Brunner, Verena/Ladurner, Thomas/Zeller, Karl, Volkszählung in Südtirol. Die Neuregelung der Sprachgruppenerhebung unter besonderer Berücksichtigung EU-rechtlicher Vorgaben. Athesia, Bozen 2007. 399 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

1919 annektierte Italien als Lohn für seinen Kriegseintritt auf Seiten der Alliierten (Zusage Großbritanniens 1912) das seit der Völkerwanderung bayerisch besiedelte, 1363 an Habsburg gelangte Land Tirol bis zu der von ihm als natürliche Grenze angesehenen Passhöhe des Brenner und bemühte sich durch rigide Maßnahmen um eine rasche Italienisierung des dadurch vom Norden und Osten abgetrennten Süden Tirols, dessen Bevölkerung 1918 zu rund 3 Prozent italienischsprachig gewesen war. 1946 musste Italien aber nach Niederlage der Achsenmächte im zweiten Weltkrieg die Internationalisierung der dadurch entstandenen Fragen hinnehmen und mit Österreich eine Vereinbarung (Gruber-Degasperi-Abkommen) schließen. In diesem als integrierender Bestandteil in den Friedensvertrag zwischen den alliierten Siegermächten und Italien aufgenommenen Abkommen verpflichtete sich Italien zur Gewährung des Unterrichts in der deutschen Muttersprache, zur Gleichstellung der deutschen Sprache in öffentlichen Ämtern und zur zweisprachigen Ortsnamengebung, zur Gleichberechtigung bei der Zulassung zu öffentlichen Ämtern unter Einhaltung eines angemessenen Proporzes sowie zur Gewährung einer autonomen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt in Südtirol.

 

Auf dieser Grundlage erarbeitete Italien ohne konkrete Einbeziehung der Vertreter der Südtiroler Minderheit ein auf das italienischsprachige Trentino ausgedehntes, 1948 in Kraft getretenes Autonomiestatut, dessen wesentliche Zuständigkeiten der gesamten Region Trentino-Südtirol zugeteilt wurden, während das darin enthaltene Teilgebiet Provinz Bozen nur eine bescheidene Selbstverwaltung erhielt. Erforderliche Durchführungsbestimmungen wurden nicht erlassen, die zugesagte Delegation der Kompetenzen von der Region auf die Provinz Bozen nicht eingehalten. Erst Kundgebungen und Anschläge konnten Italien, das in der Wirklichkeit 90 % der Stellen im Staatsdienst und mehr als 80 % der Sozialwohnungen Angehörigen der italienischen Sprachgruppe zugeteilt hatte, unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit zur Einsetzung einer Neunzehnerkommission zur Ausarbeitung einer verbesserten Autonomielösung am 1. September 1961 bewegen.

 

Das daraufhin am 20. 1. 1972 in Kraft getretene zweite Autonomiestatut gewährte dem Land Südtirol eine weiter reichende Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt. Auf seiner Grundlage wurde 1976 die Durchführungsbestimmung über den ethnischen Proporz erlassen. Im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Stellen oder öffentlicher Wohnbauförderungen kam der Ermittlung der Anspruchsberechtigten nun immer größere rechtliche Bedeutung zu.

 

Nach diesem historischen Rückblick, kurzen Ausführungen über das zu Grunde gelegte Verständnis von Minderheit, Volkszählung und Sprachgruppenerklärung, einer allgemeinen Übersicht über die Erhebungsarten und Erhebungsmethoden der Sprachgruppenzugehörigkeit mit dem Ergebnis, dass es keine allgemein gültige optimale Erhebungsmethode gibt, dass aber einige Prinzipien sich als Grundregeln herausgebildet hätten, und einer Betrachtung des Verhältnisses von Sprachgruppenzugehörigkeit und ethnischem Proporz verfolgen die Autoren die Sprachgruppenerhebung in Südtirol von den Anfängen bzw. vertieft von 1981 bis zur Gegenwart sehr sorgfältig und umsichtig. Besonderes Augenmerk widmen sie der von interessierter Seite zur Diskussion gestellten Datenschutzproblematik und der europarechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ihre Ergebnisse fassen sie übersichtlich und verständlich zusammen.

 

Demnach wurden zwar im Laufe der Jahrzehnte Einzelheiten der Erhebung, Aufbewahrung und Geltungsdauer der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung verändert. Die überwiegende Zahl der Südtiroler wird aber weiterhin im Besitz einer Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung sein, welche die Grundlage für die Anwendung der Proporzregelung darstellt (2001 445234 Umschläge mit Erklärungen bei einer Wohnbevölkerung von 460635 Personen, davon 428691 gültig, davon 69,15 % der deutschen, 26,47 % der italienischen und 4,37 Prozent der ladinischen Sprachgruppe zugehörig). Die Proporzregelung erscheint auch zumindest mittelfristig europarechtskonform.

 

Abgerundet werden diese einleuchtenden Ergebnisse der drei Autoren, von denen der Abgeordnete Karl Zeller schon 1991 eine wichtige Untersuchung über Volkszählung und Sprachgruppenzugehörigkeit in Südtirol vorgelegt hatte, durch ein umfassendes Literaturverzeichnis vor allem auch vieler Zeitungsartikel und durch einen umfangreichen Dokumentenanhang (178-398). Damit erweist sich das Werk als ebenso beispielhaft wie die in der Gegenwart inhaltlich gut ausgestaltete und international abgesicherte Autonomie Südtirols auf europäischer Ebene. Möge die klar lesbare und gut aufgebaute Arbeit mediatorisch das konfliktfreie Zusammenleben in Südtirol fördern und sichern.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler