Haferkamp, Hans-Peter, Georg Friedrich Puchta und die Begriffsjurisprudenz (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 171). Klostermann, Frankfurt am Main 2004. XVIII, 534 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Georg Friedrich Puchta, Enkel eines Pfarrers, Sohn eines Landrichters, 1796 in Cadolzburg geboren, 1846 in Berlin gestorben, ist trotz seines frühen Todes einer der bekanntesten deutschen Juristen des 19. Jahrhunderts. Nach dem Besuch des Nürnberger Egidiengymnasiums, an dem vom 15. November 1808 bis zu seinem Wechsel nach Heidelberg zum 19. Oktober 1816 Georg Wilhelm Friedrich Hegel als Professor der Vorbereitungswissenschaften und Rektor wirkte, und dem Studium der Rechtswissenschaft in Erlangen wird der umstürzlerische Burschenschaftler bereits 1820 promoviert, 1821 als doctor legens zugelassen und 1823 zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Streben nach Gunst sucht er Hugo, Savigny, Thibaut und andere auf und wird, obwohl er politisch auf der äußersten Rechten gestanden, streitsüchtig und als Vortragender ziemlich langweilig gewesen sein soll, 1828 mit 30 Jahren ordentlicher Professor in München, 1835 in Marburg, 1837 in Leipzig und 1842 auf Grund Wohlgesinntheit Nachfolger Savignys in Berlin.

 

Hans-Peter Haferkamp geht von seiner Zielsetzung her zu Recht nicht besonders auf den unmittelbaren Lebensweg Puchtas ein. Er bietet erfreulicherweise aber in seinem rund fünfzigseitigen Quellen- und Literaturverzeichnis eine Übersicht über die Schriften Puchtas. Danach hat Puchta nach seiner Dissertatio de itinere, actu et via (1820) einen Grundriss zu Vorlesungen über juristische Encyclopädie und Methodologie (1822), fünf Civilistische Abhandlungen über Adversus hostem aeterna auctoritas, Über den Namen der sog. Lex Gallica Cisalpina, Über die Wegservituten des römischen Rechts, Über den Namen des Juristen Gaius und Über die Perioden der Rechtsgeschichte (1823), eine Encyclopädie als Einleitung zu Institutionen-Vorlesungen (1825), Das Gewohnheitsrecht (Teil 1 1828, Teil 2 1837), ein Lehrbuch für Institutionen-Vorlesungen (1829), ein System des gemeinen Civilrechts zum Gebrauch bei Pandektenvorlesungen 1832, ein Lehrbuch der Pandekten (1838, 2. A. 1844, 3. A. 1845, 4. A. hg. v. Rudorff 1847, 12. A. hg. v. Schirmer 1877), eine Einleitung in das Recht der Kirche (1840), einen Cursus der Institutionen (Band 1 1841, 2. A: 1845, Band 2 1842, spätere Auflagen beider Bände 1850, 1853, 1856, 1865, 1871, 1875 hg. v. Rudorff, 8. A. 1875, 9. A. 1881 hg. v. Krüger, Band 3 hg. v. Rudorff 1847, spätere Auflagen 1851, 1854, 1857, 1866, 1871, 1875, 1881) und Vorlesungen über das heutige römische Recht (hg. v. Rudorff Band 1 1847, Band 2 1848), teilweise anonym 47 Aufsätze und teilweise anonym 35 Rezensionen veröffentlicht.

 

Nach den Worten des Verfassers ließen ihn erste Kontakte mit Georg Friedrich Puchta im Rahmen seiner Dissertation über die heutige Rechtsmissbrauchslehre – Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens? (1995) einigermaßen ratlos zurück. Der üblichen Verortungssicherheit Puchtas als naiven Begriffsjuristen habe bei erster Lektüre ein hochkomplexes, schon angesichts seiner philosophisch aufgeladenen Sprache schwer zugängliches Begründungsgebäude gegenüber gestanden. Ganz so einfach zu sein habe es mit Puchtas Jurisprudenz nicht geschienen, doch habe ihm sein Lehrer Rainer Schröder an seinem Lehrstuhl in Bayreuth und Berlin in fast zehn Jahren sehr viel Freiraum gewährt, um die geweckte Neugier in einem Habilitationsprojekt zu befriedigen.

