Simone, Maria Rosa di, Percorsi del diritto tra Austria e Italia (secoli XVII-XX) (= Per la storia del pensiero giuridico moderno 67). Giuffrè, Mailand 2006. XII, 374 S. Besprochen von Filippo Ranieri.

 

Die Verfasserin des vorliegenden Bandes ist eine italienische Historikerin, welche italienische Rechtsgeschichte an der Fakultät für politische Wissenschaften der Universität zu Teramo lehrt. Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um einen Nachdruck von sechs Studien, welche die Verfasserin bereits an verschiedenen Stellen zwischen den Jahren 1985 und 2003 veröffentlicht hatte (vgl. auf S. XII die genauere Auflistung der verschiedenen Publikationsorte). Der Abdruck dieser Texte in einer thematisch homogenen Gesamtpublikation ist zweifellos deshalb sinnvoll, weil einige der ursprünglichen Veröffentlichungsorte ganz entlegen waren und die entsprechenden Untersuchungen kaum das europäische Publikum erreicht hätten. Im Zentrum der Studie steht das Interesse der Verfasserin an den kulturellen und historischen Beziehungen zwischen italienischen und österreichischen Juristen. Sie war bereits vor etlichen Jahren zu dieser Thematik mit einer Studie aufgetreten: siehe M. R. di Simone, „Aspetti della cultura giuridica austriaca nel Settecento“, Roma 1984. Die hier versammelten Studien reichen von diesen alten Interessen zum österreichischen 18. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert. Diese Studien, die sich alle um die rechtshistorischen wechselvollen Beziehungen zwischen Österreich und Italien während der letzten zweieinhalb Jahrhunderte bewegen, zeugen zugleich von dem wieder erstarkten Interesse bei den italienischen Historikern für die habsburgische Vergangenheit einiger italienischer Territorien. In der „Introduzione“ (S. V-XI) beschreibt die Verfasserin die derzeitige Lage solcher Studien in der italienischen Historiographie. In umfangreichen Anmerkungen wird praktisch das gesamte einschlägige Schrifttum zu den historischen und kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Italien aus den letzten zwei Jahrzehnten nachgewiesen. Die hier nachgedruckten Studien werden in zwei thematischen Gruppen zusammengefasst. In einem ersten Teil „Profili teorici“ handelt es sich um folgende Arbeiten: I. „Origini e sviluppo della storiografia giuridica austriaca“ (S. 3-44); II. „Ragione di stato e sistema giuridico dell’impero asburgico nell’opera di Hippolithus A. Lapide” (S. 45-70); III. „La pubblicistica austriaca e la sua influenza in Italia dall’antico regime alla restaurazione“ (S. 71-98); IV. „Sull’influenza del pensiero giuridico austriaco nel litorale tra settecento e ottocento“ (S. 99-117); V. „Riflessioni sulle fonti e la fortuna di Cesare Beccaria“ (S. 119-134); VI. „Stato e diritto nel pensiero di Gian Rinaldo Carli“ (S. 135-155). In einem zweiten Teil „Profili legislativi“ schließen sich dann sechs weitere Studien an: I. „L’introduzione del codice civile austriaco in Italia. Aspetti e momenti“ (S. 159-183); II. „Un progetto di codice marittimo austriaco nel primo ottocento“ (S. 185-222); III. „Il codice civile austriaco nel dibattito per l’unificazione legislativa italiana“ (S. 223-242); IV. „Il diritto austriaco e la società veneta“ (S. 243-275); V. „L’abolizione della feudalità in Italia: il caso veneto nella pubblicistica e nella legislazione dell’ottocento“ (S. 277-313); VI. „L’ABGB e il dibattito per la riforma del codice civile italiano nei primi anni del novecento“ (S. 315-354). Der Band wird durch einen Namensindex der zitierten Autoren abgeschlossen.

 

In ihrer Gesamtheit und in der Homogenität der dargebotenen Zusammenstellung bieten die Studien ein eindrucksvolles Bild über diese juristischen und kulturellen Beziehungen zwischen Italien und Österreich, welche in der älteren italienischen Historiographie zum Teil missachtet oder verschwiegen wurden. Die italienischen Historiker und in ihrem Gefolge auch die italienischen Rechtshistoriker, waren in der Tat vor allem in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und in den Jahren der ersten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts maßgebend durch die Tradition des Risorgimento beeinflusst. Die politischen Auseinandersetzungen, die die italienische Einigung begleiteten, belasteten die kulturellen Kontakte zum habsburgischen Kaiserreich. Das österreichische Recht wurde deshalb in Italien als Inbegriff einer reaktionären Tradition abqualifiziert und ignoriert. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde diese Problematik im italienischen Schrifttum neu entdeckt. Das zweifellos große Verdienst der Verfasserin dieser Studien liegt darin, diese unbekannten Aspekte der italienischen Rechtsgeschichte systematisch neu erschlossen zu haben. Aus der Vielzahl der Gesichtspunkte, die man aus den hier versammelten Studien gewinnen kann, seien aus der Sicht des Rezensenten einige besonders herausgestellt. Besonders lesenswert ist die Untersuchung über die Einführung des österreichischen ABGB in Lombardo-Venetien nach der Restauration der Jahre 1814 (S. 159ff.). Besonders interessant ist hier (S. 167ff.) die eingehende Analyse und Beschreibung der damals publizierten italienischen Kommentarliteratur zum österreichischen Recht. Zu erwähnen sind besonders die Schriften von Giovanni Maria Negri, die kommentierten Übersetzungen des Werkes von Franz von Zeiller und insbesondere die italienischen Kommentare zum ABGB von Onofrio Taglioni (S. 174ff.), von Francesco Borella, Diego Martinez und Jacopo Mattei. Beachtenswert ist, dass in all diesen Kommentaren die Analyse der Normen des ABGB von systematischen Hinweisen auf das römische und französische Recht sowie auch von Hinweisen auf andere europäische Gesetzbücher begleitet wird. Eine „komparatistische“ Perspektive zeichnet diese italienische Kommentarliteratur aus und unterscheidet sie von den damaligen zeitgenössischen österreichischen Kommentaren, die streng exegetisch vorgingen und Hinweise auf das römische oder ausländische Recht voll ausließen. Schon darin sieht man, dass diese italienische Doktrin zum ABGB der Untersuchung wert ist. Nicht von der Verfasserin erwähnt werden die Rechtsprechungssammlungen, die damals in der Lombardei, anders übrigens als in den österreichischen Erbländern, zu der Rechtsprechung des Senato Lombardo-Veneto del Supremo Tribunale di Giustizia zu Verona existierten. Die italienische Rechtsliteratur zum österreichischen Recht nimmt in der Zeit bis zu den Wendejahren 1848/49 eine beachtliche Position in der damaligen Rechtsentwicklung ein und verdient nach den Beobachtungen der Verfasserin eine eingehende Untersuchung und Analyse auch zu Teilaspekten der Justizpraxis. Hier konnte die Verfasserin sich nur darauf beschränken, Forschungsperspektiven aufzuzeigen. Die politischen Belastungen des Risorgimento haben für die späteren Generationen der italienischen Juristen den Zugang zum österreichischen Recht verschlossen. Besonders deutlich wird diese Entwicklung, wenn man die damaligen Auseinandersetzungen in der Mitte des Jahrhunderts verfolgt, als nach dem Zusammenbruch des Königreichs Lombardo-Venetien sich die Frage einer gesamtitalienischen Gesetzgebung stellte. Dieser Problematik sind etwa die Studie über das ABGB bei den Debatten über die italienische Rechtsvereinheitlichung (S. 223ff.) und über die Widerstände in Venetien gegen die Einführung des piemontesisch-französischen Rechts nach 1866 (S. 243ff.) gewidmet. Es hat damals, vor allem am Anfang der 60er Jahre, als es um eine gesamtitalienische Zivilrechtskodifikation ging, ernsthafte Diskussionen gegeben, geführt vor allem von lombardischen Juristen, ob und inwieweit Teilaspekte des ABGB Berücksichtigung bei einer italienischen Zivilrechtskodifikation finden sollten. Die zentralistische Inspiration der damaligen piemontesischen Regierung unterdrückte solche Versuche, die später aus dem kollektiven Gedächtnis verschwanden. Die Verfasserin (S. 226ff.) zeichnet hier sorgfältig die damaligen Diskussionen nach. Zwischenzeitlich ist dem Thema auch die grundlegende Untersuchung von S. Solimano, „Il letto di procuste„ diritto e politica nella formazione del codice civile unitario. I progetti Cassinis (1860/1861), Milano 2003, gewidmet worden (siehe hierzu meine Bemerkungen in dieser Zeitschrift ZRG, Rom. Abt. 124 [2007]). Erwähnt sei noch die letzte Studie (S. 315ff.) über die Teilnovellen zum ABGB am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Reform des ABGB wurde damals noch durch Josef Unger angestoßen. Sehr interessant ist hier nach den Beobachtungen der Verfasserin zu erfahren, dass der Vorstoß Ungers, dessen Aufsatz damals in Italien übersetzt erschien und durch zahlreiche Beiträge kommentiert wurde, mit Interesse verfolgt wurde. Die Reform und die Modernisierung des ABGB spielten offenbar in der damaligen Debatte zur Reform des italienischen Zivilgesetzbuchs von 1865 eine nicht unbeträchtliche Rolle. Solche Interessen verstummten allerdings nach dem Ersten Weltkrieg, als es darum ging, das österreichische Recht in den neuen nordöstlichen italienischen Provinzen abzuschaffen. Das österreichische Recht selbst spielte bekanntlich bei der großen Reform des italienischen Zivilgesetzbuchs in den 30er Jahren kaum mehr eine Rolle. Der Verfasserin ist es gelungen, durch diesen Sammelband ein geschlossenes und homogenes Bild der kulturellen und rechtshistorischen Beziehungen zwischen Österreich und Italien zu liefern. Vor allem Kennern der italienischen und der österreichischen Rechtsgeschichte bietet der Band eine Fundgrube neuer Einsichten.

 

Saarbrücken                                                                                                  Filippo Ranieri