Frassek, Ralf, Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit. Der Aufbau neuer Rechtsstrukturen im sächsischen Raum unter besonderer Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte des Wittenberger Konsistoriums (= Jus Ecclesiasticum 78). Mohr (Siebeck), Tübingen 2005. XIII. 367 S. Besprochen von Cordula Scholz Löhnig.

 

Bei Frasseks Untersuchung zu Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit handelt es sich um eine Habilitationsschrift, die bei Heiner Lück an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden ist. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Weise im 16. Jahrhundert, insbesondere nach der Reformation, im reformierten Kursachsen „das entstandene Vakuum um das Eherecht“ gefüllt wurde, da aufgrund Luthers Lehren kanonisches Recht abgelehnt wurde und die bischöfliche Ehegerichtsbarkeit verschwand (S. 12ff, 15, 16). Eine zentrale Rolle sei dabei dem Wittenberger Konsistorium zugekommen.

 

Auf den ersten Seiten seiner Einleitung rechtfertigt Frassek – ganz dem Diktat der heutigen Utilitaritätsanforderungen an rechtshistorische Forschung unterworfen – seine Beschäftigung mit der Entstehung von reformiertem Eherecht und Ehegerichtsbarkeit im 16. Jahrhundert mit der heute noch zu beobachtenden „engen Verbindung des Eherechts mit der gesellschaftlichen Entwicklung und der daraus resultierenden Bedeutung für die Autorität der staatlich gesetzten Rechtsordnung“. Aus einem sehr weit gespannten Bogen zum heutigen Ehe- und Familienrecht schlussfolgert er, dass die Beschäftigung mit Ehe- und Familienrecht „immer dann besonders interessant sei, wo starke gesellschaftliche Bewegungen Veränderungen erwarten lassen“ und außerdem, wo sich Staatlichkeit in einem Entwicklungsprozess befinde, in den Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit eingeschlossen seien. Beide Beobachtungen träfen besonders für die Reformationszeit zu. Auf eherechtliche Fragen habe man im theologischen Diskurs neue Antworten gesucht. Auf die große Bedeutung einer funktionstüchtigen Gerichtsbarkeit für die Errichtung und Ausübung von Herrschaft im frühneuzeitlichen Territorialstaat habe Lück in seiner Arbeit „Die kursächsische Gerichtsverfassung 1423-1550“ bereits hingewiesen.

 

Ein Forschungsdesiderat für Kursachsen habe trotz einiger Arbeiten zur Entwicklung des evangelischen Eherechts gerade für das 16. Jahrhundert, also unmittelbar nach der Reformation, bestanden, da sich die Entwicklung in Kursachsen beispielsweise deutlich von der schweizerischen unterschieden habe, wo in Zürich sehr schnell 1525 ein protestantisches Ehegericht eingerichtet worden sei, das über die Schweiz hinaus für den süddeutschen Raum prägend geworden sei.

 

