Dirks, Christian, „Die Verbrechen der anderen“. Auschwitz und der Auschwitz-Prozess in der DDR. Das Verfahren gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart). Schöningh, Paderborn 2006. 406 S., Ill. Besprochen von Arnd Koch.

 

Seit der Mitte der 1950er Jahre nutzte die Deutsche Demokratische Republik die juristische Aufarbeitung von nationalsozialistischen Verbrechen als Propagandainstrument. Versäumnissen der Bundesrepublik wurde die eigene Entschlossenheit zu unnachsichtiger Verfolgung gegenübergestellt. Die DDR erschien als der deutsche Staat, der seinen „Verpflichtungen bei der Verfolgung und Bestrafung der Verbrechen des Faschismus und Militarismus vorbildlich nachgekommen (war)“, (Autorenkollektiv, Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR 1961-1971, 1986, S. 248). Tatsächlich aber hat es in der DDR, so Dirks´ sorgfältig begründetes Resümee, eine systematische Verfolgung von NS-Verbrechen zu keinem Zeitpunkt gegeben, vielmehr herrschte eine „Systematik der Nichtverfolgung“ (S. 330 ff.; hierzu jüngst auch Henry Leyde, NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR, 2. Aufl. 2006). Die Verfolgung von NS-Verbrechen war kurz nach Gründung der DDR praktisch zum Erliegen gekommen, die Untaten der Nationalsozialisten erschienen fortan, so Titel und Leitmotiv der Abhandlung, als „die Verbrechen der anderen“ (Jurek Becker).

 

Eine Ausnahme bildete vor allem der Prozess gegen Horst Fischer, den ehemaligen stellvertretenden SS-Standortarzt von Auschwitz, den das Oberste Gericht der DDR im März 1966 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – in unmittelbarer Anwendung von Art. 6 c des Statuts für den Internationalen Gerichtshof – zum Tode verurteilte. Ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geriet Fischer, der unbehelligt unter seinem Namen als Landarzt praktiziert hatte, wegen seiner Westkontakte. Das Ostberliner Verfahren, für Dirks ein „Schauprozess“ (S. 334), wurde als Gegenstück zu den Frankfurter Auschwitzprozessen inszeniert und propagandistisch aufbereitet. Das „Drehbuch“ stammte vom MfS, das zugleich die Ziele des Prozesses definierte. So galt es, Einfluss auf die Verjährungsdebatte in der Bundesrepublik und den zweiten Frankfurter Auschwitzprozess zu nehmen, die Verantwortung der IG Farben für Auschwitz herauszuarbeiten und die bundesdeutsche Strafjustiz zur Anwendung völkerrechtlicher Normen zu bewegen. Unter  Auswertung zahlreicher Archivbestände gelingt es Dirks, das wohl bedeutendste NS-Verfahren der DDR zu rekonstruieren und in den Kontext der – jede auf ihre Weise gescheiterten – deutsch/deutschen Aufarbeitung des NS-Unrechts zu stellen.

 

Jena                                                                                                               Arnd Koch