Europas Zukunft. Vorstellungen des Kreisauer Kreises um Helmuth James Graf von Moltke, hg. v. Karpen, Ulrich (= C. F. Müller Wissenschaft). C. F. Müller, Heidelberg 2005. VIII, 196 S. Besprochen von Gerold Neusser.

 

„Europas Zukunft“ – eigentlich kein Thema der Rechtsgeschichte. Aber doch ein zentrales Thema für diejenigen, die im „Kreisauer Kreis“ um Helmuth James Graf von Moltke über Freiheit und ein freiheitliches Deutschland nachdachten, als unser Land im 20. Jahrhundert unter seiner ersten totalitären Diktatur litt. Sie waren überzeugt davon, daß die große Chance Deutschlands nach dem vorhersehbaren Ende des grausamen Krieges in einem gesamteuropäischen Zusammenwirken lag. Den Vorstellungen des Kreises darüber nachzugehen, lag daher nahe. Der Hamburger Staatsrechtler Ulrich Karpen hatte es mit seinem „Dissertationsverbundprojekt“ (das sich für geschichtliche Forschung ganz besonders eignet) unternommen, die verfassungspolitischen Vorstellungen des Kreisauer Kreises „aus der Sicht der Schriften und der Lebensleistung von fünf seiner Mitglieder“, die Juristen waren, zu untersuchen (vgl. die Rez. des Unterzeichneten in dieser Zeitschrift, Germ. Abt. 123 [2006)], S. 767-770). War die 8-jährige Forschungsarbeit durch eine fundierte Fachtagung 1995 eingeleitet worden, so widmete sich nun 2004 das Hamburger „Abschlußsymposium“ eben dieser zentralen Frage des Kreisauer Kreises.

 

Es basiert auf den genannten fünf Doktorarbeiten von Franz Graf von Schwerin, Frank Schindler, Michaela Ellmann, Andreas Schott sowie Levin von Trott zu Solz und versuchte, auf ihrer Grundlage und fachübergreifenden Beiträgen namhafter Referenten die Europa-Thematik zu erfassen, so schwierig dies auch zuweilen angesichts schmaler Quellenbasis ist. So wurde „Europa in den Planungen der Kreisauer und des Exils“ durch Gerhard Ringshausen dargestellt und die Rolle des „Kreisauers“ Adolf Reichwein („europäischer Planetarier oder planetarischer Europäer“) durch Ekkehard Geiger erhellt. Über die „Kreisauer“ hinaus weisen die Referate von Winfried Becker über den bayerischen Widerstandskreis um Franz Sperr und Otto Geßler, von Antonia Leugers über die Europavorstellungen des bayerischen Kirchenjuristen Georg Angermeier, von Wolfgang Graf Vitzthum und von Alexander Meyer zu den Brüdern Stauffenberg; in ihnen wird deutlich, in wie starkem Maße der deutsche Katholizismus aus seinen Wertvorstellungen heraus in der Thematik engagiert war. Grundsätzliches dazu trug Norbert Brieskorn SJ mit „Römisch-katholische Einstellungen zum politischen Widerstand im 19. und frühen 20. Jahrhundert“ bei. Die beiden „Altmeister“ Hans Mommsen und Ger van Roon beteiligten sich nicht nur an den lebendigen Diskussionen; ersterer nahm mit dem Überblick „Der deutsche Widerstand gegen Hitler und die Zukunft Europas“ frühere eigene Arbeiten wieder auf, letzterer las zwei neu aufgefundene Dokumente der Kreisauer. Das verdienstliche Weiterarbeiten sollte freilich mit dieser Veranstaltung nicht zu Ende sein, immerhin gab es Andeutungen in dieser Richtung.

 

So gehört dieser Band eben doch zur Thematik der Rechtsgeschichte. Die Beschäftigung mit politischem Widerstand und dem Recht dazu wird nicht nur mittelalterliche Geschichte aufhellen sondern auch die unserer Zeiten. Gerade den jungen Juristen, die Werte lernen und nicht bloß Handwerk, wird sie Wegweisung geben können.

 

Bremen                                                                                                          Gerold Neusser