Frassek geht es bei seiner Untersuchung der Entwicklung des materiellen und formellen Eherechts insbesondere darum, die Verwobenheit dieser Entwicklung mit dem Verlauf der Reformation und der Entwicklung des frühneuzeitlichen Staates und seinen organisatorischen Strukturen aufzuzeigen. Dass Kursachsen, sein Untersuchungsgebiet, dafür ein besonders geeignetes Beispiel ist, weist er in einem Abschnitt seiner Einleitung nach. In Kursachsen sei die Reformation aufgrund der Gebietsteilung, sog. Leipziger Teilung von 1485, die Reformation und die unmittelbare Folgezeit unter Friedrich dem Weisen im ernestinischen Teil und unter Georg im albertinischen Teil bemerkenswert anders verlaufen (S. 23ff, 25). Sei die Entwicklung im ernestinischen Teil durch enge persönliche Beziehungen Friedrichs des Weisen zu Luther, der neugegründeten und eng mit der reformatorischen Entwicklung verbundenen Universität Wittenberg von größerer Langsamkeit und Gründlichkeit bei der Schaffung neuen Eherechts und ehegerichtlicher Strukturen geprägt gewesen, habe sich die Entwicklung im albertinischen Teil durch pragmatisches Vorgehen und schnellerer Entscheidung für die Fixierung von Rechtsnormen ausgezeichnet. Besonderes Interesse Frasseks richtet sich auf die Gesetzgebungstätigkeit im Eherecht im ernestinischen und albertinischen Sachsen. In Abhängigkeit der zeitigen bzw. umfangreichen Fixierung des Eherechts in Kirchen- oder Eheordnungen habe sich die Ehegerichtsbarkeit entwickelt, wie am Beispiel des Züricher Ehegerichts wegen einer sehr frühen Fixierung von Eherechtsnormen und deren großer Autorität, die die Entscheidungsfindung in Ehesachen auch nicht juristisch Gebildeten ermöglichte, zu sehen sei. Unter diesem Aspekt verfolgt Frassek den Gang der Gesetzgebungstätigkeit für die verschiedenen Gebietsteile Kursachsens und nach der militärischen Niederlage des Schmalkaldischen Bundes (1547) im nunmehr albertinischen Kurfürstentum (S. 36f.), wo die verschiedenen Entwicklungsstränge des Eherechts und der Ehegerichtsbarkeit zusammenlaufen und zu einer Angleichung beider Gebiete führen bis zum Erlass der ersten umfassenden Kirchenordnung 1580, die auch Eherecht enthielt und damit die bisherige Entwicklung in diesem Bereich in gewisser Weise abschließe.

 

Zur Ermittlung der Entwicklung des Eherechts und der Ehegerichtsbarkeit und ihrer Rolle im Rahmen der Gerichtsverfassung und des Aufbaus des frühneuzeitlichen Staates hat Frassek im wesentlichen drei Rechtsquellen des frühen evangelischen Eherechts und der Ehegerichtsbarkeit herangezogen: 1. die in den Kirchenordnungen fixierten Rechtsinhalte, 2. die Gutachtertätigkeit der theologischen Autoritäten und 3. die Rechtsprechungstätigkeit der Ehegerichte, allen voran des Wittenberger Konsistoriums. Diese Inhalte seien zwar schon häufig Gegenstand von Forschungsarbeiten gewesen, aber insbesondere im Rahmen der Kirchenorganisation, weniger hingegen bezüglich der Funktion bei der Entstehung des evangelischen Eherechts. Frassek versteht seine Untersuchung als nützliche Ergänzung der Arbeiten von Buchholz, Schwab und Dieterichs, da diese Arbeiten entweder spätere Zeiträume untersucht haben oder in den meisten Fällen sich nur auf publiziertes Material stützen. Frassek gründet seine Untersuchung jedoch auf ein umfangreiches unausgewertetes Quellenmaterial, zwar leider keine Prozessakten des Wittenberger Konsistoriums, die es nicht gebe, aber einen großen Aktenbestand des Thüringischen Hauptstaatsarchivs, ernestinisches Gesamtarchiv zu Eherechtsfällen aus den Jahren 1488-1572, wobei die 611 Akten überwiegend aus dem interessanten Zeitraum zwischen 1538 und 1565 stammen und damit gutes Zeugnis über die Entstehung des Wittenberger Ehegerichts und des Eherechts liefern würden. Im Gegensatz dazu existieren im Sächsischen Staatsarchiv Dresden nur 37 dokumentierte Eherechtsfälle. Ergänzt wird die Auswertung dieser Quellen durch eine von Schleusner am Ende des 19. Jahrhunderts edierte Handschrift „Wittenbergisch Konsistorium“ aus dem 16. Jahrhundert. Der Wert dieser Handschrift für die vorliegende Untersuchung liege im Unterschied der Dokumentation, die bei letzterer auf den materiellen Gehalt des Falles, nicht auf den Verfahrensverlauf wie bei den übrigen Aktenbeständen konzentriert sei.

 

Auf dieser Quellenbasis sollen in einem ersten Kapitel „die Entstehung, der Aufbau und die Funktionsstruktur der eherechtlichen Institutionen des sächsischen Raums“, in dessen Mittelpunkt das Wittenberger Konsistorium stehe, untersucht werden. Ein weiteres Kapitel widmet Frassek der Untersuchung der Rechtsgrundlagen des Eherechts, hauptsächlich den Kirchenordnungen, aber auch Autoritätenschriften, wobei die tatsächliche praktische Relevanz dieser Normen in der Gerichtspraxis im Vordergrund stehen solle. Der Schwerpunkt der Arbeit liege in der Untersuchung der konkreten ehegerichtlichen Verfahren, dabei interessiere insbesondere die im Verfahren zum Ausdruck kommende Entwicklung der materiell-rechtlichen Strukturen des früheren evangelischen Eherechts, die bislang unerforscht seien (S. 44).

 

Die Untersuchung der Institutionen der Ehegerichtsbarkeit (S. 47-172) nimmt Frassek chronologisch vor, indem er sich der Reihe nach mit den Institutionen in der Frühzeit bis ins Jahr 1527 –also vor den ersten Visitationen -, anschließend mit den Jahren 1528-1538, von den ersten Visitationen bis zur Errichtung des Wittenberger Konsistoriums, dann mit der Errichtung des Konsistoriums und der Entscheidung für oder gegen eine zentrale Ehegerichtsbarkeit, danach mit der Tätigkeit des Wittenberger Konsistoriums unter der Herrschaft der ernestinischen Linie (1539-1547) und nach dem Kurwürdewechsel und abschließend mit den ehegerichtlichen Institutionen in der Zeit von 1547 bis 1580 beschäftigt.

 

In den Jahren vor den ersten Visitationen weist Frassek die Bedeutung der kurfürstlichen Kanzlei bei der Entscheidung von Ehesachen in der Frühzeit der Reformation bis 1527 nach, die jedoch auch neben anderen Institutionen bis in das Jahr 1547 erhalten bleibe. Im Unterschied zur Schweiz (dezentrale Entscheidung) seien in Kursachsen viele schwierigere (leichtere waren von den Pfarrern selbst zu entscheiden) Ehefragen, und nicht mehr nur wie vorher solche mit Auslandsbezug, zentral durch die Hofkanzlei und nach Begutachtung von berufenen Juristen oder Theologen, oft sogar durch Luther selbst, entschieden worden. Daran macht Frassek die zentrale Bedeutung der Ehefragen für den neuzeitlichen Staatsaufbau fest, den er durch eine ausführliche Beschreibung der Archivierungsweise der Eheakten zu untermauern versucht (man fragt sich, ob diese Erörterung hier tatsächlich hingehört). Bei der Auswahl der durch die Kanzlei zu entscheidenden Ehefragen unterscheidet Frassek bedauerlicherweise wenig nach Streitfragen bezüglich der Eheschließung bzw. Eheaufhebung, da es in einigen Fällen wohl auch um obrigkeitliche Bewilligung von Ehen ging, gerade bei Ehen von Staatsdienern. In einem weiteren zeitlichen Abschnitt von 1528 bis 1538, in der Zeit der ersten Visitationen bis zur Errichtung des Wittenberger Konsistoriums, wertet Frassek 88 im Weimarer Bestand überlieferte Eherechtsfälle – doppelt so viele wie für den vorherigen Zeitraum – aus. Frassek interpretiert die Verdopplung der archivierten Akten mit der Zunahme von Streitfällen, die institutionell anders zu bewältigen waren. Für die Entscheidungen in Ehesachen seien verschiedene Institutionen zuständig gewesen. Neuhinzugekommen seien insbesondere die Superintendenten, die vor allem Informationslieferanten der Entscheidungsgremien in schwierigeren Eherechtsfällen gewesen seien, aber auch zuständig gewesen seien, einfachere Fälle selbst zu entscheiden. Neben den Superintendenten waren zur Entscheidung von Eherechtsfällen darüber hinaus das Wittenberger Hofgericht sowie die Juristische Fakultät berufen, wobei sich aus den Archivalien ergebe, dass eher die Entscheidungen durch Einzelautoritäten gefällt worden seien, zunehmend auch durch gelehrte Juristen, was der allgemeinen Entwicklung der Gerichtspraxis und dem wachsenden Vorhandensein gelehrter Juristen entsprochen habe.

 

In der Folge habe man sich 1538 zur Einrichtung eines Zentralgerichts, des Wittenberger Konsistoriums, entschlossen. Dies sei auch dem Interesse an der Bekämpfung bestehender Missstände in Ehesachen geschuldet gewesen, woran auch nach Aussagen Luthers ein öffentliches Interesse bestanden habe. Auf diesbezügliche Aussagen Luthers zur Ehe weist Frassek leider erst 200 Seiten später in den Ergebnissen hin. Bemerkenswert für die besondere Entwicklung im ernestinischen Teil Sachsens sei die Entscheidung für ein Zentralgericht mit kollegialer Besetzung, einem paritätischem Gremium aus zwei promovierten Juristen und zwei nicht promovierten Theologen – meistens aus der Wittenberg Fakultät stammende Gelehrte. Sie habe einen anderen Vorschlag von vier mit Einzelrichtern besetzten Konsistorien an verschiedenen Orten verdrängt, möglicherweise um auf diese Weise und mangels ausreichend verlässlichen fixierten reformierten Eherechtsnormen die Vorstellungen der Reformatoren besser durchsetzen zu können, wobei diese Entscheidung stark durch einflussreiche in Ehesachen erfahrene Persönlichkeiten geprägt sei.

 

Durch intensivste Quellenstudien weist Frassek den tatsächlichen Arbeitsbeginn des in dieser Konzeption einzigen Konsistoriums, auch im Vergleich zu den bisherigen Aussagen Mejers, ebenfalls für das Jahr 1539 nach. Allerdings bleiben die Einrichtung des Gerichts und auch eine aus dem Jahre 1542 stammende, nie offiziell in Kraft gesetzte Konsistorialordnung Provisorien, wenngleich die Konsistorialordnung durch den Abdruck 1563 durch Georg Buchholtzner dauerhafte Bedeutung erlangt.

 

Frassek belegt, dass in den Jahren nach Einrichtung des Wittenberger Konsistoriums – als Konsistorium werden nur die entsprechend besetzten Obergerichte bezeichnet, auch wenn hier bisweilen auch in den Quellen verschiedene Untergerichte als Konsistorien benannt werden - bis zum Verlust der Kurwürde das Gericht zwar zunehmend an Gewicht gewinne, aber keine systematische Zuständigkeit neben anderen Institutionen festzustellen sei. Nach dem Wechsel der Kurwürde habe das Wittenberger Konsistorium trotz personeller Veränderungen seine herausragende Bedeutung für die Entwicklung des evangelischen Eherechts in Sachsen beibehalten, da es im Vergleich zu bestehenden albertinischen Konsistorien in Meißen und Leipzig weiterhin mit sehr qualifizierten Personen besetzt worden sei und unter dem Einfluss der dortigen Universität gestanden habe (S. 133ff).

 

Im Unterschied zum ernestinischen Gebiet Sachsens habe man im albertineschen Teil für den Aufbau einer evangelischen Ehegerichtsbarkeit die vorgefundenen bischöflichen Strukturen verwendet und zunächst in Merseburg – später Verlegung des Gerichts nach Leipzig - und Meißen Gerichte eingerichtet. Sie sollten nach Wittenberger Muster – so die Cellische Konsistorialordnung - besetzt werden, was aber nicht umgesetzt worden sei. Auffallend sei auch eine stärkere Delegierung der Aufgaben der Ehegerichtsbarkeit von der staatlichen Verwaltung, die aber auch als fehlende staatliche Unterstützung in einer Umbruchszeit empfunden worden sein könnte. Ähnlich wie für das Züricher Modell habe im albertinischem Gebiet schneller eine Fixierung von materiellem Eherecht in den cellischen Ordnungen stattgefunden, so dass in den Gerichten die „praktische Lösung von eherechtlichen Problemfällen nach vorformulierter Normgrundlage“ im Vordergrund gestanden habe (S. 150).

 

Ein Bedeutungsverlust des Wittenberger Konsistoriums sei ab der Mitte der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts festzustellen, der zum einen auf einen besseren Ausbau der untergerichtlichen Strukturen – also die Aufgabenwahrnehmung auch durch Superintendenten – und zum anderen auf die Einrichtung eines weiteren universitätsnahen Konsistoriums in Jena zurückgeführt werden könne. Mit der Errichtung eines hofnahen Oberkonsistoriums in Dresden 1580, das das Meißner Konsistorium ablöste, und dem Erlass der „großen Kirchenordnung“ 1580 durch Kurfürst August sei die frühe Entwicklung der Ehegerichtsbarkeit zum Abschluss gekommen. Allerdings sei das Oberkonsistorium Dresden den weiterbestehenden Konsistorien in Ehesachen nicht unmittelbar übergeordnet gewesen, Appellationen seien nach wie vor an die Hofkanzlei selbst zu richten gewesen.

 

Abschließend stellt Frassek fest, dass man die Ehegerichtsbarkeit in Kursachsen, vor allem im ernestinischen Gebiet, mit großer Gewissenhaftigkeit eingerichtet habe. Auffällig sei im Vergleich zum albertinischen Gebiet und auch zur Schweiz, dass man großen Wert auf inhaltliche Qualität der Entscheidungen zumindest in schwierigen Fragen legte und weniger pragmatisch war, was sich vor allem in der Entscheidung für ein universitätsnahes zentrales Gericht mit sehr qualifizierter Besetzung widerspiegele. Den Richtern oblag nicht nur das Entscheiden von Fällen, sondern vor allem auch die Rechts(fort)bildung und damit Normsetzung. Unterstützung habe das Zentralgericht jedoch durch untergerichtliche Strukturen erhalten, insbesondere den Superintendenten, vor allem bei der Ermittlung der Sachverhalte und durch Entscheidungsübernahme einfacherer Fälle. Die unterschiedlichen Entwicklungsansätze in den sächsischen Gebieten haben sich nach dem Wechsel der Kurwürde 1547 bis in das Jahr 1580 langsam angeglichen. In einem Seitenabschnitt geht Frassek auf die Ehegerichtsbarkeit in kleineren Herrschaften des sächsischen Raums ein, die meistens nur dem Namen nach nicht jedoch qualitativ auch über Konsistorien verfügten. Sie hatten aber kaum Einfluss auf die geschilderte Gesamtentwicklung in Kursachsen und gelangten teilweise (z. B. Plauen) unter den Einfluss des Kurfürsten mit der Folge ihrer Auflösung (162ff.).

 

In dem folgenden Abschnitt widmet sich Frassek den Rechtsgrundlagen, wobei die umfangreichsten Ausführungen den verschiedenen Rechtsquellen selbst gewidmet sind. Es schließen sich Ausführungen zur Bedeutung der Rechtsquellen in der juristischen Praxis an sowie zur Praxis der Ehegerichtsbarkeit und zur Schaffung von Präjudizien. In einem Exkurs widmet sich Frassek außerdem der Eherechtsliteratur.

 

Die ernestinische Ehegesetzgebung bis zum Verlust der Kurwürde (1547) sei höchst rudimentär und bei den wenigen Vorschriften handele es sich eher um Argumentationshilfen für Superintendenten und Visitatoren, die Bevölkerung zu „sittlichem“ Verhalten anzuhalten. Nur die ausführlichere Regelung „heimliche[r] Verlöbnisse“, ein Abschnitt aus der nicht in Kraft gesetzten Wittenberger Konsistorialordnung von 1542, sei anders zu bewerten. Das Cellische Ehebedenken aus dem Jahre 1545, das in der albertinischen Herrschaft entstanden sei, enthielt im Vergleich die wesentlichen Inhalte des Eherechts. Bei der Lösung einiger Eherechtsprobleme seien lutherische Vorstellungen übernommen worden und damit relativ zeitig der bestehende Meinungsstand der Reformation in Abweichung vom kanonischen Eherecht festgehalten: die Unwirksamkeit heimlicher Verlöbnisse, die fehlende Unterscheidung von öffentlichem Verlöbnis und Eheschließung und die Ehescheidung dem Bande nach in bestimmten Ausnahmefällen. Allerdings seien die Cellischen Ordnungen nie veröffentlicht worden und seien letztlich nur Arbeitsgrundlage geblieben. Dem cellischen Ehebedenken folgte ein Jahrzehnt später 1556 die Dresdener Eheordnung, die ebenfalls nicht publiziert und nicht durch den Kurfürsten genehmigt worden sei. Sie stellt im wesentlichen eine mit dem Sachverstand und der reichlichen Erfahrung aller Konsistoriumsmitglieder und Philipp Melanchthons verfasste Ergänzung und Harmonisierung des Cellischen Ehebedenkens dar, die nach Zusammenführung der ernestinischen und albertinischen Gebiete 1547 und nunmehr drei Konsistorien notwendig geworden seien.

 

Die bis dahin ergangenen Ordnungen, erste Fixierung des neuen reformierten sächsischen Eherechts, seien durch die Regelungen in der Kirchenordnung von 1580 abgelöst worden. Im Vergleich zum Cellischen Ehebedenken seien die Eherechtsregelungen inhaltlich straffer, was durch die zunehmende Konsolidierung in Ehefragen bedingt sein könne. Inhaltlich seien nur vereinzelte Abweichungen feststellbar, u. a. bezüglich der Ansicht des öffentlichen Verlöbnisses und der Eheschließung, die eine deutliche Annäherung an die frühere kanonische Ansicht verrate, nämlich der Unterscheidung dieser Rechtsakte, aber auch an die neue bei den Katholiken eingeführte Formalisierung des Trauungsaktes auf dem Konzil von Trient. Die „große Kirchenordnung“ widmet nach seiner Überschrift den letzten Abschnitt des Eherechts der Unzucht und dem Ehebruch. Es gehe in diesem Abschnitt weniger um Eherecht im engeren Sinne, sondern mehr um jegliche Sexualdelikte und er sei den zuvor ergangenen Kursächsischen Konstitutionen von 1572 entnommen. Die Kursächsischen Konstitutionen beinhalteten auch Regelungen zum Eherecht, jedoch eher den Teil, der vor allem in späteren Jahren mit der Einordnung „bürgerliche rechtliche Wirkungen“ der Ehe vom Bereich des kanonischen Eherechts bei den Katholiken geschieden wurde: güterrechtliche und erbrechtliche Regelungen.

 

Anhand einer im Lutherhaus Wittenberg befindlichen Handschrift, die am Ende des 19. Jahrhunderts vom Wittenberger Diakon G. Schleusner ediert worden ist, belegt Frassek, welche Relevanz die eben aufgeführten Eherechtsquellen für die Praxis hatten. Diese Handschrift, die nach Einschätzung Frasseks zwischen 1556 und 1558 im wesentlichen kollegial von Konsistoriumsmitgliedern geführt worden sei, enthalte in ihrem ersten Teil eine Zusammenstellung der wichtigen eherechtlichen Quellen, u. a. Cellische und Dresdener Ordnungen. Soweit diese Quellen für die Lösung praktischer Fälle zu dürftig gewesen seien, wie etwa im Falle der verbotenen Grade der Schwägerschaft, seien sie durch andere Texte u. a. auch der Bibel ergänzt worden. Außerdem befänden sich in der Handschrift konkrete Entscheidungen in Form von Rechtsgutachten der reformatorischen Autoritäten, der ehegerichtlichen Spruchkörper oder von Urteilen des Konsistoriums (S. 226, 231ff) und in kleinerem Umfang Mustertexte zu Aufgebotsverfahren und Desertionsprozessen.

 

Frassek wertet die in der Handschrift aufgezeichneten 800 Entscheidungen zunächst nach juristischen Problemgruppen aus, um einen besseren Überblick als durch Auswertung der juristischen Literatur über die tatsächlichen eherechtlichen Probleme der Zeit gewinnen zu können. Danach seien mit 40 % der Fälle am häufigsten Fragen zur Wirksamkeit des Eheversprechens, wobei hier wiederum die größte Gruppe die Streitigkeiten um die tatsächliche Abgabe eines (un)bedingten Eheversprechens darstellt, gefolgt von Fällen, in denen mehrere Eheversprechen abgegeben worden sind, am seltensten sind dabei die Fälle, in denen es um das Problem eines Eheversprechens ohne elterliche Bewilligung ging. 20% der Fälle betreffen das Ehehindernis der Verwandtschaft oder Schwägerschaft. Kaum weniger Fälle sind zur „Verlassung“ vorhanden, die damit den häufigsten Grund für die Ehescheidung dem Bande dargestellt habe, wenngleich nicht alle Fälle tatsächlich zur Scheidung führten. Der Ehebruch ist mit nur 10% der Fälle vertreten; dieser erhebliche Unterschied zu den Verlassungsfällen sei damit zu erklären, dass hier nur die Ehebruchsfälle gezählt worden seien, die nicht gleichzeitig mit einer Verlassung verbunden waren. Mit etwa 3 % sind Unzuchtsfälle vertreten, woraus aber nicht ihre Seltenheit geschlossen werden dürfe, sondern als Schutzbehauptung sei häufig ein in der Folge streitiges Eheversprechen vorgetragen worden. Ebenfalls mit 3% sind Fälle unfriedlicher bzw. zerrütteter Ehen vorhanden. 4% verbleiben für seltene Fallkonstellationen, wie beispielsweise körperliche Gebrechen oder Impotenz. Ganz besonders selten seien Fälle mit ehegüterrechtlichen und erbrechtlichen Fragen, was die geringe Relevanz im neuen evangelischen Eherechte nachweise – sie gehörten im Untersuchungszeitraum nicht zum Aufgabenbereich der neuen Ehegerichtsbarkeit. Die Verteilung der Fallgruppen entspreche den Ergebnissen anderer Untersuchungen von Müller-Vollbehr (für geistliche Gerichte in Braunschweig-Wolfenbüttel) und Gabriel (Hochstift Merseburg).

 

Von den 800 Eherechtsfällen seien 22 Autoritätenentscheidungen, die sich entgegen der tatsächlichen Häufigkeit überwiegend mit der Ehescheidung befassen, was die Bedeutung der Autoritäten der Reformation für die Entwicklung einer allgemeinen neuen Ehescheidungsdogmatik beweise. Es folgen eine systematische Zusammenstellung von 16 Entscheidungen des Wittenberger Konsistoriums, eine Entscheidung der Jenaer Fakultät und zahlreiche nicht systematisch aber chronologisch geordnete Fälle des Wittenberger Konsistoriums. Die systematisch sortierten Fälle hätten als Musterfälle für die bereits entwickelte Dogmatik im Eherecht gedient, die nachfolgenden Fälle eher als Illustration der zahlreich möglichen Einzelsachverhalte. Frassek erörtert im folgenden die in den Entscheidungen der systematischen Sammlung zum Ausdruck kommende und durch das Konsistorium Wittenberg hauptsächlich entwickelte Dogmatik zur Verlassung, zur Wirksamkeit des Eheversprechens, zum Ehehindernis der Verwandtschaft und Schwägerschaft, zum Ehebruch und zu unfriedlich bzw. zerrütteten Ehen. Die systematische Sammlung enthalte jedoch keine Fälle zu körperlichen Gebrechen und zur Unzucht.

 

Frassek beschließt seine Untersuchung mit einem Exkurs zur Eherechtsliteratur, die wie die Gesetzgebung die Entstehung des reformierten Eherechts in der Frühphase nur beschränkt beeinflusst habe. Allerdings könne man vor allem ab dem Ende des 16. Jahrhunderts aus der erschienenen Literatur unter Berücksichtigung der Herkunft und Wirkstätte der Autoren gewisse Rückschlüsse auf Meinungsverschiedenheiten und Frontenbildungen innerhalb des Meinungsspektrums schließen.

Frassek kommt zu dem Ergebnis, das frühe reformierte Eherecht sei zum einen in Ehegesetzgebung, so im albertinischen Teil Sachsens, und zum anderen durch Gerichtsentscheidungen, so im ernestinischen Teil Sachsens, fixiert worden. Die Gestaltung durch die Rechtspraxis, also durch Entscheidungen, sei dabei jedoch wegen größerer Flexibilität die maßgeblichere gewesen. Sie habe das Cellische Ehebedenken, aber in starkem Maße auch die Dresdener Eheordnung beeinflusst. Die Wittenberger Handschrift gebe ein hervorragendes Zeugnis dafür, dass weiterhin bestehende gesetzgeberische Lücken immer wieder durch Rechtsprechung, vor allem des Wittenberger Konsistoriums, ergänzt und geschlossen worden seien. Frassek präsentiert in seinen Ergebnissen weiterführende Gedanken und Verknüpfungen, beispielsweise die Bedeutung der Heiligen Schrift als Ausgangspunkt für die reformerische Umgestaltung des evangelischen Eherechts und gleichzeitigen Bestandteil der Ehegesetzgebung, die man sich nicht erst an dieser Stelle gewünscht hätte. Auch die Hinweise auf den Hintergrund der lutherischen Neukonzeption des Eherechts zur Rettung der Ehe als kleinster Einheit sozial geordneten Zusammenlebens im Kampf gegen Missstände im Eherecht aufgrund nach kanonischem Recht formlosen Eheschließungen und die „schützende Aufgabe der weltlichen Obrigkeit“ eines geordneten Zusammenlebens in der Ehe kommen sehr spät.

 

Im Gegensatz dazu nimmt die geschichtliche Hinführung auf das Untersuchungsthema in der Einleitung bedauerlicherweise bereits Ergebnisse vorweg und führt den Leser zu wenig straff auf das Untersuchungsziel hin, indem zu viele, wohl interessante, Nebenschauplätze eröffnet werden.

 

Nichtsdestotrotz verdient diese Monographie besondere Würdigung für die sorgfältige Sichtung und Auswertung umfangreichen Quellenmaterials. Für weitere Forschungen sehr hilfreich ist das im Anhang II abgedruckte Verzeichnis der im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, überlieferten Akten in Ehesachen. Die im Anhang I auf Hochglanzpapier abgebildeten Reproduktionen ausgewählter verarbeiteter Archivalien liefern vor allem dem Unkundigen Einsichten und Eindrücke, die in dieser Archivarbeit stecken. Frassek erbringt mit dieser Untersuchung einen weiteren wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Eherechts und der Ehegerichtsbarkeit nach und durch die Reformation.

 

Regensburg                                                                                        Cordula Scholz Löhnig