Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867. 2. Abteilung Das Ministerium Schwarzenberg. Band 2 8. Jänner 1850-30. April 1850, bearb. u. eingel. v. Kletečka, Thomas/Schmied-Kowarzik, Anatol unter Mitarbeit v. Gottsmann, Andreas. öbv & hpt, Wien 2005. LVII, 396 S.

Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867. 2. Abteilung Das Ministerium Schwarzenberg. Band 3 1. Mai 1850-30. September 1850, bearb. u. eingel. v. Kletečka, Thomas/Schmied-Kowarzik, Anatol unter Mitarbeit v. Gottsmann, Andreas. öbv & hpt, Wien 2006. CLII, 361 S. Besprochen von Thomas Olechowski.

 

Die beiden Bände schließen nahtlos an den 2003 erschienenen Band 1 an, welcher die Zeit von der Bildung des Ministeriums Schwarzenberg (5. Dezember 1848) bis zum 7. Jänner 1850 behandelte. Art und Weise der Edition wurden unverändert beibehalten, selbst die Orthographie richtet sich weiterhin nach den 2005 außer Kraft getretenen Regeln, da es – zu Recht – nicht sinnvoll erschien, diese mitten in einem Gesamtwerk zu ändern. Es kann bezüglich alles Editionstechnischem und auch bezüglich der unverändert hohen Qualität auf die Besprechung zu Band 1 verwiesen werden (in dieser Zeitschrift, Bd. 122 (2005) 770–773).

 

Der Alleinbearbeiter des ersten Bandes, Thomas Kletečka, hat nun zwei jüngere Mitarbeiter hinzugezogen, von denen Anatol Schmied-Kowarzik schon seit dem Jahr 2000 im Rahmen des Forschungsprojektes „Ministerratsprotokolle“ mitgearbeitet hat und Andreas Gottsmann als Mitarbeiter der Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ebenfalls bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt hat. Die Bearbeitung der Protokolle lag also wieder einmal in kompetenten Händen.

 

Der mit den beiden Protokollbänden behandelte Zeitraum fällt in jene Phase der österreichischen Verfassungsentwicklung, die von manchen Historikern bereits dem Neoabsolutismus zugerechnet wird (vgl. statt vieler etwa Karl Vocelka, Geschichte Österreichs, München 2000, 206). Die Unrichtigkeit dieser Behauptung geht aus den Protokollen klar hervor: Die konstitutionelle Reichsverfassung vom 4. März 1849 sowie das sie ergänzende Grundrechtspatent gleichen Datums sind in Kraft, an ihrer Umsetzung wird zügig gearbeitet. So haben fast alle Kronländer bereits um die Jahreswende 1849/50 auf Basis der Reichsverfassung Landesverfassungen erhalten; nunmehr steht jene für Galizien an, welche insbesondere im Sommer 1850 Gegenstand intensiver Beratungen ist. Innenminister Alexander Bach entwickelt hier den Plan, den galizischen Landtag in drei faktisch selbständige Kurien (L’viv/Lemberg, Kraków/Krakau, Stanisławów/Stanislau) aufzuteilen, was einer politischen Dreiteilung des Landes gleichgekommen wäre, ausdrücklich mit dem Ziel, die regierungstreuen Ruthenen (= Ukrainer) zu begünstigen und die regierungsfeindlichen Polen zu schwächen. Nach Einwänden von Unterrichtsminister Leo Thun und Finanzminister Philipp von Krauß wird jedoch an der politischen Einheit des Landes festgehalten und nur eine Dreiteilung der Administration festgesetzt. In dieser Form erhält die galizische Landesverfassung zugleich mit der Landesverfassung für die Bukowina am 29. September 1850 die kaiserlichen Sanktion. – Auf Basis des Provisorischen Gemeindegesetzes, welches schon am 17. März 1849 in Ausführung der Reichsverfassung ergangen ist, erhalten zwischen März und November 1850 die wichtigsten Städte (Wien, Prag, Triest, Lemberg, ...) auch besondere Gemeindestatute. Die Verfassung der reichsunmittelbaren Stadt Triest ist zugleich deren Landesverfassung; nur dieser Doppelstellung verdankt sie es, dass sie – so wie die anderen Gemeindestatute – auch tatsächlich umgesetzt wird. Die übrigen Landesverfassungen hingegen bleiben unausgeführt, und auch die Durchführung der Reichsverfassung bleibt in ihren wichtigsten Punkten stecken: Weder ein Wahlgesetz für den Reichstag (§§ 43f.) noch ein Gesetz über das Reichsgericht (§ 107) werden erlassen, ja im hier behandelten Zeitraum im Ministerrat nicht einmal behandelt. Somit ist die fragliche Periode zwar nicht als Neoabsolutismus (welcher mit dem Vorhandensein einer Konstitution unverträglich wäre), aber auch nicht als echter Konstitutionalismus zu werten, vielmehr als „Scheinkonstitutionalismus“, geprägt durch einen eklatanten Widerspruch zwischen dem Anschein, welchen sich die Monarchie mit Reichsverfassung und Landesverfassungen gab, und der Realität, die von einem autoritären Regierungsstil (gestützt auf § 120 Reichsverfassung) und der Militärdiktatur über weiten Teilen des Landes geprägt war.

