Jurists uprooted. German-speaking émigré lawyers in twentieth-century Britain, hg. v. Beatson, Jack/Zimmermann, Reinhard. Oxford University Press, Oxford 2004. XVI, 850 S., 4 S. mit 19 Photographien. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.

 

1. Personen

Die in Deutschland aufgewachsenen und ausgebildeten und tätigen Juristen wurden gewiss mit ihrer Wurzel ausgerissen, „uprooted“, als sie ihr Vaterland (im wörtlichen Sinne) verlassen mussten, um ihr Leben zu retten. Dann aber erbrachten sie erstaunliche Leistungen in dem neuen Land. In dem vorliegenden Band werden so gut wie alle aus Deutschland vertriebenen, in englischen Universitäten aufgenommenen Juristen beschrieben. Von den vielen anderen „entwurzelten“ Juristen und gar von Nicht-Juristen ist hier nicht die Rede. Dankenswerterweise werden auch solche wie Franz Haymann gewürdigt, die im engen Kreis der Spezialisten hochgeachtet, in der weiteren juristischen Welt aber keinen so großen Namen haben. Übrigens verschieben sich auch die Perspektiven, wenn man erfährt, dass der in Deutschland wenig bekannt Rudolf Graupner an mehreren Leading Cases beteiligt und im Rang nach F. A. Mann der produktivste Praktiker war.

 

Sowenig, wie „den“ jüdischen Juristen, sowenig gibt es „den“ Emigranten-Juristen: Zu unterschiedlich sind Charakter, Alter und Familiensituation, wissenschaftliches Wirken, politische Haltung und Ansehen. Crawford bemerkt beispielsweise zu den emigrierten Lehrern des Völkerrechts, dass ihnen wenig mehr gemein war als ihre Muttersprache, ein jüdischer Hintergrund und die britische Naturalisierung, und schon dieses letzte Merkmal galt längst nicht für alle.

 

Auch Autoren, Aufbau, Schwerpunkte, Stil und Länge der in diesem Band versammelten Biographien sind so unterschiedlich, dass sie einer zusammenfassenden Rezension entgegenstehen.

 

2. Herkunft

Die Familiengeschichten sind Fragmente der deutsch-jüdischen Sozialgeschichte und des Aufstiegs des Bürgertums, wenn sie von Viehhändlern, Ärzten, Bankiers und Advokaten in früheren Generationen erzählen. Die Frauen-Emanzipation tritt hervor mit Susanna Schwarzenberger, der ersten juristischen Assistentin in Heidelberg. Ilse Schmitthoff war in Frankfurt am Main Rechtsanwältin. Eleonore Mann, Assistentin bei Kohlrausch, eine der ersten Frauen, die in Iura promoviert worden waren, bewegte 1933 ihren Verlobten zum Verlassen des Landes. Erwähnung verdient auch Hildegard Jacobi, Schwägerin Graupners, Dr. iur. und Anwältin in Köln, nach dem Krieg Dozentin für Internationale Beziehungen in London. Marguerite Wolff, Schwester des englischen Romanisten H. F. Jolowicz, keine Juristin, machte sich um Übersetzungen juristischer Werke verdient. Martha Schulz war ausgebildete Ärztin. „Frau Schulz was in practical matters the motor and anchor of the family and justifiably enjoyed her position” (B. Nicholas). Ebenso werden andere Ehefrauen geschildert, die ihre Familien durch die Emigrationszeit brachten. Pringsheims Ehefrau wiederum förderte dann die Rückkehr.

 

Mancher der Emigranten ist gar nicht in Deutschland geboren: Mannheim stammt aus Lettland, Lauterpacht und Ullmann aus Österreich.

 

Einige hatten den Kontinent als junge Männer verlassen: Daube und Lipstein waren 1909 geboren, Schwarzenberger 1908, Friedmann, Mann und Graupner 1907. Aber schon Kinder der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren Wolff, Mendelssohn Bartholdy, Haymann, Kantorowicz, Radbruch und Schulz.

 

Warum sie Deutschland verlassen mussten, zeigt das Schicksal Schwarzenbergers: Als die NSDAP am 30. Januar 1933 den Wahlsieg errang, floh er zum Bedauern eines Parteigenossen, der ihn hatte in das KZ Heuberg einliefern wollen, in die Schweiz. Seine Kollegen erreichten seine und seiner Frau Entlassung vor dem Assessor-Examen, damit nicht ein Jude die Staatsprüfung als bester bestehen würde. Beide galten als „Vertraute des SPD-Bonzen Radbruch“. 1939 wurden ihm die Staatsbürgerschaft und der Doktor-Grad aberkannt. Eltern, Bruder und Schwester und deren Kinder, mit Ausnahme einer Nichte, wurden ermordet. Kahn-Freund und Graupner hatten sich für die SPD engagiert. Für die jüdische Sache hatte sich als Schüler und Student Lauterpacht politisch aktiv betätigt. Ernst J. Cohn hatte Unruhen von Nazi-Studenten in Breslau schon 1932 zu erdulden, keine Störungen jedoch erlitt Pringsheim in Freiburg bis in das Jahr 1935 hinein. Wie nahe Schuld und Widerstand beieinander liegen, zeigt Gerhard Leibholz: ihm wird vorgeworfen, mit seinen Werken den Nationalsozialismus geistig vorbereitet und Vorlesungen über Führertum und Faschismus gehalten zu haben. Gleichzeitig war er mit Bonhoeffer, von Dohnanyi, Schleicher und Delbrück familiär und politisch verbunden.

 

Die Jüngeren (Cohn, Daube, Kahn-Freund, Mann, Schmitthoff und Prausnitz), dazu auch Kantorowicz (* 1877), erkannten schon 1933 die Zeichen der Zeit. Wolff emigrierte erst 1938, obwohl seine Ehefrau Engländerin war. Trotz einer gewissen Vertrautheit mit England und seiner Amtsenthebung 1936 entschloss sich Pringsheim erst nach den Erfahrungen von drei Wochen Konzentrationslager zur Emigration im Jahre 1939. Schulz gelangte mit dem letzten Schiff vor Kriegsbeginn von den Niederlanden nach England.

 

Was Deutschland durch seine Vertreibung der Juristen verloren hat, ist nicht Gegenstand dieses Werkes. Es ist zu vermuten, dass hierzulande gewisse Entwicklungen anders verlaufen wären, wenn die Juristen nicht vertrieben oder mit noch größerem Engagement zurückberufen worden wären. Wolfgang Ernst meint in seinen Schlussworten zu Fritz Schulz, den hier Gebliebenen habe mehr am Bewahren des noch Vorhandenen als an der Ausdehnung der wissenschaftlichen Grenzen gelegen, sie hätten traditionelle Standpunkte eher bestätigt als in Frage gestellt.

 

3. England

Die schwierigen Lebensverhältnisse in der Fremde lasteten auch auf ursprünglich reichen Familien wie den Pringsheims. Er hatte in England kein Vermögen, musste mit geringen Unterstützungen auskommen und mit diesen noch Bruder und Schwester helfen. Nach dem Krieg  nahm die Familie Pensionäre auf, und er erhielt für Tutorials 8 Pfund pro Student im Trimester. Noch schlimmer war die Lage für Fritz Schulz, während er an seinen Hauptwerken schrieb. Nach dem Krieg fand auch er ein Einkommen als Tutor für juristische Anfänger.

