Juristische Fakultäten und Juristenausbildung im Ostseeraum. Law Faculties and Legal Education in the Baltic Sea Area. Zweiter Rechtshistorikertag im Ostseeraum. Second Conference in Legal History in the Baltic Sea Area. Lund 12.-17. 3. 2002, hg. v. Eckert, Jörn/Modeer, Kjell Å. (= Institutet för rättshistorisk forskning Serie III, Rättshistoriska Skrifter 6). Institutet för rättshistorisk forskning/Distribution Rönnells Antikvariat AB, Stockholm 2005. 457 S. Besprochen von Werner Ogris.

 

Der stattliche Sammelband enthält neben einer Einleitung der Herausgeber 20 Referate, die auf dem zweiten Treffen der Rechtshistoriker aus dem Ostseeraum gehalten wurden, das vom 12. bis 17. März 2002 in der südschwedischen Universität Lund stattfand. Die Beiträge stammen aus Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Estland und Russland. Sie sind chronologisch geordnet und reichen vom Spätmittelalter bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Dementsprechend weit und bunt ist der Kreis der angeschnittenen Themen: Universitäts- und Fakultätsgeschichte(n); Fächerkanon(es) und Prüfungsordnung(en) bis hin zu konkreten Prüfungsfragen und Anrechnungsproblemen; Viten einzelner Juristen und deren soziale Herkunft und Stellung; dann Gerichtsorganisation und Richterausbildung sowie Richterrekrutierung usw. Aus der Fülle der angeschnittenen Fragen sei eine herausgegriffen, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht: die Frage der Rezeption, heute müsste man besser sagen: des Transfers von Ideen, Lehren, Institutionen und nicht zuletzt von Personen innerhalb des Ostseeraumes (und natürlich darüber hinaus), wobei sich ein deutliches Gefälle von West nach Ost konstatieren lässt. Wieder einmal wird einem bei der Lektüre dieses Bandes bewusst, wie „grenzenlos“, wie international sich die Rechtswissenschaft in allen ihren Sparten und Zweigen entfaltete, zumal im 19. Jahrhundert. Ein Beispiel, das besonders für den Leser dieser Zeitschrift von Interesse ist, bieten Curriculum und Wirken von Leon Victor Constantin Casso (S. 313ff.): geboren 1865 in Paris als Nachkomme einer russisch-orthodoxen Familie; Jusstudium in Heidelberg, Berlin (Dr. utriusque iuris 1889); 1892 Dozent und bald darauf  Professor an der (damals) russischen Universität Tartu/Dorpat, dann in Charkow und Moskau; schließlich zaristischer Minister für Volksaufklärung in St. Petersburg. In Charkow widmete sich Casso besonders dem Pfandrecht, dessen Wesen er unter Rückgriff auf historisches wie zeitgenössisches deutsches Recht beschrieb: U. a. veröffentlichte er in dieser Zs. 19/1898, S. 140-42, eine Miszelle über den „Satz des Sachsenspiegels von den ,essenden Pfändern’ in Russland“, der in der Folge in seine pfandrechtlichen Forschungen, Folgerungen und Reformvorschläge einfloss. Insgesamt also ein Juristenleben, das sich zeitlich und räumlich über mehrere Rechtskulturen erstreckte – und aus ihnen schöpfte. Kein Einzelfall!

 

Wien                                                                         Werner Ogris