Kaiser, Christian, Kündigungsschutz ohne Prinzip. Der Weimarer Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes und seine Bezüge zum heutigen Recht (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts). Mohr (Siebeck), Tübingen 2005. XVI, 401 S. Besprochen von Georg Annuß.

 

Vom 11. Dezember 1896 datiert jene berühmte Resolution des Reichstages, mit der die Reichsregierung aufgefordert wurde, „dafür Sorge zu tragen, daß die Verträge, durch welche sich jemand verpflichtet, einen Teil seiner körperlichen oder geistigen Arbeitskraft (…) gegen einen vereinbarten Lohn zu verwenden, für das Deutsche Reich baldthunlichst einheitlich geregelt werden“. An Versuchen, eine solche einheitliche Regelung zu schaffen, hat es seither nicht gefehlt, wie die jeweils gescheiterten Initiativen mit den Entwürfen von 1923, 1938, 1942, 1977 und 1992 sowie die Gesetzentwürfe des Freistaates Sachsen aus dem Jahr 1995 und der Länder Nordrhein-Westfalen und Brandenburg aus dem Jahr 1996 zeigen. Sie alle blieben jedoch erfolglos. Lediglich in der Deutschen Demokratischen Republik hatte der Kodifikationsgedanke im Arbeitsrecht Erfolg, konnte sich aber trotz einer neuerlichen Absichtserklärung im Einigungsvertrag nicht wirkungsvoll in das geeinte Deutschland hinüber retten. In jüngster Zeit zeigen sich neuerliche Kodifikationsbemühungen in einem jüngst von Martin Henssler und Ulrich Preis vorgelegten Entwurf.

Christian Kaiser untersucht in seiner von Joachim Rückert betreuten Frankfurter Dissertation die Tätigkeit des Arbeitsrechtsausschusses zwischen seiner ersten Sitzung am 02. 05. 1919 und der Verabschiedung eines Entwurfs des Allgemeinen Vertragsgesetzes am 26. 05. 1923, wobei er sich auf die Darstellung der Beratungen zum Kündigungsschutzrecht beschränkt. Vorangestellt sind eine Skizzierung des Arbeitsrechtsausschusses und seiner Unterausschüsse sowie Kurzbiographien der an den Beratungen zum Arbeitsvertragsrecht beteiligten Personen.

Die Darstellung der Diskussion um die kündigungsrechtlichen Bestimmungen vermittelt das Bild eines recht beschränkten Gestaltungswillens der beteiligten Ausschussmitglieder, die sich von dem Vorbild des im Betriebsrätegesetz von 1920 vorgefundenen Kündigungsschutzes nur begrenzt lösen konnten. Bemerkenswert ist, welchen Raum offenbar der von arbeitgebernahen Kreisen in die Diskussion eingebrachte Paritätsgedanke gespielt hat, wonach notwendiges Korrelat eines Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer ein gewisser Schutz der Arbeitgeber vor Arbeitnehmerkündigungen sein müsse. Aus heutiger Sicht mutet es geradezu skurril an, mit welcher Hartnäckigkeit das Ausschussmitglied Stefan Oppenheimer, seines Zeichens Geschäftsführer eines Arbeitgeberverbandes, diese Vorstellung verfolgte.

Die Leistungen Heinz Potthoffs als einer der Hauptfiguren des „arbeitnehmernahen Arbeitsrechts“ in der Weimarer Republik werden von Christian Kaiser nicht besonders geschätzt. Zwar habe der aus der Volkswirtschaftslehre stammende und nicht über eine abgeschlossene juristische Ausbildung verfügende Potthoff den ersten Entwurf des Allgemeinen Arbeitsvertragsgesetzes als Diskussionsgrundlage für den Arbeitsrechtsausschuss gefertigt. Diese Aufgabe sei Potthoff aber nicht wegen seiner fachlichen Reputation zugewachsen, sondern weil er als freier Schriftsteller über ausreichende Arbeitskapazitäten verfügt habe. Den Einfluss Potthoffs auf die weitere Ausschussarbeit schildert Christian Kaiser als recht gering: „Potthoff spielte trotz allen Engagements für die Herstellung der einzelnen Entwürfe im Ergebnis nur die Rolle des nichtjuristischen Außenseiters, dessen Vorschläge kaum Beachtung fanden“ (S. 246).

Sehr interessant ist die Darstellung der Rolle Hugo Sinzheimers in der Diskussion um die kollektivistische oder individualistische Ausgestaltung des Kündigungsschutzes. Während Sinzheimer sich außerhalb des Arbeitsrechtsausschusses stets für eine kollektivistische Lösung ausgesprochen habe, sei er im Arbeitsrechtsausschuss für eine individualistische Lösung eingetreten. Eine verlässliche Aufklärung dieses Widerspruchs gelingt Kaiser nicht, so dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als „einen aus taktischen Gründen geborenen politischen Opportunismus Sinzheimers anzunehmen“ (S. 271).

Christian Kaiser hat mit seiner Dissertation einen wertvollen Beitrag zur Arbeitsrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts geleistet, dessen Lektüre große Freude bereitet.

 

München                                                                                                    Georg Annuß