 

Daube unterhielt sich anfangs mit Buckland auf Französisch, Ullmann auf Lateinisch, auch andere hatten Sprachprobleme und überwanden diese in ganz unterschiedlichem Maße. Daubes spätere „lightness of touch” dürfte der bewussten Übernahme der Werte und des Stils seiner neuen Heimat geschuldet sein (Rodger). Aber auf viele wird die Beschreibung Roger Hoods zutreffen: „Hermann Mannheim and Max Grünhut remained until the end quintessentially German scholars of the old school, always dressed formally in suits, and always formal in the relations with colleagues and students”. Wie vermutlich bei allen Emigranten, so waren auch einige Deutsche von dem „Bei-uns-Syndrom“ der Emigranten befallen. Selbst vorherige Nähe zu Land, Recht und Leuten in England (Prausnitz, Mendelssohn Bartholdy) nützte wenig (Pringsheim, Radbruch). Anderen aber dürfte sie den Zugang zu Universität und Umwelt nicht unerheblich erleichtert haben (Kahn-Freund, Friedmann). Untereinander gab es Freundschaften, über politische und fachliche Grenzen hinweg: Mann unterhielt enge Kontakte zu Kahn-Freund, zu Schulz, Wolff und Lauterpacht. Oder es herrschten Kälte (Pringsheim – Schulz), wenn nicht Animosität, gerade unter Fachkollegen.

 

Die religiösen Bindungen hätten unterschiedlicher nicht sein können: Leibholz betrieb christlich-theologische Studien, Erhard und Wegner wurden protestantische Pastoren. Ullmann war Katholik, Schulz war engagierter Protestant, Pringsheim gilt als kirchlich protestantisch, konservativ und patriotisch. Aus jüdischer Familie stammend hatte sich Kantorowicz als Student taufen lassen. Grünhut war als Jude vertrieben worden, die Verwandten seiner Ehefrau waren alle Nazis, und er selbst wurde in England von jüdischen Organisationen nicht als Jude anerkannt. Lauterpacht war Zionist, Schwarzenberger hatte seine religiösen Wurzeln abgeschnitten. Mann, gegenüber dem traditionellen Judentum wie gegenüber dem Staat Israel eher skeptisch, erklärte für sich und seine Frau, that they „ felt as Jews by background, history and tradition“. Kahn-Freund stellt an den Anfang seiner unveröffentlichten Lebensaufzeichnungen den Satz: „the most important single fact of my life is that I am a Jew”, um sogleich hinzuzufügen:  „in my activities the fact that I am a Jew has played a singularly small roll”.

 

Im Anschluss an Zimmermanns Darstellung der deutschen Verhältnisse unter dem Gedichtezitat „Was Heimat hieß, nun heißt es Hölle“ erfährt der deutsche Leser viel Neues aus dem Bericht des Mitherausgebers Beatson über England, beginnend mit der Vertreibung 1290 über die Wiederzulassung 1664 bis zur endgültigen rechtlichen Gleichstellung der Juden 1871. Im 19. Jahrhundert herrschte ein liberales Klima, auch gegenüber Vertriebenen. Gelegentlich zeigten sich antisemitische oder anti-deutsche Züge, nicht in Staat und Recht, wohl aber in der Gesellschaft, schwankend mit den politischen Ereignissen und der Wirtschaftskonjunktur.

 

Aus den ganz unterschiedlichen Schätzungen seien die folgenden herausgegriffen: Von 1933 bis 1938 soll England 15.000 Flüchtlinge aufgenommen haben. Von ihnen seien 4.000, unter ihnen Morgenthau, Kelsen und Schlochauer, in das Britische Empire, in die USA oder nach Palästina weitergezogen. 40.000 kamen im Jahr nach der sogenannten Reichskristallnacht, 10.000 erst nach Kriegsbeginn nach England. Im Krieg soll England etwa 80.000 Flüchtlingen aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei Schutz gewährt haben.

 

In und nach dem Weltkrieg waren die Einwanderungs- und Notstandsgesetzgebung, emergency powers, erheblich verschärft worden, so dass im I. Weltkrieg rund 32.000 Deutsche interniert und weitere 28.000 deportiert werden konnten. Entsprechende Gesetze folgten 1939. Als Deutschland Norwegen, die Niederlande, Belgien, Frankreich überrannt hatte, wurden 27.000 vorwiegend männliche Emigranten im Juli 1940, die meisten auf der Isle of Man, interniert. Einige wurden nach Kanada deportiert, bis eines der Schiffe von den Deutschen torpediert wurde. Die Freilassungen begannen im Herbst 1940 und zogen sich bis 1943 hin.

 

Das Buch ist nicht zuletzt eine Dankesurkunde gegenüber den Engländern, die durch Hilfsorganisationen (Jewish Refugee Committee und Jewish Academic Committee, German Emergency Committee of the Society of Friends, vor allem durch den Academic Assistance Council, später die Society for the Protection of Science and Learning), als Universitäten  und als individuelle Wohltäter, manchmal anonym oder als Professoren eines College, den Vertriebenen geholfen haben.

 

Die Emigranten erreichten die Naturalisierung zu sehr unterschiedlichen Zeiten, wenige noch in den dreißiger Jahren, viele erst nach dem Krieg. Am Krieg nahmen Kahn-Freund, Schmitthoff und Cohn teil, Lauterpacht beriet die Regierung, auch noch beim Nürnberger Prozess. Schwarzenberger hingegen weigerte sich, seinen Namen zu anglisieren, und am Nürnberger Prozess wollte er nicht mitwirken, weil das Opfer nicht Richter sein soll. Desgleichen ließ sich Cohn nicht in eine bestimmte Abteilung, die sich mit den deutschen Kriegsverbrechen befasste, versetzen.

 

So gut wie alle hatten in Deutschland Studium, Referendariat und Doktorat abgeschlossen, mancher hatte die akademische Karriere begonnen, die älteren waren sogar hochangesehene Professoren. Lang ist die Liste derjenigen, die noch einmal in England studierten, die Mehrheit an der London School of Economics. Viele wurden Barrister, wenige Solicitor.

 

In vielen Tätigkeitsbereichen spiegeln sich die politischen Verhältnisse wieder, so in den von Lauterpacht erörterten Völkerrechtsfragen (die großen Aggressionen Japans gegen China, Italiens gegen Abessinien, die nationalsozialistische Bedrohung vor 1939, die Neutralität der USA 1940–1942) und in den von F. A. Mann behandelten Wirtschaftsangelegenheiten (Enteignungen, Geldentwertungen und Geldaufwertungen, Carl-Zeiss-Stiftung in der DDR wie in der Bundesrepublik, Ausdehnung der Territorialgewässer).

 

Mancher konnte erneut eine akademische Karriere beginnen. Zum Professor wurden nur ganz wenige und diese meist erst nach Kriegsende (Kahn-Freund 1951) ernannt. In der „guten alten Zeit“ war die Betreuung in den englischen Universitäten eng und persönlich. Aber es gab so wenig Studienplätze, dass sich ein Emigrantenkind bei der Annahme eines Stipendiums für die Schule verpflichten musste, anschließend nicht auf die Universität zu gehen. Entsprechend gering war die Zahl der Professuren. Die englische Rechtskultur wird mit den Worten charakterisiert, dass Anwälte und folglich Richter wenig Respekt für Rechtswissenschaft und noch weniger für Autoritäten außerhalb der nationalen Rechtswelt hatten, mag auch dieser Aspekt sich bisher etwas geändert haben. „Until the latter part of the nineteenth century the system of legal education in England did little to contribute to legal scholarship of any kind. Oxford and Cambridge taught civil law since the thirteenth century, but not English law, and from the eighteenth century the teaching of civil law was once more in decline. Professional legal education was concentrated in the Inns of Court in London; at this time, and until the reforms of the 1860’s, it did not amount to much. William Blackstone held the first chair in English law, which was created in 1756 at Oxford” (Crawford).

 

Erwartungsgemäß schildert das Buch die Leistungen der Emigranten gerade in diesem Umfeld. Bemerkenswert, was Kahn-Freund über Wolfgang Friedmann sagte, und dasselbe dürfte für manchen anderen und nicht zuletzt für ihn selbst (in England anerkannt als Autorität im Familienrecht und Internationalen Privatrecht) zugetroffen haben: Keine Furcht vor den Mauern und Gräben, die die Gelehrten um ihre Disziplinen herum gezogen haben. Überhaupt soll Friedmann das Ideal erreicht haben: „Bringing together metaphysical concerns and empirical methods, moral involvement and a relativistic stance, creative features of traditional continental European legal scholarship and a profound understanding of, an indeed total adaptation to, Anglo-American legal thinking, he is himself living witness to the creative interaction of legal and philosophical systems and approaches” (Fatouros, zitiert von Bell) [1].

 

Die Diversität aller Umstände und philosophischen Grundüberzeugungen (ein Hauptpunkt in Hugo Sinzheimers Werk über „Jüdische Klassiker“) zeigt sich in der Animosität Lauterpacht – Schwarzenberger und in der Gegensätzlichkeit, trotz persönlicher Freundschaft, zwischen Kahn-Freund und Mann: Kahn-Freund schrieb: „You believe that a society can be governed by abstractions, whereas I believe that it is always governed by people”, worauf Mann zu den „abstractions“ replizierte: “They are fundamental requirements of law, moral, natural or legal law. And they have practical consequences for the practitioner and the academic lawyer” (Collins).

 

F. A. Mann wird übrigens mit der Bemerkung gelobt, „that his influence on English law can be seen as one of the very rare cases of the influence of comparative law on the English judiciary” (Collins). Kantorowicz, in Deutschland Spezialist für Strafrecht und bekannt als Mitbegründer der Freirechtsschule, beschenkte England mit der Erkenntnis, dass der Autor der Schrift „De legibus et Consuetudinibus Angliae“ ein vorzüglicher Kenner des mittelalterlich-römischen Rechts war. Unbezweifelt werden Kahn-Freund die Begründung des modernen Arbeitsrechts und Cohn große Verdienste um Rechtsvergleichung und Internationales Privatrecht geschuldet. Die ersten Bücher zum Europarecht stammen von Graupner und Lipstein.

 

Im übrigen fällt die Bilanz ernüchternd aus. Selbst „Friedmann is best considered as a German émigré who contributed to the common law world, rather than to England “ (Bell). Daube hat eine große Schule gebildet. Andere haben, sei es wegen fortgeschrittenen Alters, sei es wegen ungenügender Eingewöhnung, in England gar nichts publiziert. Fast resignierend heißt es als Ergebnis für das Wirken der drei Genies des Völkerrechts - Oppenheim, Lauterpacht und Schwarzenberger - „nor in the end was there any decisive shift away from standard British modes of thinking about and doing international law” (Crawford). Die law schools haben Wolffs pädagogisches Talent brachliegen und die Chancen der Bereicherung durch Friedmann und Radbruch vorübergehen lassen, „and this reflects more to the detriment for the law schools than the individuals” (Bell). Auch deswegen wird an einer Stelle des Buchs die „Legacy of the Émigré Scholars“ lediglich als „Postscript“ zur Kenntnis gebracht (North). Die Theorien im Bereich des internationalen Privatrechts wurden durch neuere Gesetze und internationale Verträge teilweise überflüssig gemacht. Die großen Werke, welche die Pioniere der Kriminologie - Grünhut und Mannheim - als Summa ihres Lebens hinterlassen haben, anfangs gelobt, sind in die Vergessenheit versunken. Daube und andere haben England den Anschluss an die moderne internationale Romanistik verschafft, aber gleichzeitig hat das gute alte römische Recht als obligatorische Einführungsveranstaltung auf der Grundlage von Justinians Institutionen weitgehend ausgespielt (Birks). Auch wegen dieser Befunde weht ein Hauch von Melancholie über dem schönen Buch.

 

Nach dem Krieg wurden Kahn-Freund, Lauterpacht und andere in den Stand des Sir erhoben, wurden in Fachzeitschriften geehrt oder erhielten Aufnahme im Dictionary of National Biography.

 

4. Deutschland

Die Biographen finden nur wenige Äußerungen aus der Zeit vor 1945 über Deutschland, kaum ein Wort über die Tagung von 1936 über „das Judentum in der Rechtswissenschaft“ oder über die sogenannte Reichskristallnacht von 1938. Nur wenige, wie Schwarzenberger, warnten nach dem Münchener Abkommen 1938 vor Hitlers aggressiver Außenpolitik oder unterstützten, wie Lauterpacht, schon vor 1939 die Alliierten gegen Hitler. Mehrere standen – wie gesagt - im Krieg ihren Mann. Leibholz beschäftigte sich stark mit britischer Deutschland-Politik, und war nach dem Krieg enttäuscht, dass die Mörder seiner Verwandten nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.

 

Pringsheim hielt „Schuld“ für individuell, nicht für kollektiv. Mann meinte mit dem Vorwurf der Kollektivschuld, dass fast alle Deutschen, ausgenommen die winzige Minderheit der Gegner und die zu jungen Menschen, das Nazi-Regime unterstützt hätten und für seine Verbrechen verantwortlich seien. Er lehrte nach dem Krieg an deutschen Universitäten nicht zuletzt deswegen, weil die meisten jungen Deutschen noch nie einen Juden gesehen hätten und weil ihnen die persönliche Tragödie eines einzelnen mehr sage als die nicht fassbare Zahl der insgesamt Umgebrachten. Die europäische Integration unter einem wiedervereinigten Deutschland hielt er für gefährlich.

 

Schätzungen zur Remigration liefert Zimmermann[2]. Von den bekannteren Wissenschaftlern sind nur Leibholz und Pringsheim nach Deutschland zurückgekehrt, Leibholz an das Bundesverfassungsgericht, Pringsheim endgültig erst 1958. Ein emigrierter Freund hatte ihn gewarnt: Das Land sei geistig zerbrochen, Spielball fremder Mächte, überbevölkert, auf einen primitiven Lebensstandard hinabgedrückt, auf Jahre hinaus ein Teufelskessel sozialer und wirtschaftlicher Unruhe. Wenn der von den Nazis gesäte Antisemitismus wieder aufbreche, sei Pringsheim ein zweites Mal gefangen. Ein weiteres Hemmnis für Pringsheim und andere war es, dass die Kinder in England zurückblieben. Ullmann fühlte sich von deutschen und österreichischen Wissenschaftlern abgewiesen. Kahn-Freund besuchte Deutschland ohne feindliche Gesinnung, gewann anscheinend den Eindruck, dass der Nationalsozialismus, wenn auch unterdrückt, fortbestehe, und blieb zur Bundesrepublik auf Distanz. Schwarzenberger wollte einen Bruch in seinem Leben wie die Auswanderung 1934 nicht wiederholen. Ehrhardt blieb als anglikanischer Pastor auf der Insel. Um Schulz bemühten sich mehrere Bundesländer und Universitäten vergebens. Er wie Cohn und viele andere wurden eingeladen zu Vorlesungen, wurden zu Honorarprofessoren ernannt, bekamen Festschriften und Ehrendoktorate.

 

Als Schulz die Verbindung mit der SZ wieder aufnahm, erklärte er alle erlittene Unbill zu vergessen. Aber er war entsetzt über die vielen Kollegen, die die Nationalsozialisten gestützt oder wenigstens ertragen hatten und die von neuem in den Universitäten das Sagen hatten. Er stellte 1948 eine Liste all’ derer auf, die wegen ihres Vorlebens die Berufung seines Schülers auf einen Lehrstuhl behindern könnten. Welche Meinung mag er über die Autoren seiner Festschrift gehabt haben?

