenommene Dissertation des Verfassers. Sie gliedert sich in fünf Abschnitte. Sie betreffen die Phänomenologie der Machtkontrollen auf der Grundlage der Entstehungsgeschichte der Verfassungslehre, die Entdeckung der Demokratie, die Verteidigung der Demokratie, den Neuaufbau der Demokratie sowie fragend den Weg vom Staatsrecht zur Politikwissenschaft.

 

Im Kern geht es um die Vorstellung, dass die personelle und inhaltliche Verbindung zwischen der Politikwissenschaft der Weimarer Republik und der Politikwissenschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht die Politikwissenschaft des Dritten Reiches war. Vielmehr werden beide zusammengehalten durch die vom Dritten Reich erzwungene Auswanderung überwiegend progressiver Juristen, Historiker und Ökonomen. Wie diese vor allem in den Vereinigten Staaten zu Politikwissenschaftlern wurden und ihr Fach nach Deutschland zurückbrachten, wird an Karl Loewenstein und seinem 1957 veröffentlichten Hauptwerk Political Power and the Governmental Process verdeutlicht, zu dem es bislang nur eine sehr überschaubare Zahl von Studien gibt.

 

Loewenstein wurde in München am 9. November 1891 in einer angesehenen wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, die fast vollkommen säkularisiert war und keinerlei Verbindung zur örtlichen orthodoxen jüdischen Gemeinde hatte. Wegen außergewöhnlich stark eingeschränkten Sehvermögens entschied Loewenstein sich nach dem sechsjährigen Besuch des humanistischen Wilhelmsgymnasiums, einer versuchten Banklehre, einem Auslandsaufenthalt und dem im Selbststudium gleichzeitig mit seiner alten Klasse nachgeholten Abitur 1910 für das Studium der Rechtswissenschaft in München, in dem das entscheidende Bildungserlebnis die fast zufällige Begegnung mit Max Weber war. Im Dezember 1916 absolvierte Loewenstein den Staatskonkurs als siebter von 143 Kandidaten, so dass er eine gut bezahlte Anstellung im Kriegswucheramt fand, nach der Promotion und dem nahezu gleichzeitigen Austritt aus der jüdischen Gemeinde (Dezember 1918) aber in die Rechtsanwaltschaft wechselte.

 

In der Mitte der 1920er Jahre entschloss er sich wegen realistischer Chancen auf eine Professur in München zur Habilitation und stellte zu diesem Zweck historische, soziologische und statistische Methoden zu Gunsten klassisch juristischer Argumente in den Hintergrund. 1931 erhielt er in München die Lehrbefugnis für allgemeine Staatslehre, deutsches und ausländisches Recht sowie Völkerrecht. Kaum war ihm am 10. Januar 1933 aber die Übertragung der Völkerrechtsvorlesung für den erkrankten Reinhard Frank angekündigt, als ihm am 20. Juli 1933 die Beurlaubung mitgeteilt wurde.

 

Über verschiedene Vermittlungen erhielt er eine Stellung als Associate Professor of Political Science an der Graduate School der Yale University. Am 19. Dezember 1933 brachte ihn ein Schiff nach New York. Sein Anfangsjahresgehalt von 2000 Dollar im Jahr bot ihm für kurze Zeit ein relativ sorgenfreies Auskommen, doch musste er 1936 an das Amherst College in Massachusetts wechseln.

 

In der Folge gelang ihm eine glückliche Verbindung deutscher und angloamerikanischer Staatstheorie. Seine wichtigsten Forschungsfelder wurden die internationale Demokratieforschung, der Nationalsozialismus und das normative Verständnis von Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft. Kennzeichnend blieb gleichwohl ein hohes Maß an Kontinuität.

 

Mit der Aufnahme in die amerikanische Political Science glückte dem ehemaligen Flüchtling ein gewisser Durchbruch. Kernstück seines wissenschaftlichen Werkes von großer Breite wurde eine Typologie der Regierungsformen nach der Zahl der Machtträger, doch sieht der Verfasser überzeugend das Hauptwerk als 20 Jahre zu spät erschienen und von einem Grenzgänger verfasst, der in keiner einzelnen Wissenschaft ganz zu Hause war. Zu einer dauerhaften Rückkehr nach Deutschland konnte sich Loewenstein freilich trotz seiner lebenslangen Brückenbauarbeit zu beiden Seiten des Atlantiks nicht entschließen.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler