Zweihundert (200) Jahre Code civil. Die napoleonische Kodifikation in Deutschland und Europa, hg. v. Schubert, Werner/Schmoeckel, Mathias (= Rechtsgeschichtliche Studien 21). Böhlau, Köln 2006. VI, 225 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

In einer Weltgeschichte der Rechtsquellen gehörte der von Napoleon Bonaparte veranlasste französische Code civil des Jahres 1804 zu den ganz großen. Vielleicht würde er nur durch Justinians Kompilationen überragt. Jedenfalls hat er die Weltrechtsgeschichte wesentlich mitbestimmt.

 

Die Geburtstage der Großen sind selbst wieder groß. Deshalb gibt es an ihnen große Geschenke. Mit ihnen feiert man die Großen und in deren Glanz auch sich selbst als in deren Nähe stehend.

 

Der Code civil gehört dabei naturgemäß Frankreich und allen Franzosen. Da sie ihn aber freiwillig und großzügig mit Europa geteilt haben, steht er ein wenig auch dem restlichen Europa zu. Darunter auch den Deutschen, die teils früh und teils lange seiner Segnungen teilhaftig werden durften.

 

Bereits seit dem Frieden von Campo Formio des Jahres 1797, so erinnert Dieter Strauch im Vorwort des schmalen, weinrot gewandeten, golden beschrifteten Bandes, behandelte die französische Regierung das Rheinland als zu Frankreich gehörig, gliederte es politisch unverzüglich neu und verordnete ihm eine neue Gerichtsverfassung. Nachdem der Friede von Lunéville die Rheinlande 1801 auch völkerrechtlich mit Frankreich vereinigt hatte, hinderte nichts mehr, die seit 1800 vorbereiteten und beginnend mit dem 21. März 1804 erlassenen Gesetzbücher Frankreichs auch auf diesem Gebiet einzuführen. Bald gewann er hier wie andernorts auf Grund der revolutionären Anerkennung der Freiheiten der Person, des Eigentums und des Rechtsverkehrs viele Freunde.

 

Diese Zuneigung dauert auch nach der Herstellung der deutschen Rechtseinheit durch Otto von Bismarcks Gesetzgebung für das zweite deutsche Reich bis zur Gegenwart an. Deswegen widmete der 35. deutsche Rechtshistorikertag des Jubiläumsjahrs 1804 dem Code civil zu Recht große Aufmerksamkeit. Die dort vorgetragenen Studien hat der rheinische Verein für Rechtsgeschichte bereitwillig und abgerundet in seine Schriftenreihe aufgenommen.

 

An der Spitze der insgesamt sieben von Werner Schubert und Mathias Schmoeckel als Herausgebern zusammengebundenen Geburtstagsgeschenke steht Paolo Cappelinis Untersuchung über L’Âme de Napoleon. Sie versteht den Code als Selbstoffenbarung der Gesellschaft. Damit kann sie die Auffassung des Code als Laienkatechismus, als Bibel oder Handbuch der Laien bestens erklären.

 

Franz Dorn befasst sich mit dem Erbrecht des Code civil und seinen Auswirkungen auf den bäuerlichen Grundbesitz in den Gebieten des rheinischen Rechts. Dazu schildert er eingehend die erbrechtlichen Grundsätze des Code civil und die hieran geäußerte Kritik. Im Ergebnis kann er jedoch feststellen, dass diese Grundsätze im Rheinland weder tatsächlich abgelehnt wurden, noch eine Steigerung von Agrarkultur und Wohlstand verhinderten.

 

Hans-Peter Haferkamp geht der Lehre des französischen Rechts an deutschen Fakultäten im 19. Jahrhundert nach. Dazu wertet er umsichtig und sorgfältig die Lehrveranstaltungen in Heidelberg, Freiburg im Breisgau, Koblenz, Bonn, Greifswald, Breslau, Königsberg, Berlin, Würzburg, Landshut, München, Erlangen und Gießen aus. Im Ergebnis kann er eine deutliche Zäsur im Jahre 1814 und ein langsames Auslaufen bis 1900 ermitteln und auf noch bestehende Forschungslücken hinweisen.