 

Sämtliche Unglücksfälle der Geschichte fielen auf das Haupt Arthur Wegners: aus armer Arbeiterfamilie, mit 24 Jahren habilitiert, beeindruckt von den Ideen und vom Schicksal Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, konvertiert von der protestantischen zur katholischen Konfession, Mitglied der Bekennenden Kirche, sich selbst als preußischen Konservativen sehend. Wegen ablehnenden Verhaltens gegenüber den Nationalsozialisten in Schutzhaft genommen und einem Strafverfahren ausgesetzt, flüchtete er nach England, wurde dort als Deutscher interniert und nach Kanada transportiert. 1946 wurde er Professor in Münster, schloss sich den Kommunisten und Befürwortern der DDR-Politik an, wurde aber bald als Psychopath angesehen. Er erhielt politisches Asyl in der DDR, wo er von 1959 bis zu seiner Pensionierung 1965 lehrte. 1963 in der Bundesrepublik aus dem Staatsdienst entlassen, starb er in der DDR 1989 kurz vor der „Wende“.

 

5. Biographien

Die Autoren konnten teilweise auf mündliche oder schriftliche Äußerungen der Porträtierten und auf Briefe, Archive, Mitteilungen von Zeitgenossen zurückgreifen. Lipstein liefert in diesem Band seine Autobiographie und eine Beschreibung der Gelehrtenwelt in Cambridge. Einige Autoren sind unmittelbare oder mittelbare Schüler der Juristen. Trotz Verehrung bleiben die Autoren in der gehörigen Distanz zu den Porträtierten. Ganz unterschiedlich ist das Eindringen in die Privatsphäre, das wissenschaftliche Wirken hat überall den Vorrang. Von den Bearbeitern sind 17 Engländer, sieben Deutsche, zwei Emigranten und einer Finne. Aber nicht alle langen Artikel stammen von deutschen und nicht alle knapp-konzisen von ausländischen Autoren. Hervorzuheben ist der durchgehend angenehme Stil: gepflegt, wohlverständlich, engagiert doch nicht larmoyant, kritisch gegenüber der deutschen Vergangenheit aber nicht polemisch kreischend.

 

Manche Bemerkungen erscheinen als zu kurz, so über Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Gründer des Instituts für Auswärtige Politik an der Universität Hamburg, Ehrendoktor der Universitäten Harvard und Chicago, der mitten im Ersten Weltkrieg in Würzburg das Institut für Englisches Recht gegründet hatte. Hingegen umfasst der vorzügliche Artikel über Schulz zu recht hundert Seiten, über Mann, Leibholz und Lauterpacht jeweils fünfzig bis sechzig Seiten.

 

Die Informationsmasse ist durch ein umfangreiches Register erschlossen: die Leistungen etwa vom All Souls College und der London School of Economics, die Involvierung deutscher Universitäten in den Nationalsozialismus, etwa Kiel und Berlin, die Bemühungen deutscher Universitäten in der Nachkriegszeit, etwa Bonn und Frankfurt am Main, die segensreichen Beiträge einzelner Persönlichkeiten, etwa Beveridge und Bishop Bell, die Leistungen einzelner Institutionen, etwa der Rockefeller Foundation. Die Anmerkungen zu den einzelnen Beiträgen informieren darüber hinaus über die nicht mehr zu überblickende deutsche und ausländische Literatur über Juristen jüdischer Herkunft.

 

Erwähnt sei die von M. Jabs erbrachte Vorarbeit über „Die Emigration deutscher Juristen nach Großbritannien: Der Beitrag deutscher Emigranten zum englischen Rechtsleben nach 1933“. In dem großen Sammelband über „Deutsche Juristen jüdischer Herkunft“ waren nur drei der im vorliegenden Werk behandelten Juristen ausführlich gewürdigt, eine Anzahl anderer wenigstens erwähnt worden, aber viele sehr bedeutende fehlten. Göppinger nannte dankenswert viele Juristen, konnte aber nur Kurzbiographien liefern, und jetzt ist sein Werk auf neue Bearbeiter angewiesen. Man wartet seit Jahren mit Spannung auf L. Breunung und M. Walther, Deutsche Rechtswissenschaftler in der Emigration  -  Eine Bio-Bibliographie, auf die einzelne Autoren schon Zugriff erhielten. Generell ist hinzuweisen auf die biographische Sammlung unter: http://www.koeblergerhard.de, „Wer war wer“.

 

Beatson und Zimmermann verdienen Dank, die Aufgabe gesehen und angepackt und in so hoher Qualität bewältigt zu haben. Den etablierten rechtshistorischen Instituten in Deutschland bleibt jetzt nur noch die Aufgabe ähnlicher Dokumentationen für die Türkei und andere Emigrationsziele. Ein entsprechendes Kapitel dürfte später in einer „Europäischen Rechtsgeschichte“ nicht fehlen. Das Buch hat auch die Bedeutung, das Schicksal der Emigranten zu würdigen, ihre Leistungen im Ausland anzuerkennen, den Wohltätern, die direkt oder über die Hilfsorganisationen den Vertriebenen zu Hilfe gekommen sind, Dank abzustatten und an die Verbrechen der Nazizeit und die daraus folgenden Schäden zu erinnern.

 

Der Rezensent konnte nicht jeden einzelnen Beitrag vorstellen, sondern nur ein paar Beispiele für einzelne Beobachtungen bringen. Lektüre der interessanten Beiträge wird leicht zu weiteren Beispielen und zu Gegenbeispielen führen. Der Sammelband wird von den Herausgebern mit je einem Beitrag über die Verhältnisse in Deutschland und England eingeführt. Den Hauptteil bilden wissenschaftliche Biographien über Fritz Schulz (Wolfgang Ernst), Fritz Pringsheim (Tony Honoré) und David Daube (Alan Rodger), abgeschlossen mit einer Bestandsaufnahme des römischen Rechts in England im 20. Jahrhundert (Peter Birks). Es folgen Hermann Kantorowicz (David Ibbetson), Walter Ullmann (David Ibbetson), Otto Kahn-Freund (Mark Freedland), Ernst J. Cohn (Werner Lorenz) und ein Überblick über die Rechtsvergleichung (J. A. Jolowicz). Sodann werden Clive M. Schmitthoff (John N. Adams), F. A. Mann (Lawrence Collins), Martin Wolff (Gerhard Dannemann), Kurt Lipstein (Christopher Forsyth, Christian v. Bar) und die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in England (Peter North) gewürdigt. Die nächste Gruppe bilden Wolfgang Friedmann (John Bell), Gustav Radbruch (John Bell), Gerhard Leibholz (Manfred H. Wiegandt), Lassa Oppenheim (Mathias Schmoeckel), Hersch Lauterpacht (Martin Koskenniemi), Georg Schwarzenberger (Stephanie Steinle) und überhaupt das Völkerrecht (James Crawford). Eine größere Würdigung empfangen noch Hermann Mannheim (Roger Hood) und Max Grünhut (Roger Hood). In Kurzbiographien erscheinen schließlich Julius Fackenheim, Otto Prausnitz (Giles) (Frank Wooldridge), Rudolf Graupner (Jack Beatson, Reinhard Zimmermann), sowie Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Franz Haymann, Arnold Ehrhard, Friedrich Darmstaedter, Arthur Wegner und Josef Unger (alle Reinhard Zimmermann). Die Wissenschaftsgeschichte wird ergänzt durch Photographien und durch persönliche Erinnerungen von Peter Stein, Barry Nicholas und Kurt Lipstein. Dass gerade diese persönlichen Erinnerungen für das Verständnis wichtig sind, erhellt aus der von Nicholas berichteten Episode: er hatte einem der berühmten deutschen Gelehrten einen Sonderdruck geschickt und erhielt als Dank die Bemerkung: „This may be good English common sense. It is not Roman law”.

 

Berlin                                                                                                 Hans-Peter Benöhr



[1] Man erinnert sich an sein „Recht und sozialer Wandel“, übertragen von M. Weiss, eingeleitet von S. Simitis, Frankfurt a. M. 1969.

[2] Dazu auch die in Vorbereitung befindliche Berliner Dissertation von Katrin Krehan.