Hattenhauer, Hans, Grundbegriffe des bürgerlichen Rechts. Historisch-dogmatische Einführung, 2. Aufl. (= JuS-Schriftenreihe 84). Beck, München 2000. XV, 315 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

 

In der rechtshistorischen Literatur haben Hans Hattenhauers „Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts“, eine „historisch-dogmatische Einführung“, zu wenig Beachtung gefunden[1]. Die Darstellung will über die „geschichtlichen und philosophischen Grundlagen unseres Privatrechtssystems“ informieren und wendet sich primär an Vertreter des geltenden Rechts und Praktiker (Vorwort zur ersten Auflage). Sie hat aber auch dem Rechtshistoriker viel zu bieten.

 

Die angenehm zu lesende Arbeit ist nach Sachbereichen gegliedert und bietet in zwölf Paragraphen folgende Schwerpunkte: Person, Juristische Person, Sache, Rechtsgeschäft, Schuldverhältnis, unerlaubte Handlung, Eigentum, Ehe, Familie, Erbrecht, Kapital und Arbeit. Diese beiden letzten Gebiete sind in der zweiten Auflage neu hinzugekommen. § 13 „Bürgerliches Recht“ befasst sich mit Fragen der „äußeren Rechtsgeschichte“: „ars boni et aequi“; die römischen Rechtsmassen; die Rezeption des römischen Rechts; von der Jurisprudenz (der „Rechtsgelehrtheit“) zur Rechtswissenschaft.

 

Innerhalb eines jeden Paragraphen wird das jeweilige Sachgebiet entwicklungsgeschichtlich dargestellt: vom römischen und vom germanisch-deutschen Recht ausgehend wird die Entwicklung über die gelehrten Rechte des Mittelalters, humanistische Jurisprudenz und Usus modernus pandectarum, Vernunftrecht, Historische Rechtsschule und Pandektenwissenschaft bis zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896/1900 verfolgt. Auch die Einflüsse des Nationalsozialismus auf das Privatrecht sowie die Entwicklung des Privatrechts in der Deutschen Demokratischen Republik werden aufgezeigt.

 

Neben den römischrechtlichen und deutschrechtlichen Elementen wird in starkem Maße auf die Bedeutung des kanonischen Rechts hingewiesen. Von den Naturrechtsgesetzbüchern wird vor allem das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 herangezogen, nur vereinzelt das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811. Eine stärkere Berücksichtigung desselben wäre wünschenswert, enthält es neben naturrechtlichem Gedankengut doch in starkem Maße auch noch Elemente des älteren gemeinen Rechts (Lehren des Usus modernus pandectarum).

 

Hervorgehoben sei etwa § 2 „Juristische Person“. Ausgangspunkt für dieses Rechtsinstitut sieht der Verfasser (S. 24ff.) in den mittelalterlichen Personen- und Vermögensverbänden, den universitates. Ansätze sind allerdings bereits im antiken römischen Recht in den Vereinen (collegia) und in den Stiftungen (piae causae, pia corpora) der justinianischen Zeit zu finden. Theoretische Erörterungen über die Rechtsnatur dieser Einrichtungen finden sich in der Antike freilich noch keine. Der Gedanke der Fiktion tritt erst bei den mittelalterlichen Juristen auf, welche die Universitas als corpus unum, als nomen intellectuale et res incorporalis, selbst als persona beschreiben (Verfasser S. 26). Der Ausdruck persona moralis wurde von Pufendorf geprägt und ist aus der besonderen Sinngebung des Wortes moralis bei Pufendorf verständlich. Pufendorf stellt den entia physica die entia moralia gegenüber und unterscheidet vier Klassen (De Jure Naturae et Gentium I, 1 §§ Vff.): Stand (status), Person (moralis persona), Quantität (quantitas) und Qualität (qualitas). Pufendorf entwickelte unter dem Namen ‚persona moralis’ den Begriff des Rechtssubjekts[2]. Pufendorf und Christian Wolff (Institutiones Juris Naturae et Gentium § 96) verwenden den Ausdruck ‚persona moralis’ für die Einzelperson. Wolff (Institutiones § 850) stellt die societas der Einzelperson gleich: Quoniam in societate socii conjunctis viribus agunt (§. 836.); quaelibet societas spectanda est instar unius personae. (Vgl. Verfasser S. 28). Das österreichische ABGB (§ 26 Marginalie) verwendet den Ausdruck „moralische Person“ für „erlaubte Gesellschaft“ im Sinne von Körperschaft (vgl. auch ABGB §§ 286, 529, 1454 „moralische Körper“). Der Ausdruck „juristische Person“ findet sich wohl erstmals bei Gustav Hugo im 11. Band seines „Civilistischen Cursus (1799) (so Verfasser S. 31). Im 19. Jahrhundert kommt es zur Ausbildung zahlreicher Theorien über das Wesen der juristischen Person. Führend werden die romanistische Fiktionstheorie und die germanistische Theorie der „realen Verbandspersönlichkeit“ (dazu Verfasser S. 33ff.).

 

Sehr instruktiv ist die Darstellung der Lehre vom Rechtsgeschäft in historischer Sicht (§ 4, S. 67ff.)[3]. Ein Abriss der Entwicklung der Schadenersatzlehre findet sich in § 6 (S. 108ff. „Unerlaubte Handlung). Das ALR von 1794 (I, 6) spricht „Von den Pflichten und Rechten, die aus unerlaubten Handlungen entstehn“ (Verfasser S. 116ff.). Hier zeigt sich bereits eine allgemeine Lehre vom Schadenersatz. Im neuen § 11 („Kapital“) finden sich Ausführungen zur Geschichte des Handelsrechts[4], im § 12 („Arbeit“) zur Entwicklung des Arbeitsrechts.

 

Im § 13 „Bürgerliches Recht“ ist der Abschnitt über die „kirchliche Gerechtigkeitslehre“ (S. 283ff.) hervorzuheben. Aequitas hat in der christlichen Rechtslehre des Mittelalters die moderne Bedeutung von „Billigkeit“ erhalten und stand im Gegensatz zum geschriebenen Recht (S. 285)[5]. Dem ius strictum stand das ius aequum entgegen. Aber bereits das nachklassische römische Recht hat, wohl unter christlichem Einfluss, aequitas als „Billigkeit“ im Sinne von „Fallgerechtigkeit“ verstanden[6].

 

Hattenhauers kurze, aber gehaltvolle Institutionen- und Dogmengeschichte des Privatrechts nimmt neben den gängigen Lehrbüchern der Neueren Privatrechtsgeschichte einen verdienten wichtigen Platz ein.

 

Graz                                                                                                   Gunter Wesener



[1] Zur 1. Auflage (München 1982) kritisch K. Luig, AcP 185 (1985) 202ff.

[2] H. Schnizer, Die juristische Person in der Kodifikationsgeschichte des ABGB, in: FS zum 60. Geburtstag von W. Wilburg (Graz 1965) 143ff., insbes. 147.

[3] Zur irrtumsrechtlichen Diskussion zwischen Erklärungs-, Vertrauens- und Willenstheorie nun grundlegend M. J. Schermaier, Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB (Wien – Köln – Weimar 2000) 537ff.

[4] Zur Lex Rhodia de iactu (S. 231) vgl. G. Wesener, Von der lex Rhodia de iactu zum § 1043 ABGB, in: FS für J. Bärmann (München 1975) 36ff.

[5] Zur weiteren Entwicklung vgl. G. Wesener, Aequitas naturalis, „natürliche Billigkeit“, in der privatrechtlichen Dogmen- und Kodifikationsgeschichte, in: Der Gerechtigkeitsanspruch des Rechts. FS für Th. Mayer-Maly zum 65. Geburtstag (Wien – New York 1996) 81ff.

[6] Vgl. M. Kaser, Das römische Privatrecht II2 1975) 61f.