Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat des „Dritten Reichs“, hg. v. Bähr, Johannes/Banken, Ralf (= Das Europa der Diktaturen = Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 199). Klostermann, Frankfurt am Main 2006. VI, 571 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Sammelband stellt die dritte, abschließende Veröffentlichung der Forschungsgruppe „Recht und Wirtschaft“ im Rahmen des europäischen Forschungsnetzwerks „Europa der Diktatoren“ dar und enthält die Beiträge einer Tagung im März 2004 sowie weitere mit der Thematik des Bandes zusammenhängende Studien. Während im ersten Band der Forschungsgruppe die Wirtschaftskontrolle (hierzu Rez. von W. Schubert, in SZ GA 123 S. 770ff.) und in Band 2 das Wirtschaftsrecht im Europa des „Dritten Reichs“ im Mittelpunkt standen, geht es im vorliegenden Band primär um die Wirtschaftssteuerung durch Recht unter dem Nationalsozialismus. Den Arbeiten der Forschungsgruppe liegt – so Bähr/Banken in der Einleitung – die Hypothese zugrunde, dass Recht ein wirksames Steuerungsmedium der NS-Diktatur gewesen sei. Neben der Zerstörung des Rechts habe der Nationalsozialismus zugleich „an wichtigen rechtlichen Fundamenten der Wirtschaft, den Grundsätzen des Privateigentums und der Vertragstreue, wie auch den Prinzipien einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung“ festgehalten (S. 4). Die Beiträge des Bandes zeigen, dass es im Wirtschaftsrecht der NS-Zeit ausgeprägte Kontinuitäten zu den Entwicklungen in der Weimarer Zeit und der Kriegszeit gab, die sich über die Zäsur von 1945 hinaus in das Recht der Bundesrepublik fortsetzten, allerdings beschränkt auf bestimmte Bereiche des Wirtschaftsrechts. Jedoch verlief die Entwicklung des Wirtschaftsrechts unter dem Nationalsozialismus nicht „nach einem einheitlichen Muster“: „Zu den wirtschaftsrechtlichen Kodifikationen der NS-Zeit gehörten sowohl technokratische, systemindifferente Gesetze als auch lenkungswirtschaftliche und ideologisch geprägte Regelungen. Eine einheitliche politische Durchdringung des Wirtschaftsrechts lässt sich ebenso wenig nachweisen wie ein genereller Funktionsverlust dieses Rechts“ (S. 6). Der Band verdeutlicht gleichzeitig, dass die NS-Diktatur „ein eigenes, ideologisch nationalsozialistisches Wirtschaftsrecht“ (S. 8) ebenso wenig durchsetzte wie eine neue, ideologisch geprägte Wirtschaftsordnung. Starke Kontinuität zur Weimarer Zeit zeigt sich im Aktien-, Berg-, Energie-, Patent- und Devisenrecht. Bähr bezeichnet die wenn auch nicht ausschließlich auf den Arbeiten der Weimarer Zeit (hierzu die Edition von W. Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Zeit, 1926-1931, Frankfurt am Main 1999) beruhende Aktienrechtsreform von 1937 als weitgehend „systemneutral“ (S. 36); sie enthielt jedoch auch „einige ‚unideologische’ Instrumente“ der Wirtschaftslenkung (S. 36ff.). Das sog. Führerprinzip sei durch die Intervention von Schacht nicht zu einer Norm des Aktienrechts geworden; es diente nur noch als „politische Legitimationsformel“. – Eine Gegenbewegung gegen das liberale preußische Bergrecht des Allgemeinen Berggesetzes von 1865 hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg begonnen. Die Entwicklung des Bergrechts vom Privat- zum öffentlichen Recht setzte sich in der Weimarer und NS-Zeit verstärkt fort. Dem Bundesberggesetz von 1982, das auf dem Konzessionsprinzip beruht, wird heute ein öffentlichrechtlicher Charakter zugeschrieben. Insgesamt hat die NS-Zeit das im Wesentlichen preußisch bestimmte Bergrecht kontinuierlich weiterentwickelt (so auch Banken in seinem Beitrag über die „nationalsozialistischen Berggesetze in der Kontinuität der deutschen Bergrechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts, S. 71ff.). M. Seckelmann behandelt in ihrem Beitrag das Patentgesetz von 1936 sowie die Verordnungen zur „Gefolgschaftserfindung“ von 1942/43 (S. 237ff.). Auch diese Gesetze beruhen auf Entwicklungen der späten Kaiserzeit und der späten Weimarer Zeit, die Seckelmann nicht immer detailliert herausarbeitet, und auf den internationalen Dependenzen. Sie stellt insbesondere den korporatistischen Charakter der neuen Gesetze wie auch deren wirtschaftsfreundliche Deutung durch die Patentrechtselite der NS-Zeit gegen den „erklärten Willen der NSDAP“ heraus (S. 277). Die Verordnungen von 1942/43 bauten auf Überlegungen der zwanziger Jahre zur Harmonisierung der Interessen der Unternehmen und der von Statusängsten betroffenen angestellten Ingenieuren auf. - Das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 steht in der Kontinuität von Lenkungskonzepten der späten Kaiserzeit und der Weimarer Zeit und bildete auch die rechtliche Grundlage für die Steuerung der Energiewirtschaft nach 1945. „Die Vermutung“, so Bernhard Stier in seinem Beitrag über die Energiewirtschaft, S. 303, „dass freiheitliches politisches System und Lenkung der Wirtschaft sich gegenseitig nicht von vorneherein ausschließen, wird gestützt durch den internationalen Vergleich: In allen westlichen Staaten – liberalen wie autoritären oder totalitären – wurde die Energiewirtschaft zum Objekt interventionistischer Einflussnahme und durch entsprechende Gesetze reguliert“. Erst 1998 wurde das Energiewirtschaftsrecht aufgrund von Richtlinien der Europäischen Union grundlegend novelliert. Das umfangreiche Devisenrecht (hierzu die fast monographische Darstellung Bankens, S. 121-236) beruht weitgehend auf Verordnungen von 1931/32. Allerdings änderte sich die Zielsetzung. Standen in der Weimarer Zeit die Währungsstabilisierung und Durchführung weiterer Reparationszahlungen im Vordergrund, so diente das Devisenrecht in der NS-Zeit als Instrument des Finanzierung der Rüstung und zur Ausplünderung jüdischer Emigranten.