 

Jean-Louis Halpérin fragt Was können wir heute von der Geschichte des Code Napoléon lernen? Darauf antwortet er, dass die Geschichte der Gesetzgebung die Bedeutung der politischen Entscheidungen am Ursprung der die Rechtsordnungen begründenden Texte lehre. Dementsprechend ist ihm die Geschichte der Kodifikation als System oder als zentrales Element einer Rechtsordnung oder eines durch ein Rechtsgebiet geformten Untersystems ein klarer Beweis für die Möglichkeit, eine positivistische Konzeption des Rechts mit einer historischen Erfassung der juristischen Phänomene zu verbinden.

 

Filippo Ranieri misst 200 Jahre Code civil an der Rolle des französischen Rechts in der Geschichte des europäischen Zivilrechts und bezieht dabei Stellung zum Aufstieg und Niedergang eines europäischen Kodifikationsmodells. In einem ersten Abschnitt befasst er sich mit der Verbreitung, der Aufnahme und der Gegenwart des Code civil und der französischen Zivilrechtsliteratur und Judikatur als Vorbild zahlreicher kontinentaleuropäischer Privatrechtsordnungen und stellt dabei die Aufnahme der französischen Justizpraxis in den Vordergrund. In einem zweiten Abschnitt sucht er nach den Gründen des in der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnenden Schwindens der europäischen Ausstrahlung des Code.

 

Als wichtigste Ursache hierfür erkennt er die Entwicklung einer abstrakten, dogmatischen Privatrechtswissenschaft durch die Romanisten der deutschen Universitäten. Als deren Folge wurden europaweit am Code civil orientierte Kodifikationen durch in der Tradition der deutschen Pandektistik stehende Texte ersetzt. Dementsprechend hält er als Voraussetzung einer künftigen europäischen Kodifikation des Zivilrechts, die sich mit der einstigen Ausstrahlung des Code civil messen wolle, eine neue gemeinsame europäische Rechtskultur einschließlich der Justizpraxis für notwendig.

 

Nach dieser weiterführenden Gesamtschau kehren David von Mayenburg und Mathias Schmoeckel auf den begrenzten Bereich des Einflusses des Code civil auf das Erbrecht des rheinischen Adels zurück. Ausgangspunkt ist für sie das Verbot des besonderen Erbfolgerechts des Adels durch Gesetz vom 14. 11. 1792. In sorgfältiger Einzelanalyse stellen sie fest, dass Familienfideikommisse im Rheinland bis zum 19. Jahrhundert keine große Rolle spielten, weshalb das durch das französische Recht ausgesprochene Verbot den rheinischen Adel kaum betraf, dass aber nach Übernahme des Rheinlands durch Preußen der Adel (vor allem in der Person Kesselstatt) 1836 die vollständige Befreiung vom bürgerlichen Erbrecht erringen konnte, obwohl die Richterschaft dies eindeutig ablehnte.

 

Am Ende behandelt Fred Stevens den Code civil in Belgien seit 1804. Er geht davon aus, dass das spätere Belgien 1795 Frankreich eingegliedert wurde und damit der Code civil bei seinem Erlass unmittelbar auch in diesem Gebiet galt und sich daran bis 2004 trotz der Verselbständigung Belgiens von Frankreich in 1228 Paragraphen (54 Prozent von 2281 Paragraphen) nichts geändert hat. Es sei eine Sache, Gesetze zu ändern, eine andere jedoch, die Gesellschaft umzuformen. doch letztlich, so lautet sein Schluss, passe sich – auch die kollektive – Einstellung an.

 

Insgesamt zeigen alle sieben aus vier verschiedenen europäischen Ländern kommenden Beiträge die große europäische Bedeutung des Code civil. Sie weisen eindringlich auf seine Stärken wie seine Schwächen hin. Dementsprechend stellen sie für das große Gesetzbuch selbst in hohem Alter auch ein inhaltlich großes Geschenk dar, das allen Teilnehmern des Rechtshistorikertages in bester Erinnerung an diese gelungene Feststunde bleiben wird.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler