Siebenhundert (700) Jahre Bremer Recht 1303-2003, hg. v. Elmhäuser, Konrad/Hofmeister, Adolf E. (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 66). Staatsarchiv Bremen, Bremen 2003. 376 S. mit zahlreichen, teils farbigen Abb. Besprochen von Karl Kroeschell.

 

Am 1. Dezember 1303 beschlossen die Bremer Ratmannen, ihr Stadtrecht aufzeichnen zu lassen, und setzten hierfür eine Kommission von sechzehn Männern ein, die das Werk offenbar in kurzer Zeit vollbrachten. Anläßlich des 700. Jahrestags dieses Ereignisses fand in Bremen im Dezember 2003 und Januar 2004 eine Ausstellung statt, die in dem hier vorliegenden Begleitbande dokumentiert und wissenschaftlich vertieft wird.

 

Nach einer gut orientierenden Einführung Konrad Elmshäusers befaßt sich eine erste Gruppe von Beiträgen mit der „Vorgeschichte und Kodifikation des Stadtrechts“. Während Dieter Hägermann die Entwicklungsphasen von „Recht und Verfassung im mittelalterlichen Bremen 800-1300“ nachzeichnet (S. 17ff.), nimmt Herbert Schwarzwälder „Bremen um 1300 und sein Stadtrecht von 1303“ näher in den Blick (S. 29ff.). Konrad Elmshäuser wendet sich sodann konkret den „Handschriften der Bremer Stadtrechtskodifikationen von 1303, 1428 und 1433“ zu (S. 46ff.), die er anschließend in einem „Katalog der mittelalterlichen Bremer Stadtrechts-Handschriften“ (S. 74ff.) detaiiliert beschreibt. Die Kodifikation kam offenbar sehr zügig voran; Teil III 1 datiert bereits vom 2. Februar 1304. So haben denn auch die Ereignisse vom September/Oktober 1304 den Fortgang der Arbeit nicht mehr beeinträchtigen können: die Vertreibung und Verbannung von rund 30 der führenden Familien aus der Stadt. Immerhin wird nämlich der selbe her Gotscalk Vrese, der die Liste der Sechzehner anführt, samt Frau und Kindern als erster der Verbannten genannt! - Anschließend behandelt Ute Siewerts „Die Sprache des Bremer Stadtrechts von 1303“ (S. 97ff.), wobei auf Rechtswörter wie willekore, wikbelede, bursprake oder vorsate besonderes Gewicht gelegt wird. Zuletzt erörtert Ulrich Weidinger „Schiffs- und Seerecht im Bremer Stadtrecht“ (S. 112ff). Während der älteste Bremer Stadtrechtstext nur drei vereinzelte Seerechtssätze enthält, trägt eine spätere Handschrift insgesamt 34 Seerechtsartikel nach, die offenbar aus Hamburg übernommen worden sind - womöglich auf dem Umweg über Flandern, wo die Bremer Kaufleute vielleicht in einer hamburgischen Niederlassung Aufnahme gefunden hatten.

 

Eine zweite Gruppe von Beiträgen hat „Die Bremer Stadtrechtsfamilie und Einflüsse fremden Rechts“ zum Gegenstand. „Der Bremer Stadtrechtskreis“ wird von Albrecht Eckhardt dargestellt (S. 136ff.), der seine Ausführungen durch eine Zusammenstellung von Urteilssprüchen des Bremer Oberhofs für die Stadt Oldenburg und Anfragen von Oldenburg nach Bremen ergänzt (S. 147f.). Dagmar Hüpper spürt in ihrem Aufsatz „Das Rechtsbuch der Stadt Bremen, das Hamburger Recht und der Sachsenspiegel“ (S. 152ff.) den 23 Sachsenspiegel-Stellen nach, die über das Hamburger Ordeelbok von 1270 mit aufschlußreichen Abwandlungen in das Bremer Recht gelangt sind. Sie kommt dabei zu dem überraschenden Ergebnis, daß die Benutzung des Hamburger Rechts gezielt mit Blick auf den Sachsenspiegel erfolgt sei. Jürgen Bohmbach stellt sodann „Das Stader Stadtrecht von 1279“ vor (S. 174ff.), das (unter Auslassung namentlich des Schiffrechts) ganz auf dem Hamburger Ordeelbok beruht, also im Unterschied zum Bremer Recht ein wirkliches „Tochterrecht“ des hamburgischen genannt werden kann. Die 2Rechtshandschriften in Bremischen Bibliotheken des Mittelalters“, die Thomas Elsmann präsentiert (S. 181ff., Katalog S. 189ff.), sind außer einem Sachsenspiegel solche des gelehrten Rechts - allen voran das Decretum Gratiani, das Erzbischof Hartwig I. bereits 1168 seiner Domkirche hinterließ und das in seinen Glossen eine besonders frühe Kenntnis des römischen Rechts belegt.

 

Der dritte Teil des Bandes vereinigt Beiträge zum „Bremer Stadtrecht in der Neuzeit“. Hier verdient schon der Beitrag Walter Barkhausens besondere Aufmerksamkeit: „Der Entwurf eines Verbeterden Stadtbooks und die Glossen zum Stadtrecht von 1433“ (S. 200ff.). Er gilt dem Versuch des rechtsgelehrten Bürgermeisters Dr. Heinrich Krefting, ab 1590 eine „Reformation“ des Bremer Stadtrechts durchzuführen, der sich in Bremen selbst nicht durchsetzen konnte, während seine Dispositio et Commentatio in Oldenburg und Delmenhorst zur Anwendung gelangte. Dem Plädoyer des Autors für eine seit Jahrzehnten geplante und offenbar weitgehend vorbereitete Edition kann man sich nur nachdrücklich anschließen; sie würde in der Rezeptionsgeschichte des norddeutschn Raums eine fühlbare Lücke schließen. Anschließend behandelt Konrad Elmshäuser „Die Vogtei- und Kriminalgerichtsbarkeit in Bremen“ (S. 212 ff.), die erst 1803 an die Stadt überging; hier werden auch die Gerichsstätten anschaulich dargestellt. Der Aufsatz von Adolf E. Hofmeister „Das Bremer Stadtrecht im Druck“ (S.223ff.) zeigt, daß die ersten Drucke außerhalb Bremens erfolgten: 1722 wurde Kreftings Dispositio im Corpus Constitutionum Oldenburgicarum, 1748 das Stadtrecht von 1433 in den Observationes Iuris Universi des Celler Vizepräsidenten Friedrich Esaias Pufendorf gedruckt. „Der Bremer Rat und das Stadtrecht um 1800“ sind das Thema des Beitrags Bettina Schleiers ( S. 235ff.). Wie die Verfasserin selbst andeutet (Anm. 50), bedarf die Lage des Stadtrechts im 19. Jahrhundert „zwischen Rechtspraxis und vaterländischer Geschichte“ noch vertiefender rechtshistorischer Erforschung. (Übrigens steht der hier mehrfach genannte Albert Hermann Post heute als Wegbereiter der modernen ethnologischen Jurisprudenz in hohem Ansehen.) Andreas Schulz, „Die Ablösung des mittelalterlichen Stadtrechts im 19. Jahrhundert“ (S. 250ff.) hat weniger das materielle Zivil- oder Strafrecht als vielmehr die Ratsverfassung im Auge, wenn er die Verfassungskämpfe des 19. Jahrhunderts schildert. Abschließend stellt Adolf E. Hofmeister die Entwicklung „Von der Kundigen Rolle bis zur Sammlung des bremischen Rechts“ dar (S. 267ff.) - also von den alljährlich von der Rathauslaube zu verlesenden Satzungen des Rats bis zur heutigen Loseblattsammlung oder Internet-Datei. „Der Fortschritt hat es so an sich, daß er größer ausschaut, als er ist“ (Johann Nestroy).

 

Als Anhang enthält der Band den Text des Bremer Stadtrechts von 1303 nach der „Schulausgabe“ Karl August Eckhardts von 1931.

 

Insgesamt bietet das prächtig illustrierte und sorgfältig redigierte Werk vielleicht kein lückenloses, aber doch ein vielseitiges und anschauliches Gesamtbild der bremischen Rechtsgeschichte.

 

Freiburg im Breisgau                                                                                               Karl Kroeschell