Weinfurter, Stefan, Canossa. Die Entzauberung der Welt. Beck, München 2006. 254 S., 16 Abb. und Karten. Besprochen von Alfons Gerlich.

 

Ein vom Format kleines, im Inhalt dafür umso gewichtigeres Buch. Ausgehend von dem von Max Weber geprägten Wort der Entzauberung führt der Verfasser, 1991 Herausgeber des dreibändigen Werkes zur Begleitung der Salier-Ausstellung in Speyer, Autor von Untersuchungen, deren Titelangaben mehr als eine Druckseite im Literaturverzeichnis einnehmen, ein in die Geschichte des Reiches und Frankreichs während einer zweihundert Jahre füllenden Epoche. Nach der Schilderung der Strukturen des Reiches unter Kaiser Heinrich III. leitet er den Leser nach Rom und zum Papsttum vor dem Pontifikat Gregors VII. In subtiler Quellenanalyse wird sodann dessen auf den gesamten Erdkreis ausgedehnter Gehorsamsanspruch nachgewiesen als Agens für die kommenden Entwicklungen. Die in tumultuarischer Weise vollzogene Erhebung des Mönches Hildebrand zum Papst im April 1073 wurde zur historischen Wendemarke. Die Reformanliegen wurden zusammengefasst, Gregors VII. Regierungsprogramm, wenn der Ausdruck gebraucht werden darf, spiegelt der dictatus papae. Die Reaktionen der deutschen Bischöfe auf den als Anmaßung empfundenen Gehorsamsanspruch des Papstes und die Einbettung des Herrschers in jene Lage, dann das Zerbrechen der Einheit von König und Reichsepiskopat, die Verhandlungen in Worms, Mainz und Trebur, die Bannungen von Räten und des Königs schildert der Verfasser in herkömmlicher Weise, betont aber den Wandel im Pfarrsystem hin zur Regionalisierung als strukturelles Novum, als „Ordnungsprogramm, das die Bischöfe in den Mittelpunkt rückte“ und den Intentionen des Papstes entsprach. Weinfurter weist besonders auf einen rechtlichen Aspekte hin: Mit der Lösung vom Eid durch den Papst wurde ein Element mit unerhörter Wirksamkeit in Auseinandersetzungen aller Art hineingetragen, die schließlich den Herrscher im Streit mit den Fürsten in Trebur auf den Weg nach Canossa zwangen. Den Ablauf der Ereignisse, gipfelnd in der deditio Heinrichs IV., werden mit Hinweis auf die Erörterungen von Timothy Reuter und Gerd Althoff knapp geschildert. (S. 21ff.). Neues ist dazu angesichts oftmaligen Behandlung nicht mehr zu erwarten. Auch das Bild der Mathilde von Tuszien bleibt blass. Die Lösung vom Bann machte Heinrichs IV. Königtum zwar wieder intakt, doch die fürstliche Opposition wurde nicht beseitigt. In Forchheim wurde Rudolf von Rheinfelden zum Gegenkönig gewählt. Das Gewühl im Kampf um das Reich endete nicht mit Rudolfs Tod, man fand in Hermann von Salm einen Nachfolger, doch dem kommt nur noch statistische Bedeutung zu. Weinfurter weist auf die Erbauung des Domes in Speyer als großartige Manifestation salischer Herrschaft hin.

 

Sodann nehmen die Ereignisse in Italien verhältnismäßig breiten Raum ein. Weinfurters Hinweise auf die neuen Legimitationsfelder, die das römische Recht, vor allem das Erbrecht bietet, seien hervorgehoben. Doch auch hier ist der defensive Charakter der Argumentation in den Quellen zu beachten. Gegen die Ekklesiologie der Reformer konnte man sich kaum behaupten. Deutlicher trat die Frage der Investitur von Bischöfen durch einen Laien, also auch durch den König, in den Vordergrund. Wichtig ist die Beobachtung, dass in Canossa nur der Gehorsam gegenüber dem Papst und die damit gegebene Rangordnung in der Welt die Hauptrolle gespielt hatte. Die Problematik der Einsetzung eines Bischofs durch einen Laien wurde hingegen schon 1076 in Lüttich erstmals akut. Zwei Jahre später wurde sie in einer Bischofsversammlung in Poitiers präzise verboten, gefolgt durch die Lateransynode vom November 1078, deren Beschluss Grundsatzcharakter zukam. Papst Urban II. hat dann 1095 überdies den Lehnseid eines Bischofs verboten, was stärker Deutschland als Frankreich betraf. Zutreffend urteilt Weinfurter, dass jetzt der Kampf zwischen König und Papst sich in gewisser Weise nochmals wiederholte (S. 190). Auf die Ereignisse noch zu Lebzeiten Heinrichs IV. braucht nicht eingegangen zu werden. Historiographisch bedeutend hingegen ist die Beurteilung des Thronfolgers Heinrich V. Hier nimmt der Verfasser zu Recht Stellung gegen gewisse moralisierende Äußerungen in moderner Geschichtsschreibung, wo man sich über die Verhandlungen zwischen Kaiser und Papst 1111/1112 empört. Quellen kirchlicher Provenienz malen Heinrich V. als grausamen Gewaltmenschen, Tyrann und Kirchenverfolger, man übernimmt diese Diffamierungen. Weinfurters Ausführungen in Anlehnung an Max Webers Befunde über den Wandel des Denkens hin zur Rationalisierung und zur Auflösung der Einheit von religiöser und ‚staatlicher’ Ordnung führen zu gerechterer Würdigung des Herrschers. Die Hinweise auf die Umformung von Strukturen in gesellschaftlichen und rechtlichen Bereichen zwischen Canossa 1075 und dem Wormser Konkordat 1122, das den Sieg der Bischöfe brachte, die Reichsfürsten wurden, runden die Schilderung der Konstellation ab. In klarer Diktion wird der schwierige und für die Zeitgenossen leidvolle Weg aufgezeigt.

 

Wiesbaden                                                                                                     Alois Gerlich