Name und Gesellschaft im Frühmittelalter – Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger, hg. v. Geuenich, Dieter/Runde, Ingo (= Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage 2). Olms, Hildesheim 2006. 390 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Werk enthält die mit Fußnoten versehenen und teils geringfügig überarbeiteten Texte der Referate der in Mülheim  an der Ruhr vom 24. bis 26. September 2004 unter dem Titel Name und Gesellschaft im Frühmittelalter abgehaltenen, von der deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Tagung. Einige wenige Vorträge konnten nicht zum Druck gebracht werden. Ein Beitrag eines an der Teilnahme verhinderten Gelehrten kam zusätzlich hinzu.

 

Die Tagung wollte zum einen erste Ergebnisse und Erkenntnisse, aber auch überlieferungskritische und methodische Probleme, die in der Arbeit einer Duisburg-Essener Arbeitsgruppe um Dieter Geuenich zutage getreten waren, erörtern und zur Diskussion stellen. Daneben sollten andere, insbesondere ausländische, auf den Gebieten der historischen Prosopographie und philologischen Personennamenforschung tätige Forscher eingeladen und für eine internationale Kooperation gewonnen werden. Beide Aspekte spiegelt der Band konzentriert.

 

Den Beginn bildet allerdings die Verleihung des mit 3000 Euro dotierten Preises der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Förderung der deutschen Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage, die das internationale Symposium krönte. Dementsprechend steht an der Spitze aller 20 Beiträge Stefan Sondereggers Laudatio auf die 18 Personen umfassende Forschergruppe ,Nomen und Gens’, die nach Vorstudien seit 1990 und dann seit 2000 von der deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird und sich die Erstellung und Auswertung eines Corpus der Personennamen und Personen der germanischen Völker und Reiche des 3. bis 8. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt hat. Sie führt bis zu der 1846 von Jacob Grimm veranlassten Preisaufgabe der königlichen Akademie zu Berlin über eine Sammlung der Eigennamen des deutschen Volkes von der ältesten Zeit bis zum Jahre 1100 zurück, die von dem Bibliothekar Ernst Förstemann als einzigem Bewerber erfolgreich gelöst wurde, und legt zugleich dar, dass das gegenwärtige Unternehmen in mancher Hinsicht eine wirklich auf neuer Grundlage zu sehende Fortsetzung nicht des förstemannischen Werkes, sondern der ursprünglichen Absichten Jacob Grimms und Ernst Förstemanns um die vollständige Sammlung wie einordnende Deutung der altdeutschen bzw. altgermanischen Personennamen darstellt, deren Zahl sich im Übrigen für die anschließende Zeit des 8. bis 11. Jahrhunderts auf etwa 400000 beziffern lässt.

 

Im Anschluss hieran erörtert Friedhelm Debus die Förderung der Wissenschaft durch Stiftungen am Beispiel der (von dem Gymnasiallehrer und Namensforscher Henning Kaufmann [† 23. 09. 1980] aus bescheidenen Ersparnissen gegründeten) Henning-Kaufmann-Stiftung. Aus den Arbeitsgebieten der Forschergruppe berichtet Walter Kettemann über den Weg vom Überlieferungsbestand zur Ergebnispräsentation mittels Konzeption und Organisation der (anfangs seriell, seit 2000 relational) datenbankbasierten Projektarbeit (mit mehr als 70 Tabellen) an der zu erwartenden Datenmenge von mehreren 10000 Namensbelegen. Überzeugend stellt er Schwierigkeiten und Möglichkeiten elektronischer Bearbeitung gegenüber.

 

Christa Jochum-Godglück untersucht mit Schiltolf, Uuafanheri und anderen seltene Namenelemente aus dem Wortfeld ,Waffen und Rüstung’ in zweigliedrigen germanischen, grundsätzlich ja an Segenswünschen ausgerichteten Personennamen, für deren Bildung insgesamt etwa fast 300 unterschiedliche, im Einzelnen auch recht verschieden häufig gebrauchte Namenselemente verwendet wurden. Steffen Patzold und Andreas Schorr legen auf der Grundlage von bereits rund 10000 Einzelbelegen aus Heiligenviten ihre Beobachtungen zu Personennamen in den Viten des Austregisel von Bourges, des Ansbert von Rouen und des Einsiedlers Goar vor, die auch Rückschlüsse auf die wirkliche Entstehungszeit der Quellen ermöglichen. Beide Skizzen bieten interessante Einblicke in die Arbeitsgebiete der Forschergruppe.

 

Aus den Arbeitsgebieten anderer prosopographischer und namenkundlicher Projekte berichten 9 Referate. Dabei geht es um ,Nomen et gens’ im Urgermanischen (Hermann Reichert, älteste germanische Völkernamen seit dem ausgehenden 3. Jh. v. Chr., Personennamen Cimberius und Nasva in Cäsars De bello Gallico, germanische Personennamen meist erst seit dem 6. Jh. n. Chr. überliefert), die Frage der Beinamen im frühskandinavischen Kontext (Heinrich Beck), Die italienische Anthroponymie germanischen Ursprungs und ihr Fortleben im heutigen Italien (Maria Giovanna Arcamone, mit acht Namenslisten im Anhang), ,Germanische’ Namen auf der iberischen Halbinsel (Dieter Kremer), Franci und Francia im 6. Jahrhundert (Heike Grahn-Hoek), Anthroponymie et déplacements (Patrice Beck, Monique Borin, Pascal Chareille), The Aims and Objects of the prosopography of Anglo-Saxon-England (Janet L. Nelson, Francesca Tinti), Sprache, Person und Name in England im Jahrhundert nach der normannischen Eroberung (John Isley) und Namen und Symbole in Unterfertigungen von Urkunden (Reinhard Härtel). Durch diese weit reichenden Ausblicke wird die Arbeit vor Ort zweifellos in vielfacher Weise gefördert.

 

Die Werkstatt des Projektes „Name und Gesllschaft“ stellt ihre Erkenntnisse, Probleme und Perspektiven in 6 Studien vor. Sie betreffen ostgermanische Personennamen in rheinischen Inschriften des frühen Mittelalters (5./6. Jahrhundert) (Wolfgang Haubrichs), Probleme der germanischen Wortbildung im Lichte der Personennamen-Analyse (Albrecht Greule), Probleme, Wege und Irrwege bei der Erforschung gentiler Namengebung (Hans-Werner Goetz), Möglichkeiten der statistischen Auswertung der im Projekt erfassten Personennamen (Matthias Bock, Dieter Geuenich, im Oktober 2004 umfasste die Datenbank 56270 Namensbelege aus 2028 Quellen für 16149 unterschiedliche Personen bei insgesamt 80000 erwarteten Personennamensbelegen des 3. bis 8. Jahrhunderts, Hinweis auf die Notwendigkeit der Normalisierung von Ansätzen), den Probeartikel *guda-frithu-z (Gotefrid) als Beispiel für die Vorgehensweise bei der interdisziplinären Erstellung von Namen- und Personenkommentaren im DFG-Projekt ,Nomen et gens’ (Heike Hawicks, Ingo Runde, mit der Möglichkeit der ungefähren Hochrechnung des zu erwartenden Gesamtumfangs bei Abschluss des Werkes vom 15-16 Druckseiten umfassenden Probeartikel aus) und Probleme von Doppelnamen (Diana Trapp). Aus diesen unterschidelichen Beiträgen kann man wohl mit Hans-Werner Goetz folgern, dass das Projekt insgesamt auf einem guten Weg ist, auch wenn noch nicht absehbar ist, welche genauen Ergebnisse es etwa über den Zusammenhang von Personennamen und Ethnizität, über gentilspezifische Namen und onomastische Faktoren der Ethnogenese sowie manches Andere bringen wird.

 

Möge das interessante Projekt gut und rasch gelingen, auch wenn es – vielleicht finanzierungsbedingt - unter Frühmittelalter einen Zeitraum versteht, der üblicherweise etwa zur Hälfte eher dem Altertum zugerechnet wird.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler