Neukirchen, Christoph, Die rechtshistorische Entwicklung der Adoption (= Europäische Hochschulschriften 2, 4261). Lang, Frankfurt am Main 2005. XXVII, 149 S. Besprochen von Arne Duncker.

 

Es erscheint - vorsichtig gesprochen - sehr ambitioniert, die „rechtshistorische Entwicklung der Adoption“ ohne jegliche nähere zeitliche und inhaltliche Eingrenzung zum Thema einer Dissertation zu machen, ebenso, wie es erstaunlich erscheint, dass eine Dissertation zu einem dermaßen umfassenden und weitläufigen Thema keine 150 Seiten erreicht. Zum Teil erklärt sich dieser geringe Umfang daraus, dass schließlich doch eine weitgehende Eingrenzung auf drei zu untersuchende Rechte erfolgt, nämlich römisches Recht (in seiner Gestalt und Entwicklung zur Römerzeit, nicht aber in der gemeinrechtlichen Anwendung in Mitteleuropa), preußisches Allgemeine Landrecht von 1794 sowie das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 mit seinen Änderungen bis einschließlich 2001. Das preußische ALR soll dabei, so Neukirchen (S. 1), beispielhaft für die weiteren Privatrechtskodifikationen behandelt werden. Laut Klappentext soll das Buch „eine geschlossene Darstellung der Entwicklung des Adoptionsrechts von den Anfängen im antiken Rom bis zur Gegenwart in Deutschland“ bieten. Dies ist weit übertrieben. Es handelt sich eben nicht um eine geschlossene Darstellung, sondern um eine exemplarische Darstellung dreier wichtiger Abschnitte, die als solche durchaus ihren Wert hat.

 

Neukirchen formuliert in seiner Einleitung keine ausdrückliche Fragestellung der Arbeit. Aus dem Verlauf seiner Untersuchung ergibt sich allerdings, dass sein Erkenntnisziel u. a. darin liegt, mögliche Kontinuitäten und Abweichungen des später in Deutschland angewandten Rechts im Vergleich zu dessen römisch-rechtlichen Vorgaben zu ermitteln. Als Ergebnis wird bereits einleitend vorausgeschickt, trotz rechtlicher Unterschiede in Formen, Voraussetzungen und Wirkungen seien Verbreitung und Wesen der Adoption von der Antike bis zur Gegenwart eine einheitliche Erscheinung (S. 2). Der romanistische erste Teil der Arbeit („Die Adoption im römischen Recht der Antike bis zur Zeit Justinians“, S. 3-52) soll in der vorliegenden germanistischen Rezension nur summarisch dargestellt werden. Neukirchen beschreibt hier teils in rechtssystematischer Ordnung, teils der historischen Entwicklung der römischen Rechtsquellen folgend das Recht der römischen adrogatio und adoptio. Die Auswertung sowohl der römischen Quellen selbst als auch der aktuellen romanistischen Literatur erscheint durchaus beachtlich, die Arbeit bewegt sich hier nicht auf einer rein deskriptiven Ebene, sondern kommt zu nachvollziehbaren eigenen Bewertungen und Stellungnahmen.

 

Der zweite Teil der Arbeit (S. 53-83) umfasst „die Adoption im deutschen Recht bis zum ALR“, ist tatsächlich aber weitgehend (S. 60-83) auf das ALR bezogen. Zuvor werden kurz der Rechtszustand im germanischen Rechtskreis, die Adoption im älteren deutschen und im gemeinen Recht, im Freiburger Stadtrecht von 1520 sowie in einigen Bestimmungen der Privatrechtskodifikationen umrissen (S. 53-60, das später in den Fußnoten, vgl. S. 78, angeführte Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch bleibt in dieser Zusammenstellung freilich unerwähnt). Sodann behandelt Neukirchen die Annahme an Kindesstatt im ALR und weist einleitend darauf hin, dass der preußische Gesetzgeber in Abweichung von römisch-rechtlichen Vorgaben ein einheitliches Rechtsinstitut der Annahme an Kindesstatt geschaffen habe, welches mehr an adoptio als an adrogatio angelehnt gewesen sei (S. 60). Nach den formellen (S. 61-63, Begründung durch Vertrag) werden auf S. 63-70 im einzelnen die materiellen Anforderungen der Annahme an Kindesstatt besprochen, u. a. ein - dispensfähiges - Mindestalter des Annehmenden von 50 Jahren (PrALR II 2 § 668) und das Fehlen ehelicher Abkömmlinge (PrALR II 2 § 671). Die Arbeit bezeichnet den Vorgang nach preußischem Recht im übrigen immer wieder als „Adoption“ und nicht als Annahme, was so nicht dem historischen Gesetzestext entspricht, aber angesichts des in ähnlicher Form auseinanderklaffenden Sprachgebrauchs im 20. und 21. Jahrhundert als vertretbar erscheint. Im weiteren Verlauf werden die Wirkungen der Annahme (S. 70-81), die Beendigung des Annahmeverhältnisses (S. 81-83) sowie die in das PrALR aufgenommene Pflegekindschaft (acht Zeilen auf S. 83 mit Verweis auf die Arbeit Tireys) dargestellt. Insgesamt werden die wichtigsten zeitgenössischen Kommentare und Lehrbücher zum Allgemeinen Landrecht ausgeschöpft und mit Blick für das Wesentliche verarbeitet. Leider wurde laut Literaturverzeichnis die 1985/1987 durch Schubert edierte Gesetzesrevision des preußischen Familienrechts nicht mit einbezogen, so dass die Arbeit insoweit auf verstreute Nachweise zur Gesetzesrevision aus der Sekundärliteratur angewiesen bleibt (vgl. z. B. Fn. 334, 365, evtl. auch 391). Auch fehlt eine Erläuterung, aus welchem Grund gerade das preußische Recht als Untersuchungsgegenstand den anderen Kodifikationen seiner Zeit vorgezogen worden ist (dies wird auf S. 1 f. allenfalls angedeutet).

 

Der dritte Teil der Arbeit behandelt „die Adoption im Bürgerlichen Gesetzbuch“ und umfasst der Sache nach die Seiten 84-140. Die Seiten 141-149, die formal ebenfalls zum dritten Teil gehören, bilden tatsächlich einen selbständigen weiteren Abschnitt der Arbeit, nämlich eine lesenswerte zusammenfassende Würdigung der Ergebnisse in sechs Unterabschnitten mit vergleichenden Anmerkungen zur möglichen Kontinuität römischer Rechtstraditionen im preußischen und deutschen Recht. Die Darstellung zum BGB beinhaltet zunächst die Motive für die Aufnahme der Adoption ins Gesetz (S. 84-87), dann die ursprüngliche Regelung gemäß BGB von 1896 (S. 87-107), diverse Reformvorhaben und Gesetzesänderungen von 1922 bis kurz vor der umfassenden Reform von 1976 (S. 107-120), das Gesetz über die Annahme als Kind von 1976 (S. 120-132) nebst Adoptionsvermittlungsgesetz (S. 133f.), schließlich weitere Änderungen 1989-2001 (S. 134-140). Die Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts wird hier unter guter Einbeziehung des zeitgenössischen Schrifttums und weiterer Quellen vorwiegend als Gesetzgebungsgeschichte in zeitlicher Reihenfolge untersucht, wobei ein besonderes Augenmerk den jeweiligen Motiven der Gesetzesänderungen gilt. Im Begleitmaterial der Arbeit ist leider das Fehlen eines Personen- und Sachregisters sowie eines Abkürzungsverzeichnisses zu bemängeln.

 

Insgesamt wirft die Arbeit Schlaglichter auf drei zentrale Quellenzusammenhänge in der Geschichte des Adoptionsrechts. Ihre Stärken liegen im wesentlichen in zwei häufig wiederkehrenden Erklärungs- und Untersuchungsansätzen: einerseits werden eine Reihe charakteristischer Abweichungen des ALR und BGB im Vergleich zu den Vorgaben des römischen Rechts ermittelt und damit als Ergebnisse der neueren einheimischen Rechtsentwicklung herausgearbeitet, andererseits wird den rechtspolitischen Motiven erfolgter Neuerungen und Gesetzesänderungen nachgegangen. Auf dieser Basis hätten sich sicherlich präzise Fragestellungen formulieren lassen, die auch zu einer Eingrenzung und Präzisierung des Titels und der im Klappentext versuchten Präsentation der Arbeit beigetragen hätten.

 

Hannover                                                                                                         Arne Duncker