Burghard, Stefan, Professor Dr. Wilhelm Kahl – Leben zwischen Wissenschaft und Politik (= Rechtshistorische Reihe 320). Lang, Frankfurt am Main 2005. 200 S. Besprochen von Stefan Danz.

 

Dass die Weimarer Republik an den fehlenden Republikaner gescheitert sein soll, ist eine oft wiederholte These. Allein der revolutionäre Wechsel rief eine antirepublikanische Haltung hervor und dennoch arrangierten sich viele Deutsche in den Jahren mit der republikanischen Staatsform. Hierzu gehörte auch der Staats- und Kirchenrechtler Wilhelm Kahl, der aufgrund seines politischen Wirkens in der Republik im Fokus dieser Kieler Dissertation steht.

 

Die Arbeit beginnt mit einigen biographischen Notizen einschließlich des akademischen Werdegangs: Jahrgang 1849, Kriegsteilnehmer im deutsch-französischen Krieg, Studium in Erlangen und München, Ordinarius in Rostock, Erlangen, Bonn und schließlich Berlin. Dem schließt sich ein sehr verknappter Überblick über die staats- und kirchenrechtlichen Arbeiten sowie einigen wenigen strafrechtlichen Veröffentlichungen an. Dem Verfasser geht es auch nicht um das wissenschaftliche Werk Kahls, sondern vielmehr dessen (partei-)politisches Leben vor und im Wesentlichen nach dem Ersten Weltkrieg. Obschon seit 1874 Mitglied der Nationalliberalen Partei, gibt es mit Ausnahme eines Engagements in der überparteilichen und kaisertreuen „Freien Vaterländische Vereinigung“ für die Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zunächst keine nennenswerten politischen Aktivitäten.

 

Erst mit dem Untergang des Kaiserreichs in der Novemberrevolution und der Entscheidung für eine verfassunggebende Versammlung wurde sein politisches Wirken nachhaltiger. Von Anfang an engagiert in der Deutsche Volkspartei um Gustav Stresemann leitete er unter anderem deren sämtliche Parteitage und hatte noch weitere Parteiämter inne. 1919 wurde er für die DVP zum Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung gewählt, wo er als Mitglied des Verfassungsausschusses unmittelbar an der Genese der Verfassung beteiligt war. Anhand der stenographischen Berichte folgt Burghard in einem sehr dokumentarisch gehaltenen Stil akribisch Kahls Anträgen und Redebeiträgen in den Beratungen. Hervorzuheben aus den Äußerungen ist insbesondere sein Staatsverständnis und die hieraus resultierende, wenn auch in der Arbeit nicht weiter verfolgte Diskontinuitätsthese. Durch die Revolution sei es zu einem Bruch des Staatswesens gekommen und die Republik ist für den monarchietreuen Kahl daher ein Staat von gänzlich anderer Art. Blieb er damit in Weimar letztlich fast allein, denn Hugo Preuß und mit ihm sowohl die Mehrheit der Nationalversammlung als auch die nachfolgende staatsrechtliche Literatur nahmen lediglich eine Verfassungsänderung eines an sich identischen Staates an, stieß er dennoch eine Diskussion mit an, die sich durch die gesamte Republik ziehen sollte.

 

Aus den weiteren referierten Redebeiträgen im Ausschuss und in der Nationalversammlung sprach vor allem der im Kaiserreich sozialisierte Monarchist, so wenn er beispielsweise die mangelnde Reife der Frauen für ihre politische Rolle (S. 101) feststellte oder die Revolution als Grundübel der aktuellen Verhältnisse bezeichnete und unverkennbar, wenn er die Monarchie als Traditionsquelle und Staatsform anpries, die Republik als vorläufig betrachtete und einen Farbenwechsel in der Flaggenfrage ablehnte. Nicht überraschend war daher auch seine verbale und tatsächliche Ablehnung des Versailler Friedensvertrages als Schmach und Diktatfrieden, womit er sogar unfreiwillig den Boden für spätere nationalsozialistische Propaganda bereitete.

 

Der Weimarer Nationalversammlungszeit folgte bis zu seinem Tod 1932 eine ständige Mitgliedschaft im Reichstag. Die von Burghard aus dieser Zeit wiedergegebenen Quellen, in erster Linie die Redebeiträge Kahls, zeigen dabei nicht nur den DVP-Abgeordneten, sondern zugleich einen kleinen Ausschnitt aus den Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb der Weimarer Parteien. Mit den – zum Teil überlangen – Zitaten wird dabei ein Bürgerlicher präsentiert, der eine volkstümliche, soziale Monarchie für die bessere Staatsform hielt (S. 131), die Republik als verfassungsrechtliche Tatsache aber akzeptierte und das Attribut eines „Vernunftrepublikaners“ nicht mehr verleugnen konnte (S. 142), denn solang die geltende Verfassung eine solche Staatsform vorgebe, war für ihn deren gewaltsame Beseitigung rechtlich nicht begründbar. Für den politischen Juristen Kahl galt das (Verfassungs-)Recht und der Rechtsstaat im besten liberalistischen Sinne als das höchste Gut, hieran war für ihn jedes politische Handeln auszurichten und zu messen, bis hin zur Ablehnung von Misstrauensvoten, selbst gegen die Mehrheitsmeinung der eigenen Partei. Nach Jahren der Parlamentszugehörigkeit fand er dann sogar lobende Worte für die zumeist die Form wahrenden Kommunisten, während eine Zusammenarbeit mit den anstandslosen Nationalsozialisten für ihn nicht in Betracht kam (S. 164f.).

 

Insgesamt hat Burghard nur sehr spärlich die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem für die Weimarer Republik symbolischen Akteur gesucht und lieferte stattdessen eine personenbezogene Quellenedition. Unbefriedigend bleibt dabei vor allem, dass die politischen Statements im Wesentlichen unreflektiert und losgelöst von einer wissenschaftlichen Grundhaltung abgespult werden, obwohl der Titel gerade eine solche Verknüpfung nahe legt. Der Erkenntnisgewinn durch die Arbeit ist daher mäßig. Getrübt wird dieser Gesamteindruck – neben einigen stilistischen Schwächen – dann zusätzlich, wenn der Verfasser beispielsweise den Beschluss über die Weimarer Reichsverfassung auf den 22. Juni 1919 datiert (S. 74).

 

Jena                                                                                                               Stefan Danz