Jones, Karen, Gender and Petty Crime in Late Medieval England. The Local Courts in Kent, 1460-1560 (= Gender in the Middle Ages 2). Boydell & Brewer, Woodbridge/Suffolk 2006. IX, 241 S. Besprochen von Susanne Jenks.

 

Im Mittelpunkt dieser aus einer Dissertation an der University of Greenwich hervorgegangenen Studie steht die Untersuchung geschlechterspezifischer Unterschiede (gendered differences) bei der Strafverfolgung in lokalen weltlichen und geistlichen Gerichten in der Grafschaft Kent. Die Akten der Gerichte in Fordwich (view of frankpledge, daneben Testamente), Canterbury (criminal court records; chamberlains' accounts; Burghmote books; Archdeaconry und Consistory Court Act Books), Sandwich (year books, treasurers' accounts), Queenborough (view of frankpledge) und New Romney (view of frankpledge; chamberlains' accounts) bilden neben einigen manorial court rolls die Quellengrundlage. Für die Untersuchung werden die Vergehen in fünf Kategorien eingeteilt: Eigentumsdelikte, Körperverletzung, verbale Angriffe, sexuelle Vergehen und geschlechterspezifische Verbrechen. Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen: Gab es neben Schelten (scolding) noch andere geschlechterspezifischen Vergehen (gendered offences)? Wie verhielten sich die Gerichte bei geschlechtsneutralen Vergehen? Was beeinflusste die Strafverfolgung neben dem Geschlecht? Wie übten die Gerichte Sozialkontrolle über Männer und Frauen aus und waren sie Instrumente patriarchalischer Kontrolle über Frauen? Welchen Wandel gab es im Laufe der untersuchten Zeit? Verhielten sich weltliche Gerichte anders als kirchliche? (S. 1)

 

Die Hauptergebnisse der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Frauen begingen weniger schwere Diebstähle als Männer, wurden allerdings nicht, wie bislang angenommen, geringer bestraft. Weil Frauen in acht Fällen (in 100 Jahren!) als ,privy picker’ oder ,common thief’ bezeichnet wurden – neben 2 Männern und einem Ehepaar – vermutet Jones, dass Männer häufiger eines konkreten Vergehens angeklagt wurden, während man Frauen vorwarf, ein bestimmter Verbrechertyp zu sein. „Possibly this was an attempt, conscious or otherwise, on the part of male jurors to deny female agency and emphasise male agency“ (S. 44). Frauen begingen mehr Einbrüche als Männer, was Jones vermuten lässt, dass Frauen wohl häufiger ihre Diebstähle planten („The claim that women's thefts showed less initiative than men's seems hardly consistent with the larger number of women accused of breaking and entering. This might also be taken to indicate that women's thefts were more likely than men's to be planned rather than opportunistic“, S. 47). (Kap. 2). Gewalt von Frauen wurde nicht als gesellschaftliches Problem angesehen, doch wurde weiblichen Opfern von Gewalt in geringerem Maße Recht zuteil als Männern. Da Männer ihre Männlichkeit stets beweisen mussten und der Hang zur Aggressivität unter anderem auch auf das männliche Hormon Testosteron zurückzuführen ist (S. 64), begegnen häufig Männer in den Anklagen wegen ,assault’. Die lokalen Eliten, die nicht auf diese körperliche Art der Selbstbestätigung angewiesen waren, hatten andere Vorstellungen von Männlichkeit. Das gespannte Verhältnis zwischen diesen beiden Männlichkeits-Modellen war der Grund für die (straf-)rechtliche Verfolgung von gewalttätigen Männern (Kap. 3). ,Scolding’ war dagegen ein geschlechterspezifisches Vergehen, das vornehmlich von verheirateten, gut situierten Frauen begangen wurde und dessen Verfolgung der Sozialkontrolle diente („The concept of the female scold … could be used to discourage women from using the only instruments they had for their own defence – their tongues“, S. 128) (Kap. 4). Das 5. Kapitel untersucht in erster Linie Ehebruch, außerehelichen Geschlechtsverkehr, Bigamie und Prostitution. Kirchengerichte schienen wenig daran interessiert zu sein, Ehebrecherinnen und Frauen, die außerehelichen Geschlechtsverkehr hatten, zu bestrafen. Die weltlichen Gerichte machten keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern, doch waren die (vermuteten) Konsequenzen sexuellen Fehlverhaltens für Frauen weitaus gravierender. Bei Anschuldigungen von Prostitution und Kuppelei tauchen hauptsächlich Frauen auf, weshalb diese Vergehen, neben Schelten, Hexerei und Kindstötung zu den ,female crimes’ gezählt werden sollten. (Kap. 5). ,Witchcraft’ war ein Frauen zugeschriebenes Vergehen, das zur Kategorie ,verbal offences’ zählt (S. 194), während die Nichtbeachtung der Sabbatruhe, (Glücks-)Spiel und „being ,idle’“ alle mit der (männlichen) Arbeitswelt zusammenhingen (S. 194). „It seems that as far as the courts were concerned, while men had to be kept at work, women had to be kept from uttering damaging words.“ (S. 195) (Kap. 6). Im Schlusskapitel „Conclusions“ wird betont, dass die Position der Frauen sich verschlechterte, unter anderem dadurch, dass für Hexerei und Kindestötung, zwei vornehmlich ,female crimes’, die Todesstrafe drohte und dass generell „being female imposes additional disadvantages which are not suffered by the male“ (S. 200). Während weltliche und kirchliche Gerichte sich bei vergleichbaren Taten gleich verhielten, spielten Stand und Geschlecht bei der Strafzumessung eine Rolle. Das Rechtssystem diente dazu, dass Frauen den Status quo akzeptierten und das Patriarchat, ,which denied them rights’, nicht in Frage stellten (S. 207).

 

Diese Ergebnisse können nicht wirklich überraschen. Allein die Formulierung einiger in der Einleitung gestellten Fragen zeigt, dass Jones mit einer klaren Erwartungshaltung an die Quellen herangeht. Dies trübt leider oftmals den Blick bei der Interpretation. Dabei fehlt es nicht an Hinweisen, dass die Rechtsposition (S. 33-37) oder die Quellen (zum Beispiel S. 12, 18, S. 201, S. 202) eine bestimmte Fragestellung nicht zulassen und Quantifizierungen problematisch sind. Diese eigenen Warnungen werden dann aber flugs missachtet. Wenn die Quellen nicht alle (gewünschten) Information hergeben, wird dies entweder strikt ausgelegt (zum Beispiel S. 63), als belanglos vom Tisch gewischt (zum Beispiel S. 67), oder durch andere Gender Studies belegt, auch wenn diese weder zeitlich noch geographisch zum Untersuchungsgegenstand passen (S. 129 Anm. 2; S. 177, S. 192), je nachdem, was gerade für das Argument gebraucht wird. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und so reiht sich Vermutung an Vermutung (die Worte „probably“, „may be“, „might be“, „seems to be“, „looks like“ begegnen häufig), werden Schlussfolgerungen auf Vermutungen gestützt, die dann wiederum den Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen bilden (zum Beispiel S. 67, 75), ex silencio-Argumente aufgeboten (zum Beispiel S. 67) oder wird sich selbst innerhalb weniger Sätze widersprochen (zum Beispiel S. 202). Selbst der Rückgriff auf das Unterbewusstsein wird nicht gescheut: „Although probably not consciously, the men responsible for making accusations in court must have been to some extent influenced by these preconceptions in formulating charges against men and women.“ (S. 207). Nur sechs Seiten zuvor steht die Warnung, dass nicht bekannt ist, „how exactly citations and presentments found their way into local courts“ (S. 201).

 

Zu dieser Vorgehensweise passt, dass wichtige, zur Nachprüfung von Aussagen notwendige Informationen verschwiegen werden. So werden zum Beispiel „comparable offences and their outcomes“ untersucht (S. 39), doch es wird nicht erläutert, nach welchen Kriterien diese ,vergleichbaren Vergehen’ ausgewählt wurden. Warum Vergewaltigung und versuchte Vergewaltigung in Kapitel 3 (Physical Violence) behandelt werden und dennoch in der Tabelle für Kapitel 6 (Gendered Crimes) auftauchen, bleibt ein Rätsel. Auch wird nicht geklärt, welcher Prozentsatz überhaupt für die Kategorisierung als ,gendered crime’ angesetzt wird. Ärgerlich ist zudem, dass einige Quellen (zum Beispiel Malleus Maleficarum) aus der Sekundärliteratur heraus zitiert werden, so dass man erst diese Veröffentlichungen anschauen muss, um herauszubekommen, wo man die Aussage nachprüfen kann (S. 173 mit Anm. 10; vgl. auch ebd. Anm. 7). Und dass man mehr über „Brian Woodcock's notes on the church court records“ (aufgelistet in der Bibliographie unter den ,Manuscript Sources’, S. 209), in der Dissertation der Autorin nachlesen kann (S. 13 Anm. 65), ist wenig hilfreich.

 

Darüber hinaus zeigen Jones' Kenntnisse der Rechtsgeschichte erstaunliche Defizite auf. So wurde ,Burglary’ bereits in den 1450er Jahren als nächtlicher Einbruch in ein Haus definiert und nicht erst im 16. Jahrhundert (S. 34), ,benefit of clergy’ war bei ,petty treason’ seit 1496 ausgeschlossen und nicht seit 1497 (S. 35); nicht allein der Wert des Diebesgutes entschied über die Einstufung als Felony (S. 34), sondern auch die Frage, ob Gewalt angewandt wurde; die (wissentliche) Annahme von Diebesgut war eine Felony, kein misdemeanour, und dies bereits lange vor 1691 (S. 54); verheiratete Frauen konnten zwar nur zusammen mit ihrem Mann klagen oder angeklagt werden, doch schloss dies eine zivilrechtliche Klage nicht aus (S. 37); die Differenzierung zwischen ,presentable’ und ,punishable offences’ bei Felony erfolgte nicht erst c. 1579 (S. 16, Beleg Literatur von 1908!), die Bordelle in Southwark wurden 1546 für immer geschlossen, nicht temporär (S. 132); die Ausweitung des ,benefit of clergy’ auf Frauen erfolgte 1623 erst teilweise, unter William und Mary dann allgemein; der Witchcraft Act von 1541 (nicht 1542) wurde 1547 widerrufen. Diese mangelnde Vertrautheit mit der englischen Rechtsgeschichte führt auch zu Fehleinschätzungen. So zeigt sich Jones zum Beispiel verwundert darüber, dass „very few prosecuted assaults seem to have proved fatal.“ (S. 63). Es ist doch aber wohl davon auszugehen, dass Angriffe mit Todesfolge als ,homicide’ oder ,manslaughter’ gewertet wurden und nicht mehr als ,assault’! Wenig später wird der erstaunte Leser dann darüber informiert, dass selbst „if fatalities resulted from only a tiny proportion of assaults, a large proportion of unnatural deaths were the result of assaults“ (S. 63). Wo der Unterschied zwischen ,fatalities’ und ,unnatural deaths’ liegen soll, ist nicht klar. Aber nicht nur die Logik der Argumentation, auch der Sinn einiger Passagen bleibt − selbst nach mehrmaligem Lesen − resistent verborgen (zum Beispiel S. 76-77, S. 139).

 

Jones kennt sich dagegen gut in den Gender Studies aus und ordnet daher stets ihre Ergebnisse in das Spektrum dieser Literatur ein. Forschungsergebnisse außerhalb dieses Genres werden kaum herangezogen oder als Klischee kategorisiert (zum Beispiel S. 177). Dass die Quellen – wenn unvoreingenommen betrachtet – vielleicht nur diese, nicht Gender Study konforme Schlüsse zulassen, wird erst gar nicht in Betracht gezogen. Selbst die Auswahl der Quellen ist teilweise vorbestimmt: „The content of the sample used for this book was largely dictated by what had already been used by others.“ (S. 18).

 

Dieses Buch wird wohl nur mit Gewinn lesen, wer bekennender Gender Studies Anhänger ist. Ich gehöre nicht dazu. Vermutlich fehlt mir die erforderliche Portion Östrogen.

 

Fürth                                                                                                                         Susanne Jenks