Juden im Recht. Neue Zugänge zur Rechtsgeschichte der Juden im alten Reich, hg. v. Gotzmann, Andreas/Wendehorst, Stephan (= Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 39). Duncker & Humblot, Berlin 2007. VI, 419 S. Besprochen von J. Friedrich Battenberg.

 

Noch immer ist die Rechtsgeschichte der Juden ein Stiefkind der rechtshistorischen Forschung. Als Gesamtdarstellung liegt bisher lediglich die 1901 erschienene Monographie Johann Egid Scherers über „Die Rechtsverhältnisse der Juden in den deutsch-österreichischen Ländern“ vor, die merkwürdigerweise kaum rezipiert wurde. Die Forschungen des großen Rechtshistorikers Guido Kisch zum „jüdischen Recht“ blieben ebenso Fragment wie alle späteren Versuche. Das Scheitern großer Entwürfe hat mehrere Gründe: Zum einen fehlt es dem Rechtshistoriker gewöhnlich an ausreichendem Zugang zu den innerjüdischen Normen, dem von Kisch so genannten Judenrecht, der „Halacha“. Zum andern aber sind die Quellen des jüdischen Rechts, also derjenigen Vorschriften, die sich mit den Besonderheiten des Rechts der Juden in der nichtjüdischen Gesellschaft beschäftigen, bei weitem noch nicht soweit bekannt, geschweige denn ediert, um darauf eine umfassende Gesamtdarstellung aufbauen zu können. Der Rezensent plant eine solche, ist sich aber dessen bewusst, dass dazu noch zahlreiche Vorarbeiten geleistet werden müssen.

 

Der vorliegende Sammelband ist auffallender Weise fast ausschließlich von Historikern und Historikerinnen zusammengestellt worden, und entgegen dem etwas hochtrabenden Buchtitel bringt er nicht mehr als eine Reihe bedeutsamer Aspekte zur Geschichte der Juden, die irgendwie für deren Rechtsverhältnisse von Relevanz erscheinen könnten. Man merkt dem Band sofort an, dass er aus vornehmlich sozialhistorischer Perspektive geschrieben wurde – sieht man von dem einleitenden, die Juden allerdings kaum ansprechenden, für sie allerdings einige Vorgaben setzenden Beitrag Michael Stolleis’ zum Thema „Von den Rechtsnormen zur Rechtspraxis. Zur Rechtsgeschichte der Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ ab. Nirgendwo wird der Versuch einer rechtsdogmatischen Durchdringung der die Juden betreffenden Institutionen gemacht; und auch der von den beiden Herausgebern in ihrer gemeinsamen Einleitung erhobene Anspruch an das Verständnis von Recht wird von keinem der Autoren thematisiert oder auch nur stillschweigend beachtet. Es hat den Anschein, als wollten die Herausgeber mindestens das, was sie sich vom Gegenstand erwarteten, wenigstens an einer Stelle des Buches thematisieren.

 

Und dieses Thema heißt in der Einleitung: „Zwischen Kaiser, Landesherrschaft und Halacha: Zwischenräume als jüdische Rechts- und Handlungsspielräume“. Es werden hier durchaus wichtige Erkenntnisse mitgeteilt: Diejenige etwa, dass man von einem Sonderrecht der Juden nicht sprechen könne, und dass dieses herrschaftliche jüdische Recht aufs engste mit den innerjüdischen Normen verwoben war. Die immer noch erhobene Forderung nach einer Verschiebung des Erkenntnisinteresses von der Rechtsnorm zur Rechtspraxis rennt längst offene Türen ein, denn auch unter den traditionell arbeitenden Rechtshistorikern sind kaum noch solche zu finden, welche die Rechtspraxis nicht im Auge hatten. Es ist ohnehin die Frage, ob man mit dieser Gegenüberstellung heute noch weiter kommen kann. Die Policeynormen etwa, durchaus normativen Charakters, waren in den meisten Fällen nichts anderes als Reaktionen auf eine festgestellte Realität, die mit ihnen korrigiert oder bestätigt werden sollte. Sie waren insofern Ergebnis eines kommunikativen Prozesses. Über sie wurden vorgefundene Realitäten erfasst, in allgemeine Regeln gefasst und so zur Bewältigung des Alltags bereitgestellt.

 

Die Strukturierung des Alltags war für den Menschen der Vormoderne, um den es in vorliegendem Band ging, genauso wichtig wie für uns heute. Durch Kommunikation konnte man zur Struktur gelangen; aber die Kommunikation konnte diese nicht ersetzen, wie es die Einleitung glauben machen will. Wenn dann – ehrlicherweise – in der Einleitung davon die Rede ist, dass es in diesem Buch um jüdische Handlungsspielräume gehen soll, so kann man anerkennen, dass dies ein legitimes Forschungsinteresse sein kann; man stellt sich dabei aber doch die Frage, ob man dies noch als ein rechtshistorisches Interesse in Anspruch nehmen kann, oder ob dies nicht eine Vorfrage ist, nach deren Klärung erst juristisches Interesse ins Spiel kommt. Der Band handelt also nicht von „Juden im Recht“ (obwohl auch dazu eine Menge Erkenntnisse beigesteuert wird), sondern von den Möglichkeiten jüdischen Lebens unter den Rahmenbedingungen eines jüdischen Rechts. Mitnichten werden überdies „neue Zugänge zur Rechtsgeschichte der Juden“ geboten. Es kann an dieser Stelle also nur ein Appell an die rechtsgeschichtliche Forschung gerichtet werden, sich des Themas „Juden im Recht“ wieder ernsthafter anzunehmen.

 

Des ungeachtet allerdings bietet der vorliegende Sammelband auch für die rechtshistorische Forschung eine Fülle wichtiger Erkenntnisse und weiterführender Aussagen. Allerdings sind diese Erkenntnisse für den flüchtigen Leser nur schwer zu orten, da es weder ein Register der Betreffe und Institutionen gibt, noch eine zusammenfassende Darstellung der Herausgeber die dazu notwendigen Informationen bietet bzw. Zugänge verschafft. In vielen Fällen erschließt sich auch aus dem jeweiligen Titel nicht das für die rechtshistorische Forschung Wesentliche. Mit Michael Stolleis haben sich wohl die meisten Autoren der These von der Pluralität der Rechtsquellen angeschlossen, jedoch den zweiten Teil dieser These (S. 17), dass diese regelhaft ineinander geschichtet erscheinen und nicht regellos neben- oder übereinander stehen, zu wenig berücksichtigt. Die personale Strukturierung der Gesellschaft schloss nicht aus, dass jeder an seinem Platz stand und in ein festgefügtes System eingeordnet war, auch die Juden. Abstände, Ränge, Hierarchien waren wichtig, und es ist Aufgabe des Historikers, besonders des Rechts- und Verfassungshistorikers, das Funktionieren dieses Regelsystems oder auch dessen Störungen herauszufinden. Wenn Leopold Auer und Eva Ortlieb im zweiten Aufsatz des Bandes gleich in die Realität der Quellen hinuntersteigen und auf die Bedeutung der erst teilweise neu erschlossenen Akten des Reichshofrats für die Geschichte der Juden im Reich hinweisen, so hat das durchaus seine innere Berechtigung: Die tiefere Kenntnis dieses sehr wichtigen Bestandes wird mit einiger Sicherheit auch wichtige Erkenntnisse zum Rechtsleben der Juden im Reich liefern – dies vor allem deswegen, weil Juden traditionell eine kaisernahe Gruppe im Reich waren, die sich ihr Recht häufiger als andere Gruppen im Reich vor dem Kaiser und dessen Gerichten suchte.

 

War der erste Abschnitt des Bandes unter dem verheißungsvollen Titel „Herausforderungen, Quellen, Perspektiven“ mit den beiden erwähnten Beiträgen von Stolleis und Auer/Ortlieb zwar kompetent, aber doch inhaltlich – gemessen an dem hohen Anspruch des Titels – nur dürftig besetzt, so kann anderes gelten für den zweiten Abschnitt unter dem Titel „Zu Hause in vielen Welten? Jüdische und nicht-jüdische Rechtssphäre zwischen Konkurrenz und Komplementarität“. In acht Aufsätzen unter dieser Klammer wird eine Fülle von wichtigen Aspekten dazu angesprochen. Andreas Gotzmann berichtet unter dem Titel „Die Grenzen der Autonomie“ über den jüdischen Bann im Heiligen Römischen Reich. Er kann überzeugend belegen, dass die jüdische Minderheit des Reichs keine völlig eigenständige Rechtssphäre hatte, sondern prinzipiell offen gegenüber der christlichen Umwelt war – eine allerdings so neue Erkenntnis auch wieder nicht. Lois C. Dubin, der sich dem Problem der Zivilscheidung einer jüdischen Frau im habsburgischen Triest des späten 18. Jahrhunderts zuwendet, zeigt an diesem Beispiel, dass die staatliche Intervention in der Aufklärungszeit neue Möglichkeiten für die „Auto-Emanzipation“ der Frau hervorbrachte. Dies passt gut in die auch anderweit gemachte Beobachtung, dass die Verstärkung des Kontrollapparats im absolutistischen Regime auch Vertrauen und Verständnis wachsen ließen, so dass Emanzipationschancen erhöht wurden. Dagmar Freist („Recht und Rechtspraxis im Zeitalter der Aufklärung am Beispiel der Taufe jüdischer Kinder“) packt ein dunkles Kapitel der Geschichte an. Auch sie beobachtet die zunehmende Einschränkung jüdischer Autonomie durch die christliche Obrigkeit, bei gleichzeitigem Bemühen, die innerjüdische Organisation zu stabilisieren, um diese selbst, etwa für die Steuereintreibung, nutzen zu können. Siegrid Westphal geht es in ihrem Beitrag um den Umgang mit kultureller Differenz am Beispiel von Haftbedingungen für Juden in der Frühen Neuzeit. Sie kann feststellen, dass die Juden davon profitierten, dass durch den Beitrag der Juristen der Rechtsverkehr allgemein erleichtert wurde. Kulturelle Differenzen, wie etwa spezifische religiöse Praktiken der Juden, wurden anerkannt – und erst im 19. Jahrhundert allmählich nivelliert. Dennoch wurden Juden auch rechtlich benachteiligt – ein Ergebnis, das allerdings nicht für alle gesellschaftlichen Bereiche gelten dürfte. Cilli Kasper-Holtkotte analysiert in ihrem Beitrag über „Die Suche nach Recht und Gericht“ die besondere verfassungsrechtliche Situation der Juden in der Reichsstadt Friedberg in der Wetterau im 17. Jahrhundert. Der von ihr beobachtete Prozess der Ablösung der Juden von ihrem ursprünglichen Schutzherrn, der Reichsburg Friedberg und der gleichzeitigen Zuwendung zur genuin städtischen Gerichtsbarkeit ist einzubinden in den Prozess der Stabilisierung landeshoheitlicher Rechte in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg: Wie andere Gruppen wandten sich die Juden zur Rechtserlangung dorthin, wo ihr Recht auch die Chance einer obrigkeitlichen Durchsetzung hatte. Birgit E. Klein geht es unter dem Titel „Erbinnen in Norm und Praxis“ um „Fiktion und Realität im Erbstreit der Familien Liebmann – von Geldern“. Sie versucht, die unterschiedlichen Erbrechtsvorstellungen der jüdischen und christlichen Gesellschaft darzustellen; über den konkreten Fall wird anschaulich berichtet; doch bleiben verwertbare Ergebnisse für die allgemeine Rechtsgeschichte im Unklaren. Monika Preuß („...seine frau hette mit hemspacher zu dohn, man solle den rabe von richen brufen“) untersucht in ihrem Beitrag  „Konstellationen rabbinischer Zuständigkeit in der Kondominatsherrschaft Heinsheim im 18. Jahrhundert“; aber auch dieser Beitrag geht über den Fallstudiencharakter nicht hinaus und versucht gar nicht erst, das Problem der Zuständigkeit der Rabbinatsgerichte in die allgemeine Verfassungsgeschichte einzuordnen. In einem letzten Beitrag dieses Abschnitts geht es schließlich Maria Boes unter dem Titel „Zweifach im Visier“ um „Jüdische Opfer von Straftaten und Rechtsprechung im Römisch-Deutschen Reich der Frühen Neuzeit“ Sie kann – durchaus nicht im allgemeinen Trend der Forschung – für den von ihr untersuchten Zeitraum eine dramatische Zunahme negativ konnotierter Hinweise auf Jüdisches in den juristischen Auseinandersetzungen feststellen. Ob man ihrer These folgen kann, dass die Juden zunehmend von einer wirkungsvollen Nutzung der Rechtswege abgeschnitten wurden, und dass das Rechtssystem als getarntes Instrument der Diskriminierung diente, erscheint mir aber doch recht zweifelhaft. Hier scheinen aus dem Zusammenhang gerissene Einzelergebnisse überbewertet zu sein.

 

Im dritten Abschnitt des Buches unter dem Titel „Der Kaiser und das Reich: Imperiale Rahmenbedingungen jüdischer Lebenswelten jenseits des frühmodernen Territorialstaats“ sind weitere sechs Beiträge versammelt, die ebenfalls die besondere Aufmerksamkeit der rechtshistorischen Forschung verdienen. Ein scheinbar abseitiges, in Wirklichkeit angesichts der Symbolträchtigkeit der damit verbundenen Positionen doch zentrales Thema der Vormoderne behandelt Stephan Wendehorst: „Das gescheiterte Projekt der jüdischen Kaiserhuldigung in Worms.“ Hier geht es um „symbolische imperiale Herrschaftspraxis und jüdische Teilhabe im Römisch-Deutschen Reich“. Anhand eines paradigmatischen Einzelfalls kann er folgern, dass es im 17. und 18. Jahrhundert zu einer Revitalisierung der Beziehungen zwischen dem Kaiser und den Juden kam. Gernot Peter Obersteiner untersucht in seinen Ausführungen „Fiskalische Judenprozesse vor dem Reichshofrat“. In diesem Zusammenhang analysiert er die Prozesse gegen den sefardischen Juden, Hoffaktor und Residenten Diego Teixeira, den Salomon Gumprecht aus einer ebenfalls berühmten Hofjudenfamilie und gegen die Friedberger Judengemeinde. Bei Gumprecht ging es vor allem um eine dem Adel zugerechnete Wappenzier, die Gumprecht untersagt werden sollte. Anette Baumann stellt in ihrem Beitrag „Jüdische Kammergerichtsprozesse aus den Reichsstädten Frankfurt und Hamburg“ Verfahren unter quantitativen Gesichtspunkten zusammen. Abgesehen von der teilweise unklaren Terminologie der Autorin – sie spricht z. B. von Geschäftsaufkommen und von Prozessaufkommen, und meint damit offenbar stets das Gleiche – kann sie durchaus eine Reihe von interessanten Ergebnissen vorweisen. Ob das Reichskammergericht, so Baumann, wirklich ein Hebel zur Durchsetzung der Emanzipation war, wird zwar noch näher zu untersuchen, in dieser Allgemeinheit aber kaum zu halten sein. Überzeugend kann die Autorin einige signifikante Unterschiede im Prozessaufkommen und in den Streitgegenständen der beiden untersuchten Städte feststellen. Jedenfalls aber scheint es zu einer allmählichen Zunahme von Prozessen gekommen zu sein, die auch innerjüdische Fragen zum Gegenstand hatten. Dies führt nahtlos zu dem anschließenden Beitrag Ronnie Po-chia Hsias über „Innerjüdische Konflikte und das Reichskammergericht“. Anhand eines 1629 geführten Prozesses zwischen den Grafen von Löwenstein-Wertheim und dem Juden Kunstell von Wertheim kann der Autor Aussagen zur Sexualmoral des rabbinischen Rechts machen. Nach ihm führte die strikte Normdurchsetzung innerhalb der jüdischen Gemeinden zu einem vergleichsweise hohen moralischen Standard der Juden innerhalb einer sonst durch sexuelle Immoralität charakterisierten Gesellschaft. Auch dieses Ergebnis scheint überzeichnet zu sein und einen Einzelfall zu hoch zu bewerten. Der ansonsten sehr anregend geschriebene Beitrag leidet etwas darunter, dass die gebotenen Quellentexte teilweise sehr fehlerhaft transkribiert sind und vom Übersetzer eigentlich nochmals hätten kollationiert werden müssen. Debra Kaplan beschäftigt sich in ihrem sich anschließenden Beitrag („Kooperation und Konflikt“) mit den elsässischen Juden, und zwar unter dem Gesichtspunkt „Herrschaft und Recht im Spiegel der Reichskammergerichtsprozesse des 16. Jahrhunderts“ Sie stellt heraus, dass die Juden der von ihr untersuchten Zeit zwar Figuren im Spiel der Mächtigen waren, dass sie aber dennoch die herrschaftlichen Verhältnisse für sich nutzen konnten. Die elsässischen Juden zumindest, allen voran Josel von Rosheim, waren mit den Rechtsverhältnissen des Heiligen Römischen Reiches gut vertraut, und sie wussten deshalb auch die Möglichkeiten der Prozesse vor dem Reichskammergericht zu verwerten. Abschließend äußert sich Karl Härter in seinem Beitrag „Zur Stellung der Juden im frühneuzeitlichen Strafrecht“, indem er Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Justizpraxis der Zeit auf seine Fragestellung hin untersucht. Härter, der wohl beste Kenner der Policeygesetzgebung in der Frühen Neuzeit, kann feststellen, dass es gegen Ende des 17. Jahrhundert zu einer anschwellenden Fülle von Policeyverordnungen kam, was sich auch auf die rechtliche Situation der Juden auswirkte. Es kam zu einer zunehmenden Kriminalisierung verschiedener Aspekte ihrer Handelstätigkeit. Schließlich wurde dem älteren Etikett des „Wucherjuden“ das neuere des „Betteljuden“ hinzugefügt, das allein schon die Nähe armer und gezwungenermaßen vagierender Juden zur Kriminalität von Gaunerbanden assoziieren sollte. Trotz Verbesserungen in der Situation der Juden kann Härter ermitteln, dass prozessuale Nachteile, vor allem hinsichtlich der Eidesleistung fortbestanden, und dass es auch in Bezug auf Eigentumsdelikte eine Ungleichbehandlung mit christlichen Delinquenten gab. Das von ihm anhand kurmainzischen Quellenmaterials gefundene Ergebnis kann gewiss unschwer auf andere Regionen übertragen und verallgemeinert werden.

 

Der Schlussabschnitt „Interne Struktur und äußerer Rahmen: Die rechtliche Lage der Juden im Alten Reich in vergleichender Perspektive“ hält wiederum sehr viel weniger als er verspricht. Lediglich zwei Aufsätze sind unter diesem Titel versammelt. Zunächst geht es Stefan Litt („Tradition und Neuanfang“) um eine vergleichende Analyse der Statuten der jüdischen Gemeinden Friedberg in der Wetterau, Den Haag und Middelburg aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es ist dies mehr ein Arbeitsbereich aus einem laufenden Projekt als eine abschließende Analyse. Immerhin kann Litt nachweisen, dass die Friedberger Statuten („Takkanot“) in ihrer Detailliertheit auf langjährige Erfahrungen zurückgreifen konnten, während die beiden niederländischen Städte jüngeren Gemeinden zugehörten, die mit ihren Takkanot einen Neuanfang dokumentieren wollten. Sie waren offener formuliert, wandten sich an Gemeindeglieder, die in enger Nachbarschaft mit den christlichen Bürgern lebten, und stellten damit auch einen andersartigen Normtyp dar. Man hätte sich allerdings noch eine stärkere Verortung der kurz vom Autor reflektierten Statuten in den Typus der Takkanot und zugleich eine Reflexion über die Einflüsse aus der christlichen Umwelt gewünscht. Man wird hier auf die Ergebnisse des dahinter stehenden Forschungsprojekts gespannt sein dürfen. Im abschließenden Beitrag geht es Adam Teller um den „Blick nach Osten“. Er untersucht den rechtlichen Status und das Rechtssystem der polnischen Judenheit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Die zentrale Aussage des Beitrags, dem es um die Verfassungsgeschichte und nicht eigentlich um die Rechtsgeschichte der polnischen Juden geht, besteht darin, dass er ihren Gruppencharakter herausstellt. Anders als im Heiligen Römischen Reich steht nicht die Familie bzw. der Schutzbriefinhaber im Zentrum, sondern die Gruppe, über welche die Juden auch definiert werden. Nach Teller besaß keine andere so genannte Minderheit innerhalb der polnischen Gesellschaft ein den Juden vergleichbares Maß an rechtlicher Anerkennung oder verfügte über ein eigenes Rechtssystem. Die sehr schöne und gut verständliche Darstellung leidet lediglich darunter, dass sie die einschlägige deutsche Forschung gänzlich ignoriert und diejenige des angelsächsischen Raums nur am Rande berücksichtigt. Der eigentlich selbstverständliche Wissenschaftsaustausch zwischen Polen und Deutschland hat diesbezüglich offensichtlich noch nicht stattgefunden.

 

Zieht man die Summe aus diesem recht umfänglichen Sammelband, so bleibt ein nicht allen Ansprüchen genügender Eindruck zurück: Wieder einmal haben einige fleißige Forscher und Forscherinnen, namentlich Historiker und Historikerinnen, aus ihrem jeweiligen Forschungs- und Interessengebiet Wichtiges zusammengetragen, meist in Form von Fallstudien, manchmal aber auch überblicksartig, abstrahierend und analysierend. Die Herausgeber haben zwar in ihrer Einleitung versucht, eine durchgehende Fragestellung zu formulieren, und durch die Abschnitteinteilung des Buches auch systematische Problemzuordnungen vorgenommen, doch bleibt die Realität der Beiträge weit hinter den hohen Ansprüchen der Herausgeber zurück. So ist schließlich das übliche Sammelwerk entstanden, das Jedem etwas gibt, was er für seine eigenen Forschungen verwenden kann, das aber der systematischen Durchdringung entbehrt und nur selten spezifisch rechtshistorisch-dogmatische Problembereiche anspricht. Dennoch: Vor dem Hintergrund der noch sehr defizitären einschlägigen Forschung zur Rechtsgeschichte der Juden erscheint auch dieser Band als ein Fortschritt, vielleicht sogar als ein Meilenstein auf dem Wege zu neuen Sichtweise von jüdischem Recht in christlicher Umwelt.

 

Darmstadt                                                                                          J. Friedrich Battenberg