Schütte, Christian, Progressive Verwaltungswissenschaft auf konservativer Grundlage. Zur Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs (= Schriften zur Rechtsgeschichte 128). Duncker & Humblot, Berlin 2006. 199 S. Besprochen von Walter Pauly.

 

An einer Monographie zur wirkmächtigen Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs hat es bislang gefehlt. Die 1978 von Ulrich Storost publizierte Studie „Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff“ berührte das Verwaltungsrecht nur am Rande. Auch vorliegende Schrift setzt mit Forsthoffs Staats- und Verfassungsverständnis ein, um aber anschließend die im Titel aufscheinende Spannung, ja Widersprüchlichkeit zwischen dem konservativen staats- und verfassungstheoretischen Ausgangspunkt einerseits und der modernen, realitätsoffenen Ausrichtung der Verwaltungsrechtslehre andererseits aufzuzeigen. Zunächst wird der ausgeprägte Etatismus Forsthoffs geschildert, der sich von der Schrift „Der totale Staat“ aus der Anfangszeit des Nationalsozialismus bis hin zur Altersschrift „Der Staat der Industriegesellschaft“ zu Beginn der siebziger Jahre durchzieht. Handelt das Einleitungskapitel 1971 auch von der „Erinnerung an den Staat“, so geht es dem Schmitt-Schüler, der hiermit an die These seines Lehrers vom Ende der Epoche der Staatlichkeit anknüpft, unverkennbar um einen „Aufruf zur Rekonstruktion der Staatlichkeit“ (S. 22 mit Fn. 29). Ungeachtet der Kritik, die Forsthoff an dem seines Erachtens „introvertierten“ bundesrepublikanischen Rechtsstaat übt, spielt er den freiheitsschützenden Rechtsstaat, der dem Staat Grenzen zieht, gegen den auf Güterverteilung angelegten Sozialstaat aus, der Teilhabe nur durch Eingriff in Besitzstände ermöglichen könne. Während Forsthoff das Grundgesetz als primär rechtsstaatliche Verfassung begreift, relegiert er die Sozialstaatlichkeit weitgehend aus dem Bereich der Verfassung und überweist die soziale Realisation an die Gesetzgebung sowie zuvörderst an die Verwaltung. Die Dichotomie von Rechts- und Sozialstaat überträgt sich laut Verfasser bei Forsthoff auf das Verhältnis von Verfassung und Verwaltung und in der Folge Staats- und Verwaltungsrechtslehre. Verwaltungsrecht ist danach nicht einfach nur „konkretisiertes Verfassungsrecht“ (S. 34), sondern führt schon auf Grund der Sozialgestaltungsfunktion der Verwaltung ein Eigenleben, das eigene Rechtsprinzipien aufweist und mit spezifischen Methoden wissenschaftlich bearbeitet werden muss. Auf der Basis dieser Kernthese rekonstruiert die Freiburger rechtswissenschaftliche Dissertation einen im Verwaltungsrecht zukunfts- und rezeptionsfähigen Forsthoff mit bis heute bestechenden Beobachtungen und weiterführenden Fragestellungen. Die hiervon entkoppelte Staats- und Verfassungsrechtslehre betrifft einen kaum mehr anschlussfähigen Forsthoff. Zu dem gleichwohl vom Verfasser behaupteten Bezug von Forsthoffs Staats- und Verwaltungsverständnis hätte der Leser gerne mehr erfahren. Wenn das staatsrechtliche Werk den „Rahmen von Forsthoffs wissenschaftlichem Schaffen“ bildet und der Staat „Anfang und Ende von Forsthoffs Werk“ bildet (S. 166), wie verhält sich dann der „Rahmen“ zu einer Verwaltung, die ihn sprengt, zumal in einer Bundesrepublik, die Forsthoff zufolge deswegen aus dem Rahmen fällt, weil sie keinen „echten“ Staat darstellt?

 

Die Stärke und Aktualität, die der Verfasser der Verwaltungsrechtslehre Forsthoffs zuschreibt, beruht im wesentlichen auf ihrer Symbiose mit einer soziologisch verfahrenden Verwaltungswissenschaft. Forsthoff habe damit den staatswissenschaftlichen Ansatz namentlich Lorenz von Steins wiederbelebt und die rein juristische Methode im Verwaltungsrecht überwunden, wie sie Otto Mayer begründet und im wesentlichen Fritz Fleiner und Walter Jellinek fortgetragen hätten. Gerühmt wird Forsthoff dafür, den Begriff der Verwaltungsaufgaben nicht nur in das Zentrum der verwaltungsrechtlichen Beschäftigung gerückt, sondern ihn allererst „in den dreißiger Jahren“ in die Verwaltungsrechtswissenschaft eingeführt zu haben (S. 49). Hier wird der Held allerdings größer als die historische Realität erlaubt, wie ein Blick in das ebenfalls dem staatswissenschaftlichen Ansatz verschriebene große „Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts“ von Edgar Loening aus dem Jahre 1884 zeigt, der, wenige Jahre später Opponent Otto Mayers, das Verwaltungsrecht just unter Bezugnahme auf die „Verwaltungsaufgaben“ (a. a. O. S. 4) definiert und dementsprechend sein Buch gliedert. Zitiert Forsthoff selbst Loening auch eher sparsam, ist seine völlige Ausblendung durch den Verfasser gleichwohl nicht gerechtfertigt.

 

Überzeugend schildert der Verfasser, wie Forsthoff insbesondere seinen verwaltungsrechtlichen Schlüsselbegriff der „Daseinsvorsorge“ aus einer soziologischen Betrachtung des Aufgabenwandels der Verwaltung gewonnen hat (S. 42ff.). Zunächst noch auf den Pfaden Karl Jaspers´ als „Daseinsfürsorge“ 1935 aufsatzmäßig skizziert, gewann die Daseinsvorsorge, inspiriert wohl auch durch Hegels „Vorsorge für das Dasein“, drei Jahre später in der Schrift „Die Verwaltung als Leistungsträger“ eine Gestalt, die sich als Beschreibung eines Phänomens der Lebens- und Verwaltungswirklichkeit durchaus von den Entstehungsbedingungen im Nationalsozialismus abschichten läßt (S. 78f.). Gründlich aufgearbeitet wird die weitere Ausziselierung des Begriffs, der 1950 in Forsthoffs erfolgreiches „Lehrbuch des Verwaltungsrechts“, das zehn Auflagen erreichte, übernommen wird (S. 81ff.). Die damit verbundene Kontrastierung von klassischer Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung, die mit einer Ergänzung der rechtsstaatlichen juristischen Methode durch eine sozialstaatliche Betrachtungsweise einhergeht, erweitert um die dem Privatrechtsverkehr zuzurechnende erwerbswirtschaftlich-fiskalische Verwaltung, bestimmt allerdings nicht die Systematik des Lehrbuchs, die sich weitgehend an traditionellen Rechtsformen orientiert und nur vorsichtige, den Anforderungen des Sozialstaats entsprechende Modifikationen aufweist (S. 116f.). In der Sache sei Forsthoff innovativ gewesen, habe neue Rechtsformen wie die Planung und auch den von Otto Mayer verworfenen öffentlich-rechtlichen Vertrag umfassend berücksichtigt, schon die Kooperation zwischen Staat und Bürger gekannt und vor allem die Risiken der „technischen Realisation“, einschließlich der Gentechnik, sowie die Erfordernisse des Umweltschutzes erkannt. Die akribische Beschreibung des für Veränderungen der gesellschaftlichen Realität und der Verwaltungswirklichkeit hellhörigen Forsthoff, der etwa auch die Ablösung des Juristen durch den Fachmann im Verwaltungsbetrieb beklagt, ist aber nur die eine Seite. Zugleich stellt der Verfasser auf der anderen Seite immer wieder die Frage nach dem „dogmatischen Ertrag“ von Forsthoffs Begriffsbildungen, wobei das Etikett „kein Rechtsbegriff im klassischen Sinne des Wortes“, sondern eher „Leitidee“ (S. 100) auf eine rechtsdogmatische Unterbilanz verweist, die der Verfasser dem Lehrbuch „in manchen Bereichen“ nicht absprechen kann (S. 141). Vielleicht sind solche systematischen Unzulänglichkeiten auch nur einer Rechtswissenschaft geschuldet, die eine hochgradig dynamische und zudem zuweilen disparate Rechtswirklichkeit auf Ballhöhe begleiten muss und den Thron eines als autonom insinuierten Rechts verlassen hat. Wo Wirklichkeit im Spiel ist, kann die Eule der Minerva nicht schon bei Tagesanbruch losfliegen.

 

Jena                                                                                                               Walter Pauly