Thomasius, Christian, Summarischer Entwurf der Grundlehren, die einem Studioso Juris zu wissen, und auf Universitäten zu lernen nötig …, Halle 1699, hg. und mit einem Vorwort sowie einem Personen- und Sachregister versehen v. Zenker, Kay (= Thomasius, Christian, Ausgewählte Werke 13). Olms, Hildesheim 2005. XXXVIII, 266, 71* S. Besprochen von Georg Steinberg.

 

Christian Thomasius (1655-1728), Dozent der Philosophie und Rechtswissenschaft an der Universität Halle, wird heute als bedeutendster Vertreter der deutschen Frühaufklärung angesehen. Die neuere Erforschung seines Wirkens hat etwa in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt, und es sei gestattet, die von Rolf Lieberwirth vorgelegte umfassende Bibliografie der thomasischen Werke (Lieberwirth: Christian Thomasius. Sein wissenschaftliches Lebenswerk. Eine Bibliographie, 1955) als Grundstein dieser neueren Thomasius-Rezeption hervorzuheben: Erst die Überschaubarkeit und Verfügbarkeit der Primärliteratur als Forschungsgrundlage haben diese breitere Rezeption ermöglicht.

 

In diesem Zusammenhang steht nunmehr, fünfzig Jahre später, die noch im Prozess befindliche Herausgabe der Ausgewählten Werke von Thomasius durch Werner Schneiders. Waren zuvor nur einzelne thomasische Werke in neuerer Auflagen erschienen, so dass sich der Forscher mit den bekannten organisatorischen Schwierigkeiten des Arbeitens mit zeitgenössischen Ausgaben konfrontiert sah, so liegen mittlerweile die wichtigsten Werke des Frühaufklärers in modernen Reprints vor, die dem Leser mittels prägnanter Einleitungen, sorgfältiger Register sowie Hinweisen auf weiterführende Sekundärliteratur ihre Erschließung in besonderem Maße erleichtern.

 

So verhält es sich auch mit dem nun vorliegenden dreizehnten Band, dem Summarischen Entwurf der Grundlehren, dessen wesentliche Eigenheiten und Aspekte Kay Zenker, der hier fundierte Kenntnisse unter Beweis stellt, in dem dreißigseitigen Vorwort gelungen skizziert. Thomasius, der sich seit Beginn seiner universitären Lehrtätigkeit um 1680 kritisch mit dem bestehenden Lehrbetrieb auseinandergesetzt hat, legt 1699 mit dem Entwurf ein umfassendes auf zwei Studienjahre angelegtes universitäres Ausbildungsprogramm für Juristen vor, das seinen wissenschaftstheoretischen Prämissen entspricht.

 

Zenker weist zunächst auf den interessantesten Aspekt des Entwurfs hin, dass nämlich Thomasius der Philosophie im Sinne eines dem juristischen Studium vorgelagerten Propädeutikums weiten Raum gibt. Wenn er hieraus (zutreffend) aber vor allem eine besondere Aufwertung der Philosophie ableitet (S. XIV-XIX), so bleibt unterbewertet, dass Thomasius diese – traditionelle – propädeutische Funktion der Philosophie inhaltlich wesentlich verändert, indem er nämlich, in Ablehnung des scholastischen Verständnisses, der philosophischen Betrachtung jeglichen Eigenwert abspricht und ihre Berechtigung ausschließlich auf (lebens-)praktischen Nutzen gestützt sieht. Dieser Praxisbezug ist es, der bei Beibehaltung des traditionellen Rahmens die Lerninhalte und Methodik des philosophischen Vorstudiums neu bestimmt.

 

Wie Zenker im Weiteren treffend darstellt, setzt Thomasius, indem er jeden Teil des Entwurfs (Philosophie, Privatrecht, Staatsrecht, Kirchenrecht) zunächst historisch, sodann systematisch anlegt, sein Geschichtsverständnis lehrpraktisch um, wonach Geschichte nämlich, Hort fremder Erfahrung, als empirisches „Auge“ menschlichen Verständnisses neben dem philosophischen, dem abstrakt-rationalen „Auge“ steht. Inhaltlich folgt aus dieser Aufwertung der Geschichte, dass Thomasius dem historischen Quellenstudium besondere Aufmerksamkeit widmet, wobei er auf eine Aufwertung des alten deutschen (Gewohnheits-)Rechts im Verhältnis zu dem seiner Auffassung nach in seiner praktischen Bedeutung überschätzten römischen Recht zielt. Dies wiederum, so kann ergänzend bemerkt werden, erfolgt zwar nicht in einer heutigen geschichtswissenschaftlichen Maßstäben genügenden Weise, es hat jedoch zur Folge, dass tendenziell die scholastische textgebundene Methode einem systematischeren Verständnis der Normengesamtheit weicht.

 

Als Dokument lehrtheoretischen und -praktischen Umbruchs in der Juristenausbildung ist der Entwurf ein höchst instruktives Werk. Seine in dieser Weise überaus gelungene Herausgabe wird nicht nur die Thomasius-Forschung dauerhaft bereichern.

 

Hannover                                                                                                       Georg Steinberg