 

Gegliedert ist die daraus entstandene Habilitationsschrift in eine Einleitung, drei Teile und eine Zusammenfassung. Die Einleitung geht von Puchta als Vertreter des entethisierten, willensformalistischen, rein logischen, von allen gesellschaftlichen Bezügen entfernten rechtswissenschaftlichen Positivismus aus, der noch das Bürgerliche Gesetzbuch des Jahres 1900 geprägt haben soll und trotz Freirechtsschule, Interessenjurisprudenz und Wertungsjurisprudenz bis heute nicht als wirklich tot betrachtet werde. Das zusammenfassende Ergebnis lässt vom Begriffsjuristen Puchta dagegen nicht mehr viel verbleiben.

 

Allerdings erscheint auch der Weg dahin nicht ganz einfach. Wie anders lässt es sich erklären, dass ein sachverständiger Rezensent innerhalb dreier Jahre trotz verschiedener Ansätze noch nicht zu einer abschließenden Stellungnahme gelangt ist? Also muss auch hier der Herausgeber den Interessenten einen vorläufigen Sachbericht erstatten.

 

Der erste Teil der gut lesbaren, wichtigen Arbeit behandelt Puchta-Bilder. Er beginnt mit einer Annäherung aus heutiger Perspektive und erfasst daher zunächst das Puchta-Bild in gängigen Handbüchern (Seelmann, Schlosser, Fikentscher, Zippelius, Kroeschell, Laufs, Eisenhardt, Wesenberg/Wesener, Hoke, Rüthers), sucht nach Vorbildern (Larenz, Wieacker, Wilhelm) und weist ein Labyrinth unterschiedlicher Stellungnahmen mit Widersprüchen und Überlagerungen sowie neueren Deutungen eines sympathischen Begriffsjuristen nach, um dann methodische Ausgangsüberlegungen aufzustellen und die zur ihrer Erfüllung herangezogenen Quellen zu schildern. Dem folgt die Annäherung aus historischer Perspektive in drei Vorstudien, die bei Jhering einsetzen und bis Julius Binder reichen und zu fünf Typen  (Lebensfremder, Naturrechtler, Produktiver, Formaler, Autonomer) führen.

 

Der zweite Teil befasst sich mit Puchtas Jurisprudenz im Kontext. Er beginnt mit Puchtas Hinwendung zur Praxis und Bekenntnissen gegenüber Hugo und Savigny sowie Stellungnahmen zur Zeitungslandschaft 1828/1829 gegen die Antiquarischen und Unpraktischen. Hieraus ergab sich ein Hugo mitgeteilter Arbeitsplan Puchtas, der die Praxis in der Enzyklopädie als Rechtsquelle einsetzte, in den Pandektenvorlesungen in einem System des heutigen römischen Rechts verwertete und in einem Aufsatz über die negatoria quoat hanc materiam eine wissenschaftliche Gestalt zu geben und damit sein Methodenprogramm in Dogmatik umzusetzen versuchte.

 

Das zweite Kapitel dieses Teiles betrifft das Juristenrecht als das Recht der Praxis in den Jahren 1822 bis 1828. Ausgehend von der Problematik des Gewohnheitsrechts erwächst hier das Juristenrecht als ein Reformprogramm, wofür der Verfasser auch eine bisher unbekannte Stellungnahme Puchtas in den bayerischen Kodifikationsdebatten verwerten kann. Die Durchführung des Methodenprogramms kann er in den dogmatischen Studien über die Negatorienklage (1827) und über die expressa causa (1828) verfolgen und im Anschluss hieran die wissenschaftliche Seite des Juristenrechts vertiefen.

 

Gegenstand des dritten Kapitels ist das System der Rechte. Für dieses erweist der Verfasser erste Systemversuche in den Jahren 1822 und 1825. Ausgangspunkt von Puchtas System ist der Streit um die Rechtsnatur des Besitzes, womit Savignys Recht des Besitzes von 1803 zum Vorbild für alle ähnlichen Arbeiten wird.

 

Das vierte Kapitel wendet sich den philosophischen Vertiefungen in den Jahren 1829 bis 1841 zu. Es beginnt mit einem offenen Bekenntnis zur Philosophie als Grundlage der Jurisprudenz und dem Disput zwischen Puchta und Stahl als einem philosophischen Grundlagenstreit. Besondere Bedeutung gewinnen dabei Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Münchener Vorlesungen der Jahre 1828 bis 1834 und ihre Auswirkungen auf den von 1828 bis 1835 in München lebenden Puchta.

 

Kapitel fünf bringt Präzisierungen mit Blick auf Puchtas Pandekten der Jahre 1838 bis 1846. In diesem Zusammenhang werden Abweichungen von Savigny in der Interpretationslehre erarbeitet. Außerdem wird die Wendung vom Juristenrecht zum Recht der Wissenschaft verfolgt, wobei als verbleibende Schranken der Freiheit göttliche Gebote und gute Sitten sowie Prinzipien des bestehenden Rechts betont werden und Wissenschaft als Suche nach dem Vernünftigen im Wirklichen beschrieben wird.

 

Der dritte Teil analysiert das Verhältnis zwischen Puchta und der Begriffsjurisprudenz. Er geht von Puchtas System aus und fragt dabei nach mos geometricus oder organischem System. Hierauf gründet sich dann Puchtas Konzept wissenschaftlicher Rechtsfortbildung sowohl in Bezug auf das Verfahren wie auch in Bezug auf die Flexibilität, ehe mit Jherings Ruf nach der heilsamen Inkonsequenz geschlossen wird.

 

Im Ergebnis führt Hans-Peter Haferkamp den negativ besetzten Vorwurf der Begriffsjurisprudenz auf Rudolf von Jhering zurück, der Puchta zunächst als Lehrmeister anerkannt hatte, ihn aber seit den 1860er Jahren wegen zu enger Befolgung der römischen Quellen und Klebens an den hieraus entwickelten Begriffen in der konkreten Dogmatik bemängelte. Seit 1884 fand dabei Jherings spöttische Wiederholung der Kritik in verändertem Umfeld breite Zustimmung und wurde auch Puchtas Methodenprogramm angegriffen, wobei seine Begriffsbildung, seine Quellenarbeit und sein Systemverständnis unter Metaphysikverdacht gerieten, bis schließlich Puchta nach 1918 Teil antiliberaler, ethisierender Bestrebungen in der Rechtswissenschaft geworden sei.

 

Tatsächlich bleibe von den Vorwürfen gegen Puchtas Jurisprudenz nicht viel. Puchtas Rechtsbegriff sei nicht der kantische Freiheitsbegriff und die logische Darstellung des Rechts lasse die organische Eigenstruktur unberührt. Weder das Juristenrecht noch das Recht der Wissenschaft behaupteten, rein logische Ableitungen seien rechtsbegründend.

 

Puchta habe der Leistungsfähigkeit seines zeitgenössischen Gesetzgebers misstraut und demgegenüber wie bereits Savigny auf das überkommene römische Recht gesetzt. Um die Zerschlagung des in Rom erreichten Gerechtigkeitswerts und der Wertungskonsistenz des organischen Rechtszusammenhangs durch freien Zugriff auf das Leben zu verhindern, habe er nur vorsichtig-annähernde, rational-wissenschaftliche Fortbildung des Rechts zugelassen. Da er seine Gedanken in der weitgehend unverständlichen Sprache Schellings vorgetragen und auch wie beispielsweise für die Stellvertretung allgemein nicht mehr anerkannte, überholte Lösungen vertreten habe, sei allmählich von seinen tatsächlichen Leistungen nur noch ein abschreckendes Zerrbild geblieben, dessen Entzerrung dem Verfasser in sorgfältiger, einfallsreicher und selbständiger Art und Weise überzeugend gelungen erscheint.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler