Berkowitz, Roger, The Gift of Science. Leibniz and the Modern Legal Tradition. Harvard University Press, Cambridge Massachusetts 2005. XVIII, 214 S. Besprochen von Marcel Senn.

 

Berkowitz’ Buch ist die überarbeitete Fassung seiner Dissertation in den Fachbereichen Jurisprudence and Social Policey, die er am University College von Berkeley 2001 einreichte. Der Autor ist zwischenzeitlich Visiting Assistant Professor of Political Studies and Human Rights am Bard College.[1]

 

Ein längeres Vorwort und eine Einleitung von rund zwanzig Seiten eröffnen das Buch. Das Thema selbst wird auf 167 Seiten in etwa drei gleich langen Kapiteln abgehandelt. Sie schildern Leibniz’ wissenschaftliche Gerechtigkeitslehre (From Insight to Science, 17-70), das Allgemeine Preussische Landrecht (From Recht to Gesetz, 71-101) sowie Savigny, das BGB und die Rechtswissenschaft (From Science to Technique, 103- 158). Diese drei Kapitel zeichnen den Weg einer sich selbst ausdifferenzierenden Rechtswissenschaft nach, die durch Leibniz initiiert und formuliert, zum gesetzten Recht im ALR führt, und über die Historische Rechtsschule zum technischen Recht des BGB sich weiter entwickelt. Eine „Conclusion“ von zwei Seiten beendet die Darstellung; hierauf folgt noch eine fünf Seiten umfassende Bemerkung zum wissenschaftlichen Vorgehen.

 

Das Buch ist in englischer Wissenschaftssprache, aber allgemein verständlich geschrieben. Es ist in sich klar sowie gut nachvollziehbar aufgebaut. Im ersten Teil ist mir besonders positiv aufgefallen, dass sich der Autor ebenso einsichtig wie klug auf einen Grundlagenaspekt von Leibniz’ Theorie konzentriert. Er sieht - was sonst eher übersehen wird -, dass sein Philosoph stets vom Gottesbegriff ausgeht und dass dieser Referenzpunkt in der Werkanalyse präsent zu halten ist. Der Autor arbeitet damit eine Typik der zeitgenössischen Argumentationsweise heraus, wie sie sich in allen bedeutenden Theorien des Vernunftzeitalters - so auch bei Spinoza oder Wolff - wieder findet. Dieser wissenschaftstheoretische Referenzpunkt steht - entgegen landläufiger Ansichten - keineswegs im Widerspruch zum säkularisierten Denken der Zeit, sondern er gehört ebenso vollkommen wie natürlich zum Denkansatz. Umgekehrt lässt sich ja auch in den Schriften der Mystiker des 17. Jahrhunderts (beider Konfessionsrichtungen) das Immanenzprinzip feststellen. Auch wenn Berkowitz diese Grundeinsicht in seiner Analyse folgerichtig durchzieht, so erscheint mir die Ausrichtung der Perspektive alleine auf die Person von Leibniz, als dem großen Geistesfürsten („the first thinker“), zu eng. Die Zeitgenossen, auf deren Impulse Leibniz’ Denkansätze beruhen, werden, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt.

 

Was im ersten Teil noch als Fokussierung gesehen werden kann, beginnt (mich jedenfalls) im zweiten und dritten Teil trotz immer wieder erhellenden und einleuchtend formulierten Einsichten zunehmend zu stören. Die Stringenz der monothematischen Linienführung ist vielleicht adressatenfreundlich, doch ist die Wirklichkeit stets lebendiger als die abstrakte Theorie oder didaktische Absicht. Die kausal-lineare Rekonstruktion einer Entwicklungsreihe von Leibniz zum ALR und von Savigny zum BGB wirkt letztlich doch aufgesetzt und einengend. Historische Querbezüge zu Entwicklungen, die sich nicht mit dem Philosophen bzw. mit der Historischen Rechtsschule und Savigny verbinden lassen, wie sie jedoch parallel in Frankreich, Österreich und der Schweiz sich ereigneten oder wie sie zu den allgemeinen sozialen und ökonomischen als auch wissenschaftstheoretischen Entwicklungen ergäben, fehlen weitgehend. Die Darstellung verklammert sich zunehmend in den binnenwissenschaftlichen Diskurs einer typisch „deutschen Rechtsgeschichte“, wie wir sie aus den älteren Abhandlungen, Hand- und Lehrbüchern des letzten Jahrhunderts längst kennen. Daran ändern weder der spürbar wache Geist des Autors noch seine Formulierungskünste etwas.

