Knorring, Marc von, Die Hochstiftspolitik des Passauer Bischofs Wolfgang von Salm (1541-1555) (= Neue Veröffentlichungen des Instituts für ostbairische Heimatforschung der Universität Passau 57). Dietmar Klinger Verlag, Passau 2006. 344 S. Besprochen von Dietmar Heil.

 

Zunehmend setzt sich in der Geschichtswissenschaft eine günstige Bewertung des Alten Reiches durch. Dies gilt insbesondere auch für die bislang in erster Linie als Weg in den Krieg gedeuteten Phase zwischen 1555 und 1618. Insgesamt funktionierte das Reich hinsichtlich seiner primären „Staatszwecke“ Friede und Recht völlig zufrieden stellend. Die Neubewertung der geistlichen Reichsterritorien, deren Nieder- und Untergang bislang vor allem mit ihrer Rückständigkeit begründet wird, ist dagegen erst eingeleitet. In diesem Zusammenhang ist auf die grundlegende Arbeit von Wolfgang Wüst über das Hochstift Augsburg zu verweisen.

 

Marc von Knorring widmet sich in seiner mit dem Nachwuchsförderpreis des Vereins für Ostbairische Heimatforschung ausgezeichneten Untersuchung der Frage nach der Rückständigkeit geistlicher Territorien anhand einer Fallstudie für das geistliche Fürstentum Passau während der Regierung Bischof Wolfgangs von Salm (1541-1555). Dabei konzentriert er sich auf drei Themenfelder: 1. Behörden, Landstände und Domkapitel, 2. Innenpolitik, 3. Beziehungen zum Reich und zu den benachbarten Territorien.

 

1. Im Vergleich mit den größeren weltlichen Territorien erweist sich das Hochstift Passau bezüglich seiner Zentralverwaltung in der Mitte des 16. Jahrhunderts tatsächlich als rückständig. Dem Bischof stand lediglich der Hofrat als beratendes Gremium mit Zuständigkeit für alle Angelegenheiten der Landesregierung zur Seite. Eine exklusiv mit der Finanzverwaltung betraute Hofkammer gab es nicht, für die Steuererhebung wurden keine administrativen Strukturen entwickelt. Die zersplitterten landständischen Gruppen beschränkten sich auf die Wahrnehmung ihrer Interessen und nahmen als Ganzes keinen Anteil an der Landesregierung. Eine wirkliche Modernisierung entsprechend den zeitgenössischen Tendenzen erfuhr der Hofrat indessen bezüglich seiner Personalstruktur. Bischof Wolfgang erhöhte zielstrebig den Anteil römisch-rechtlich gebildeter Juristen und graduierter Gelehrter. Knorring weist nach, dass diese Maßnahme ausreichte, um den wachsenden Aufgaben der Territorialverwaltung gerecht zu werden. Das Hochstift verfügte dank seiner geringen Ausdehnung auch ohne Differenzierung und Spezialisierung über funktionsfähige und bedarfsgerechte Verwaltungsstrukturen.

 

2. Auch bei der Regierung und Verwaltung seines Hochstifts fand Salm einen gangbaren Mittelweg zwischen notwendiger Modernisierung und seinem vitalen Interesse an der Vermeidung von Konflikten im Inneren. Durch eine beträchtliche Zahl von Ordnungen und Mandaten, welche die Reichsgesetzgebung realisierten oder sich an der Legislative der größeren Nachbarterritorien orientierten, regelte er alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens – soweit dies erforderlich war. Ansonsten beließ es der Bischof beim Herkommen. Die schwerpunktmäßig auf Handwerk und Handel abzielende Ordnungsgesetzgebung erreichte in etwa das Niveau des Herzogtums Bayern. Zwar traten infolge des zeittypischen Personalmangels Probleme auf der unteren Verwaltungsebene auf, insgesamt jedoch war es um den Vollzug der bischöflichen Ordnungen und Mandate „nicht unbedingt schlecht bestellt“ (S. 197).

 

3. Auf dem Gebiet der „Außenpolitik“ offenbarte sich die Begrenztheit der Mittel Salms als Bischof von Passau. Reichspolitisch konnte er sich lediglich in seiner Funktion als Rat König Ferdinands I. und Herzog Albrechts V. von Bayern profilieren, ansonsten orientierte er sich auf Reichsversammlungen an der Mehrheit der Stände oder an den geistlichen Fürsten. Den gemessen an der geringen Leistungsfähigkeit des Hochstifts überhöhten Steuerforderungen des Reiches konnte er keinen Widerstand entgegensetzen. Auch hinsichtlich der Doppelbesteuerung der in den österreichischen Erblanden gelegenen hochstiftischen Besitzungen waren die Möglichkeiten Salms auf – letztlich erfolglose – diplomatische Bemühungen gemeinsam mit den übrigen betroffenen geistlichen Fürsten beschränkt, die größeren Reichsstände zeigten kein Interesse an mehr Steuergerechtigkeit. Auch gegenüber der Infragestellung der territorialen Integrität Passaus durch die Handelspolitik Bayerns und Österreichs erfüllte das Reich keine Schutzfunktion. Hier halfen lediglich die guten persönlichen Kontakte zu Albrecht V. und zu Räten der benachbarten Fürsten.

 

Die Wahrung und Anwendung von Recht sowie die Sicherung seiner Finanzen bildeten die Eckpfeiler der gesamten Politik Salms. Dank seiner zugleich bewahrenden und fortschrittsorientierten Politik befand sich das Hochstift Passau am Ende seiner Regierung „in einem Zustand, der mit den Begriffen Stabilität, Modernität und Prosperität zu umschreiben ist“ (S. 287).

 

Die Ergebnisse von Knorrings bestätigen in gewisser Weise die Auffassung von der Rückständigkeit des geistlichen Territoriums. Weit wichtiger jedoch ist die Einsicht in den freilich auch der Begrenztheit seiner Möglichkeiten geschuldeten Pragmatismus Salms, nur insoweit zu modernisieren, als dies notwendig war. Es zeigt sich, dass Modernisierung keineswegs als ausschließliche Kategorie zur Bewertung frühneuzeitlicher Landespolitik herangezogen werden darf. Wenig überraschend ist die insgesamt negative Bewertung der Rolle des Reichsverbandes (vor der Augsburger Ordnung von 1555). Doch wäre beispielsweise hinsichtlich der Reichssteuern noch zu überprüfen gewesen, inwieweit Passau die Steuern tatsächlich bezahlen musste. Die habsburgischen Kaiser zeigten sich schließlich in anderen Fällen nachweisbar kulant, um die geistlichen Territorien zu schonen. Bleibt zu ergänzen, dass Maximilian II. in puncto Doppelbesteuerung auf Druck der (katholischen) Stände 1566 zusagen musste, die Rechte der betroffenen Bischöfe zu respektieren.

 

Zu wünschen ist, dass weitere Arbeiten von vergleichbarer Qualität den geistlichen Territorien gewidmet werden. Hier besteht sowohl aus der Sicht der Reichs- wie der Landesgeschichtsforschung noch ein Forschungsdesiderat.

 

Regensburg                                                                                        Dietmar Heil