Görgen, Andreas, Rechtssprache in der frühen Neuzeit. Eine vergleichende Untersuchung der Rechtswortverwendung in Gesetzen des 16. und 17. Jahrhunderts (= Rechtshistorische Reihe 253). Lang, Frankfurt am Main 2002. 228 S. (mit CD). Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die durch sprachwissenschaftliche und rechtswissenschaftliche Studien in Bonn vorbereitete, von mannigfachen Seiten unterstützte und von Jan Schröder zur Annahme vorgeschlagene Dissertation des Verfassers. Sie ist von Michael Wieczorrek 2002 zur Rezension erbeten worden. Nach vielen erfolglosen Erinnerungen und schließlichem adresslosem Verschwinden des Empfängers verdient sie wenigstens einen kurzen Hinweis.

 

Im ersten seiner beiden Teile nimmt der Verfasser eine interdisziplinäre Annäherung an den rechtssprachlichen Diskurs in der frühen Neuzeit vor, wobei als Ziel die Anwendung neuer methodischer Ansätze, eine Entideologisierung der einschlägigen Literatur und eine damit verbundene andere Bewertung des bekannten Stoffes genannt werden. Untersuchungsgegenstand sind die Undergerichts ordnung des Ertzstifftes Thrier von 1537 (mit 30000 Wörtern), Des Ertzstiffts Cöln weltliche gerichts ordnung in der Reformation von 1538 (mit 30000 Wörtern), die Ordnung und Reformation des Gerichtlichen Proceß des Herzogtums Jülich-Kleve-Berg von 1555 (mit 35000 Wörtern), die Ertz Stiffts Cöllnische Rechts-Ordnung von 1663 (mit 10000 Wörtern), das Land-Recht Deß Ertz-Stiffts Trier von 1668 (mit 14000 Wörtern) und die 1696 neu erlassene überarbeitete und ergänzte Fassung der Jülich-Kleve-Bergischen Ordnung (Gülich- und Bergische Rechts-Lehen-Gerichtsschreiber-Brüchten-Policey- und Reformation) mit 30000 Wörtern [Wortformen?]). Wegen der Vergleichbarkeit beschränkt der sich entgegen dem umfassenden Titel der Arbeit leider auf den Fremdwortschatz, bei dem allein eine hinreichende Genauigkeit zu beobachten sei, die eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleiste.

 

Im Anschluss hieran bietet der Verfasser einen Überblick über den Forschungsstand zur Gesetzessprache, für den er im Ergebnis feststellt, dass die bisherigen Untersuchungen entweder allein sprachwissenschaftlich argumentierend ohne Blick auf die Konstitutionszusammenhänge und die gesellschaftliche Funktion des Rechts lediglich sprachstrukturelle Eigenheiten ausgemacht oder rechtswissenschaftlich argumentierend die sozialsymbolische Funktion der Sprache für die normative Regelung von Erwartungen nicht zureichend gewürdigt haben. Danach begründet er methodisch sein interdisziplinäres Vorgehen und äußert sich zum Gesetzesbegriff in der frühen Neuzeit. Im Ergebnis sieht er im Gesetz nicht das Ergebnis einer individuellen Leistung, sondern eine sinnstiftende Einheit einer sozialen Praxis, die sich in der Auseinandersetzung mit dieser als ein Muster herausbildet, das wiederum durch seine ständige Wiederholung Veränderungen erfährt, weshalb auch auf der Ebene der Wortschatzuntersuchung versucht werden müsse, die empirischen Befunde an die soziale Praxis der Institution in einem reflexiven Prozess zurückzubinden.

 

Der zweite Teil untersucht dann die lateinische Fremdwortverwendung in den behandelten Texten. Dabei ergeben sich für Trier 1537 478 Buchungen (1,6 %), für Köln 1538 346 Buchungen (1,2 %), für Jülich 1556 390 Buchungen (1,1 %), für Köln 1663 105 Buchungen (1 %), für Trier 1668 615 Buchungen (4,4 %) und für Jülich 465 Buchungen (1,6 %), wobei er feststellt, dass die Abhängigkeit vom römischen Recht keine Rolle für das Maß der Fremdwortverwendung zu spielen scheine. Besonders bemerkenswert ist ihm, dass im 16. Jahrhundert der größte Teil der Fremdwörter die Rechtswörter betrifft, im 17. Jahrhundert dagegen die Nichtrechtswörter.

 

Vor allem wegen des Trierer Landrechts von 1668 beobachtet er ein Ausbau der Fremdwörter, und zwar im fachlich nicht gebundenen Wortschatz. Daraus entnimmt er eine Tendenz zum Ausschluss der armen einfältigen unverständigen Urteilsprecher. Indem seine Dissertation den Rahmen einer varietätenlinguistischen Untersuchung samt ihrer diatopischen, diastratischen und diachronen Merkmale abgearbeitet und durch semantische und funktionale Merkmale in einer kontextgestützten Analyse erweitert habe, könne sie Anhaltspunkte für funktionale und soziopragmatische Differenzen im Diskursmodus ausmachen.

 

Für diese geht er davon aus, dass in seiner Untersuchungszeit die Anfänge der Schließung der Institution Recht über die Homogenität der intellektuellen Strukturen liegen, für welche die Juristenschwemme an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert mindestens mitursächlich gewesen sein könne. Am Ende stünden Bindung des Richters an den Landesherrn einerseits und Untauglichkeit ungelehrter Schöffen zur Rechtsprechung andererseits. Eine der interessanten Untersuchung beigefügte CD-ROM dokumentiert die 455 behandelten Fremdwörter des Verfassers zwischen absolvieren und visitation, leider aber weder den gesamten Text der Quellen noch deren ganz überwiegend einheimischen Wortschatz.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler