Inszenierungen des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozessfilme in der DDR, hg. v. Marxen, Klaus/Weinke, Annette. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2006. 234 S. Besprochen von Heinz Müller-Dietz. ZRG GA 125 (2008) 87.

 

Klaus Marxen hat in einer beachtlichen Studie auf strukturelle Veränderungen des Strafrechts durch das Medienzeitalter aufmerksam gemacht (JZ 2000, 294). Gewichtige Teilaspekte dieser Entwicklung bestehen in Tendenzen, Strafrecht und Strafverfahren in den Dienst der allgegenwärtig erscheinenden Medien zu stellen, aber auch in Bestrebungen von Akteuren des Strafprozesses, die Medien für ihre Zwecke zu nutzen. An diese Thematik und Problematik knüpft der von Marxen und der Historikerin Annette Weinke herausgegebene Band an, der neun Beiträge einer Tagung über die Beziehungen der strafgerichtlichen Praxis der Deutschen Demokratischen Repüublik zu den dortigen Medien (Film, Fernsehen, Presse, Literatur) unter dem einprägsamen Titel „Inszenierungen des Rechts“ versammelt. Die Autoren sind – von Marxen, der freilich als hervorragender Kenner der Strafjustiz der NS-Diktatur ausgewiesen ist, abgesehen – Historiker, Germanisten, Kommunikationswissenschaftler und Publizisten, die auf der Grundlage früherer Beschäftigung mit der DDR die öffentliche Instrumentalisierung und Zurschaustellung des (Straf-)Rechts jenes Staates in den verschiedenen Medien darstellen und analysieren.

 

Marxen selbst will in seinem einführenden Beitrag die „Mediatisierung des Rechts“ als zentrales Thema der juristischen Zeitgeschichte verstanden wissen. Exemplarisch dafür erscheinen ihm namentlich die Schauprozesse der frühen DDR. Weinke tritt vor dem Hintergrund rechtskultureller Entwicklungen für die Einbeziehung mediengeschichtlicher Fragestellungen in die Erforschung des Justizsystems des SED-Staates ein. Ihr thematisch weit ausgreifender Gedankengang, der vor allem die rechts- und prozessbezogene Funktion der Medien in den verschiedenen Phasen der DDR analysiert, mündet in einen Katalog bisher offen gebliebener Forschungsfragen. Roger Engelmann untersucht die „Schlüsselrolle“, die der Staatssicherdienst der DDR nach dem Modell der stalinistischen Schauprozesse in spektakulären medieninszenierten Strafverfahren gegen angebliche „Parteifeinde“ der frühen 50er Jahre wahrnahm. Einmal mehr wird an der Darstellung deutlich, in welchem Maße diese Prozesse dem Herrschaftssystem und der – jeweiligen – Parteilinie dienstbar gemacht wurden.

 

Marion Detjen vermag in ihrem Beitrag zu zeigen, dass die propagandistische Ausschlachtung der Strafverfolgung sog. Fluchthelfer in der DDR nicht ohne Einfluss auf die Wahrnehmung dieses Phänomens im Westen war. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Filme und Presseberichte über sog. Menschenhändler-Prozesse. Günter Agde weist am Beispiel zweier Dokumentarfilme über das KZ Sachsenhausen nach, wie es die sowjetische Besatzungsmacht in der frühen Nachkriegszeit verstanden hat, Gräuel der NS-Zeit und deren juristische „Aufarbeitung“ durch eigene Militärtribunale propagandistisch zu nutzen. Dass vor allem das Medium des Films in starkem Maße dazu verwendet wurde, das Rechtswesen der DDR und dessen Wandlung vom „Volks- zum Staatsrecht“ dem Publikum zu vermitteln, weiß Detlef Kannapin anhand von DEFA-Spielfilmen aus der Zeit von 1946 bis 1955 zu veranschaulichen. Besonderen Schwierigkeiten sah sich das SED-System freilich bei der Darstellung des Verbrechens in Fernsehkrimis ausgesetzt. Da sich die Doktrin der kriminalitätsfreien sozialistischen Gesellschaft auf die Dauer nicht durchhalten ließ, musste sie Reinhold Viehoff zufolge – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Eigengesetzlichkeit jenes Mediums – wiederholt modifiziert, wenn nicht korrigiert werden. In seiner medienwissenschaftlichen Analyse von Sendereihen des DDR-Fernsehens, welche die Justiz und das Rechtssystem dem Publikum nahe bringen sollten, geht Henning Wrage auf der Grundlage konkreter Beispiele von der Unterscheidung verschiedener Strukturtypen – nämlich nicht-fiktionaler, semi-fiktionaler und fiktionaler Darstellungsformen – aus. Auch hier trat demzufolge an der inszenatorischen Gestaltung von Bild und Ton die Absicht zutage, die Justiz und ihre Funktionäre der Öffentlichkeit im Sinne der parteiamtlichen Doktrin zu präsentieren. Der abschließende Beitrag Gunter Holzweißigs rundet das Bild eines Staates ab, in dem die Führung unablässig bemüht war, die Medienberichterstattung über politische Prozesse in den Dienst ihrer Propaganda zu stellen.

 

Der Band – der mit einem Personen- und Sachverzeichnis schließt – birgt eine Fülle von Informationen und Material über die „Mediatisierung des Rechts“, vor allem über dessen öffentliche Inszenierung im SED-Staat. Ihm ist fraglos die interdisziplinäre, namentlich medien- und komunikationswissenschaftliche Aufbereitung des Themas zugute gekommen. Damit haben Herausgeber und Autoren in der Tat ein relativ neues Kapitel der juristischen Zeitgeschichte aufgeschlagen, das – wie die Beiträge erkennen lassen – noch in verschiedener Hinsicht weiterer Erforschung harrt.

 

Saarbrücken                                                                                                  Heinz Müller-Dietz