 

Somit liegt eine zunächst mehr oder weniger philosophiehistorische Untersuchung vor, die in eine rechtstheoretisch unterfütterte Privatrechtsgeschichte mündet, freilich mit zahlreichen erhellenden Einsichten. Eine davon nimmt immerhin einen Abschnitt ein und stellt einen wenig beachteten Aspekt von „Savignys Rechtswissenschaft und die christliche Gleichheit“ vor (129ff.). Doch insgesamt fehlen meiner Ansicht die neuen Gesichtspunkte, insbesondere mit Bezug aufs 19. Jahrhundert.

 

Den Grund dafür sehe ich einerseits im gewählten Theorieansatz, der ebenso heterogen wie inkonsistent ist. Er setzt sich aus der Existenzialphilosophie eines Nietzsche und Heidegger sowie der Soziologie eines Weber und Luhmann zusammen, wobei die Gunst Heidegger zukommt (167). Solcher Theorienmix ist gegenwärtig zwar postmodern, doch wissenschaftstheoretisch führt solches Unterfangen stets zu einem hilflosen Konglomerat, das eine Darstellung (auch eines mehr oder weniger bekannten Stoffes wie vorliegend) nicht besser zu ordnen vermag. Theoretischer Anspruch und praktische Einlösung werden dadurch nicht zur Deckung gebracht. Was hier, wie andernorts auch, augenfällig wird, ist die Tatsache, dass die geschichtliche Beschreibung der Phänomene bei so hohen und heterogenen Theorieansprüchen meist ganz gewöhnlich daher kommt. Dadurch wird weder der Theorie im Allgemeinen noch dem Thema im Besonderen jeweils ein Dienst erwiesen. Theorie wird damit zum gelittenen Piercing deskriptiver Normalität. Anderseits spielt gerade vorliegend auch eine gewisse Selbstverliebtheit des Autors eine Rolle. Dies drückt sich schon in der Wahl des überschwänglich formulierten Titels The Gift of Science aus. Damit meint Berkowitz keienswegs nur Leibniz, der mit seinem Werk die Wissenschaft tatsächlich auch grundlegend bereichert hat, sondern er glaubt, mit seinem Buch ebenso sehr seiner Leserschaft ein wissenschaftliches Geschenk zu überreichen, weshalb er nicht müde wird zu betonen: this book tells, this book shows, this book argues. Das Buch, die Botschaft, die Erkenntnis, das ist auch ein bisschen jener amerikanische Missionsstil, über den man in Old Europe die Nase rümpft. Auch im Handwerklichen überzeugt das Buch nicht voll. Einschlägige Grundlagenliteratur zum Thema (etwa Stolleis, Welzel, Röd oder Finkenauer) wie die Literatur zu Leibniz’ Wirkung wird nicht wahrgenommen[2], was deshalb unverständlich ist, weil der Autor mehrfach am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt weilte. Die Literatur wird zwar ausgewiesen, doch fehlt ein Literaturverzeichnis, weil der Autor vermeint, er müsse stattdessen seine Leser in die paar ihm besonders wichtigen Werke - allerdings mehr knapp als konzis - einführen. Bei einem Fachpublikum dürfte dies die falsche Wahl sein. Schaut man schließlich etwas genauer hin, dann stellt man fest, dass der größere Teil der Literatur aus den 1970er bis 1990er Jahren stammt. Unter diesem Aspekt ist der Verzicht auf ein Literaturverzeichnis auch zu verstehen.

 

Diese Vorbehalte sollen allerdings nicht davon abhalten, sich mit dem Buch und seinen Thesen auseinanderzusetzen. Denn es handelt sich bei dieser Untersuchung um eine durchaus geistreiche und sprachlich geschliffene Darlegung des Themas. Die amerikanischen Rezensenten jedenfalls äußern sich begeistert.

 

Zürich                                                                                                            Marcel Senn



[1] Vgl. seine Homepage: http://www.vernunft.org.

[2] Vgl. Hans-Peter Schneider, 9. Praktische Philosophie, in: Das heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord- und Ostmitteleuropa, hrsg. v. Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann unter Mitarbeit von Vilem Murdoch, 2001, S. 1119-1137 mit Literaturangaben S. 1157-1159, sowie Ders., mit weiteren Literaturangaben ins einem Beitrag: Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Staatsdenker in der frühen Neuzeit, hrsg. v. Michael Stolleis, 3. A. 1995, S. 225f.