 

Diese Situation wurde besonders beim Problem Ungarn deutlich: Dieses stand seit der Kapitulation von Vilagós 1849 unter Militärverwaltung, das in § 71 Reichsverfassung verheißene Landesstatut für Ungarn wurde im Ministerrat nicht einmal in Angriff genommen, vielmehr am 26. Juni 1850 eine Neuregelung der politischen Verwaltung in Ungarn beraten, durch die die Militärverwaltung nur zurückgedrängt, nicht aufgehoben werden sollte. Diese Bestimmungen erhielten auch am 8. September 1850 die kaiserliche Sanktion. Am 6. Juni 1850 wurde der Oberkommandierende in Ungarn Julius von Haynau in den Ruhestand versetzt, aber auch dies konnte die Vertreter der Ungarn nicht besänftigen, eine Einladung des Justizministers Anton von Schmerling an Franz Deák, an einer Kommission zur Aufhebung der sog. Avitizität (= Unveräußerlichkeit des adeligen Grundbesitzes) mitzuwirken, wurde von diesem abgelehnt (II/2, 310). Von großer Bedeutung schließlich war die Aufhebung der Zollgrenze zwischen Ungarn und Cisleithanien mit Wirkung vom 1. Oktober 1850.

 

Der ungewisse Schwebezustand, der seit 1848 über der Monarchie herrschte, machte sich zuweilen in geradezu skurrilen Kompetenzstreitigkeiten bemerkbar: So war z. B. der altständische Landesausschuss für Kärnten (mangels Einberufung eines konstitutionellen Landtages entsprechend der neuen Kärntner Landesverfassung) noch 1850 aktiv und beanspruchte für sich all jene Rechte, die ihm nach der neuen Reichs- und Landesverfassung zukamen – was vom Ministerrat als ein offensichtliches „Mißverständnis“ gewertet wurde (II/3, 206).

In anderen Bereichen wurden bei der Durchführung der Reichsverfassung große Fortschritte erzielt: So erhielt am 17. Jänner 1850 die neue Strafprozessordnung die kaiserliche Sanktion, welche den in § 103 Reichsverfassung vorgesehenen Grundsätzen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit sowie vor allem des Anklagegrundsatzes anstatt der bisherigen Inquisitionsmaxime zum Durchbruch verhalf. Dies machte eine Reihe weiterer legislativer Maßnahmen erforderlich: Hier sind vor allem das organische Gesetz für die Gerichtsstellen vom 28. Juni 1850 und das Gesetz über den Obersten Gerichtshof vom 7. 8. 1850 anzuführen. Aber auch die Notariatsordnung vom 29. September 1850 muss in diesem Zusammenhang genannt werden, denn auch die Wiederbelebung des im 18. Jahrhunderts „marginalisierten Instituts“ des Notariats (II/3, XV) war eine mittelbare Folge der Beseitigung der alten Patrimonialgerichte (§ 100 Reichsverfassung), in welchem Zusammenhang die meisten Justizreformen der damaligen Zeit gesehen werden müssen.

 

Von den Bestimmungen des Grundrechtspatents 1849, welche zur Ausführung gelangten, ist vor allem auf jene hinzuweisen, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche regelten: Am 31. März 1849 hatte der damalige Innenminister Franz Graf Stadion die erste österreichische Bischofskonferenz einberufen, und deren umfangreiches Forderungsprogramm wurde im Ministerrat ab Jänner 1850 eingehend diskutiert; in der Folge ergingen zahlreiche Verordnungen etwa bezüglich des Unterrichts oder bezüglich der Einhaltung der Sonn- und Feiertagsruhe.

 

Auch Außenpolitik kam im Ministerrat zur Sprache: Hier ging es vor allem um die Deutsche Frage, die seit dem Scheitern der Paulskirchenversammlung unentschieden war. Die preußischen Pläne einer Deutschen Union im Sinne der kleindeutschen Lösung, der Österreich nur lose angeschlossen sein sollte, wurden vom österreichischen Ministerpräsidenten Schwarzenberg durchkreuzt, und am 10. Mai 1850 wurde in Frankfurt die Bundesversammlung (wenn auch vorerst noch ohne preußische Beteiligung) wieder eröffnet.

 

Mit den beiden hier besprochenen Bänden hat das Österreichische Ost- und Südosteuropainstitut nunmehr 21 Protokollbände zur Geschichte des österreichischen Ministerrates veröffentlicht. Das Institut selbst ist mit Jahresende 2006 geschlossen worden, was in der Fachwelt mit großem Bedauern – und angesichts der großen Leistungen des Instituts auch mit Unverständnis – zur Kenntnis genommen wurde. Wie Stefan Malfér, der Leiter der Gesamtredaktion des Editionsprojektes, im Vorwort zu Band II/2 versichert, konnten jedoch die „Personalkosten für die Bearbeitung aller noch ausstehenden Bände abgesichert werden“ (VII). Dem österreichischen Wissenschaftsministerium und dem Forschungsförderungsfonds, welche dies ermöglicht haben, sei gedankt, dem Erscheinen der noch ausstehenden Bände wird mit Freude entgegengesehen.

 

Wien                                                                                      Thomas Olechowski