Hauser, Karin, Die Anfänge der Mutterschaftsversicherung. Deutschland und Schweiz im Vergleich. Chronos, Zürich 2004. 320 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der von Hauser weit verstandene Begriff „Mutterschaftsversicherung“, der von dem Belgier Louis Frank mit dessen Werk: „L’assurance maternelle“ von 1897 propagiert worden war, umfasst die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Unterstützungsmaßnahmen für Schwangere und Wöchnerinnen. Während der Begriff in Deutschland nur noch von historischem Interesse ist – er spielte in der Diskussion der späten Kaiserzeit eine wichtige Rolle (S. 73-102) –, wird dieser Begriff in der Schweiz auch noch heute verwendet. Nachdem dort das Projekt einer eigenen Mutterschaftsversicherung viermal gescheitert war, erhielt die Schweiz zum 1. 7. 2005 eine obligatorische Mutterschaftsversicherung, die in die Erwerbsersatzordnung (Verdienstausfall von Militär-, Zivilschutz- und Zivildienst leistenden Personen) integriert wurde. In ihrem Werk, einer unter Clausdieter Schott entstandenen Züricher Dissertation von 2002, befasst sich Hauser nicht primär mit der Geschichte der Mutterschaftsversicherung im engeren Sinne, sondern mit der Entwicklung der gesetzlich angeordneten Unterstützungsleistungen für Wöchnerinnen und Schwangere zwischen 1860 und 1920. Hierbei umfassen die Entwicklungen in Deutschland fast zwei Drittel des Gesamtwerks (S. 23-214), da hier der Mutterschaftsdiskurs ungleich intensiver als in der Schweiz war. Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut. In Anlehnung an die jeweilige Darstellung der Gesetzesentwicklung und die Ausführungen über die Praxis werden jeweils in einem weiteren Kapitel neben den Problemfeldern auch die Argumentationen der Befürworter und Gegner der Mutterschaftsversicherung analysiert. Den Abschluss des Werkes bildet eine präzise zusammenfassende Würdigung (S. 221-327), wobei darauf hinzuweisen ist, dass  die Verfasserin hier nicht mehr auf die weiteren Entwicklungen, insbesondere in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeht, in denen sich die „wirklich folgenschweren Unterschiede“ zwischen Deutschland und der Schweiz herausbildeten (vgl. Regina Wecker in ihrer Rezension des Werkes, in: H-Soz-u-Kult vom 13. 6. 2006).

 

Die Schweiz führte in Anlehnung an eine Regelung im Glarner Fabrikgesetz von 1864 bereits 1877 als erster Industriestaat überhaupt den Mutterschutz in der Weise ein, dass Wöchnerinnen vor und nach ihrer Niederkunft während acht Wochen nicht in der Fabrik beschäftigt werden durften. Die Wiederaufnahme der Arbeit war an den Nachweis geknüpft, dass seit ihrer Niederkunft wenigstens sechs Wochen verflossen waren. Diese Regelung wurde erst durch das 1920 in Kraft getretene Kranken- und Unfallfürsorgegesetz von 1914 ergänzt, wonach den Wöchnerinnen sechs Wochen lang das Krankengeld zu zahlen war. Der obligatorische Schwangerenschutz wurde in diesem Zusammenhang abgeschafft. – Nach dem Vorbild der Schweiz ordnete Deutschland in einer Novelle zur Gewerbeordnung 1878 ein Beschäftigungsverbot von drei Wochen für die Wöchnerinnen nach ihrer Niederkunft an. Als erste Industrienation führte Deutschland mit dem Krankenversicherungsgesetz von 1883/85 für die mit einem Beschäftigungsverbot belegten verheirateten und unverheirateten Fabrikarbeiterinnen eine Wöchnerinnenunterstützung für drei Wochen in Höhe des Krankengeldes (Hälfte des ortsüblichen Tageslohnes) ein. Man kann insoweit von einem dualen System des Mutterschutzes sprechen, das in Deutschland durch mehrere Novellen zur Gewerbeordnung und zum Krankenversicherungsgesetz (u. a. 1891, 1892, 1903, 1908) bis hin zur Reichsversicherungsordnung von 1911 ausgebaut wurde, wenn auch auf einem niedrigen Niveau, so dass der Mutterschutz im Untersuchungszeitraum insgesamt wenig durchgreifend und effizient war. Im Analyseteil stellt Hauser heraus, dass der Mutterschutz zunächst aus sozialhygienischen und ökonomischen Gründen befürwortet wurde. Mit dem Geburtenrückgang und in Anbetracht der hohen Säuglingssterblichkeit kamen in Deutschland zunehmend auch bevölkerungspolitische Argumente in das Blickfeld. Schon Frank hatte 1897 die Mutterschaft als „eine soziale Dienstleistung von nationaler Bedeutung“ bezeichnet, die aus ethischen und wirtschaftlichen Gründen unterstützt werden sollte (S. 97). Inwieweit der Mutterschutz in der Zeit bis 1920 die auf „die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau vom Ehemann ausgerichtete Ordnung der Geschlechterverhältnisse“ bestätigte (vgl. Karin Hausen, in: U. Gerhard, Frauen in der Geschichte des Rechts, München 1997, S. 742f.), wird von Hauser nur am Rande behandelt (vgl. S. 208ff.). Bedauerlich ist, dass Hauser keine Hinweise auf Parallelentwicklungen in den westlichen Industriestaaten Frankreich und England bringt.

 

Mit dem Werk Karin Hausers, die assoziiertes Mitglied der Nachwuchsgruppe „Recht in der Industriellen Revolution“ am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main war, liegt erstmals eine hinreichend breite Darstellung des Mutterschutzrechts für die Zeit bis 1920 vor, die zu Querverbindungen und Vergleichen zwischen dem Sozial- und Arbeitsrecht sowie dem gleichzeitig entstandenen sozialkonservativen Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs einlädt.

 

Kiel

Werner Schubert