 

In dem Abschnitt „Wirtschaftssteuerung und Lenkungsrecht“ behandelt K. Härter das Arbeitsrecht unter dem Gesichtspunkt seiner Steuerungsfunktion in der NS-Diktatur (S. 309ff.) und kommt zu der Feststellung, die wuchernde NS-Polykratie im Bereich der Arbeitspolitik könne nicht ausschließlich dem Bereich des außerrechtlichen „Maßnahmenstaats“ zugeordnet werden (S. 339). Auch diese bedurfte nach Härter „neben außerrechtlichen, nichtstaatlichen, mit Zwang und Repression agierenden Organen und Instrumenten einer in den hergebrachten Formen und Begriffen des positiven Rechts arbeitenden Gesetzgebung und Justiz sowie einer in normativen/rechtsförmigen Verfahren handelnden Verwaltung ..., um insbesondere im Bereich der Wirtschaft Steuerungsfähigkeit zu gewährleisten“ (S. 337f.). - Charakteristischer Typ neuer wirtschaftsrechtlicher Kodifikationen der NS-Zeit waren Lenkungsgesetze, von denen besprochen werden das Anleihestockgesetz von 1934 (Bähr, S. 56ff.), das Rohstoffwirtschaftsgesetz von 1934 (J. Scherner, S. 343ff.) und die gesetzlichen Maßnahmen zur Lenkung des Brotpreises (A. Steiner, S. 365ff.). Die „Lenkungsgesetze“ waren kein ideologisch geprägtes Recht (Bähr, S. 13), sondern Mittel zur Ausrichtung der Wirtschaft zur Aufrüstung. In einigen Fällen knüpften sie an die Regelungen des Weltkriegs und der Weimarer Zeit an. Die Vertragsfreiheit wurde im Rohstoffwirtschaftsgesetz auch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs grundsätzlich respektiert. – Als Beispiel für „ideologisiertes Wirtschaftsrecht“ behandelt U. May die im ganzen gescheiterte Agrar- und Siedlungspolitik unter dem Nationalsozialismus (S. 423ff.). Obwohl das NS-Siedlungsrecht in einer gewissen Kontinuität zu Ansätzen aus der Kaiserzeit und der Weimarer Zeit steht, diente es besonders in der Form des Reichserbhofgesetzes von 1933 primär ideologischen Zielen (Rassen- und Großraumpolitik). Wissenschaftshistorisch orientiert sind die Beiträge J. Bährs über die Wirtschaftsrechtslehre im „Dritten Reich“ (S. 445ff.) und J.-O. Hesses über die Position der Nationalökonomie zur Wirtschaftssteuerung durch Recht. Die Volkswirtschaftslehre trat für ordnungspolitische Mischformen ein (Wettbewerb und Lenkung; vgl. S. 15, 501ff.). Demgegenüber konnte Bähr für die Rechtslehre kein Plädoyer für den Markt feststellen. Vielmehr seien – so Bähr, S. 15 – „namenhafte Juristen unter weitgehender Aufgabe der Autonomie des Rechts für eine Unterordnung des Wirtschaftsrechts unter die Wirtschaftspolitik“ eingetreten. In diesem Zusammenhang bereitet die Einordnung der Freiburger Schule immer noch erhebliche Schwierigkeiten (S. 462ff.). Zweifelhaft erscheint, ob man bei Großmann-Doerth, der nach Bähr „kein Nationalsozialist“ war, von einem „rechtskonservativen Einfluss“ auf die Anfänge der Freiburger Schule sprechen kann (S. 464; Hervorhebung durch den Rez.). Der Band wird abgeschlossen mit der Wiedergabe von Protokollen der NSDAP-Wirtschaftsbesprechungen (unter Vorsitz Hitlers) im Februar/März 1931, welche die Kontinuität des Denkens der Partei und der Auffassungen Hitlers über die Wirtschaft verdeutlichen.

 

Die in allen Beiträgen thematisierte Frage, welche Funktion die Steuerung der Wirtschaft durch Recht unter dem Nationalsozialismus hatte, beantwortet Bähr, S. 18, zusammenfassend dahin, dass Recht ein wirksames, weil glaubwürdiges und berechenbares Instrument der Intervention und Lenkung gewesen sei und weil der bestehende und vom NS-Staat immer neu geschaffene Regelungsbedarf sich nicht ohne Recht habe lösen lassen. Ferner habe das Wirtschaftsrecht zur Akzeptanz der NS-Diktatur in der Wirtschaft beigetragen. Recht als Gegensatz zu „Willkür“ habe „wichtige psychische Bedürfnisse der kooperierenden bürgerlichen Juristen“ erfüllt: „Wo ‚Recht’ war, schien das Risiko weiterer Mitarbeit geringer zu sein“. Insgesamt zeigt der Band, dass das Steuerungsparadigma einen wichtigen Erklärungsansatz für das Wirtschaftsrecht der NS-Zeit bildet. Da insbesondere die „Reformgesetze“ auf Konzeptionen aus der Zeit vor 1933 zurückgehen, begründete das Wirtschaftsrecht „keine eigene historische Kontinuität“ (S. 20): „Trotz der unbestreitbaren Kontinuitätslinien wurden die Grundlagen einiger Wirtschaftsrechtsgebiete der Bundesrepublik nicht unter der NS-Diktatur, sondern in der Weimarer Zeit und mitunter sogar schon im Kaiserreich gelegt“ (S. 20). Zum Abschluss seiner Einleitung geht Bähr noch auf „Entwicklung und Stand der Forschung“ zum NS-Wirtschaftsrecht ein (S. 21ff.). Bähr fordert, dass auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstände des Gesetzgebungsprozesses bzw. die materiellen Wirkungen der Rechtsentwicklung als Untersuchungsobjekte der Zeit- und Wirtschaftsgeschichte berücksichtigt werden sollten. Die von ihm in der deutschen Forschung weitgehend vermisste „internationale vergleichende Zugriffsweise“ (S. 32) kommt in den Beiträgen des Bandes allerdings oft nur am Rande, wenn überhaupt, vor. Erfreulich ist die interdisziplinäre Ausrichtung des Bandes, an dem neben der Rechtshistorikerin Seckelmann Historiker sowie Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler mitgewirkt haben. Es ist zu wünschen, dass sich die Rechtshistoriker stärker, als dies bisher geschehen ist, an der Wirtschaftsrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts beteiligen. Insgesamt stellt der Band einen wichtigen Beitrag zu einer integrativen Rechtsgeschichte der NS-Zeit dar, die zu erklären vermag, dass „ein System, das elementarste Rechtsgrundsätze beseitigte und mit rechtlichen Regelungen Raub, Plünderung und Mord zu legitimieren versuchte, auf einigen Gebieten rechtliche Reformen zuließ, die bis heute nachwirken“ (S. 20).

 

Kiel

Werner Schubert