Der Dynastiewechsel von 751. Vorgeschichte, Legitimationsstrategien und Erinnerung, hg. v. Becher, Matthias/Jarnut, Jörg. Scriptorium, Münster 2004. VIII, 381 S. Besprochen von Martina Hartmann.

 

Eine im April 2002 in Bonn veranstaltete Tagung befasste sich 1251 Jahre nach dem Dynastiewechsel von den Merowingern zu den Karolingern mit dem Ereignis, das wir gewohnt sind, aus der Perspektive von Einhards Vita Karoli wahrzunehmen. Nachdem die Forschung sich in den letzten Jahren immer wieder mit der Bewertung der späten Merowingerkönige wie auch der Politik arnulfingisch-pippinidischen Hausmaier auseinandergesetzt hatte, bot es sich an, auf dieser Tagung einmal Bilanz zu ziehen.

 

Den Auftakt macht Rudolf Schieffer, „Die folgenschwerste Tat des Mittelalters“? Aspekte des wissenschaftlichen Urteils über den Dynastiewechsel von 751 (S. 1-13), der ausgehend von einem Zitat G. Fickers von 1912 die Bewertung des Ereignisses in der Forschung seit Mitte des 19. Jahrhunderts nachzeichnet. - Ian Wood, Usurpers and Merovingian Kingship (S. 15-31) untersucht verschiedene „Palastrevolutionen“ unter den Merowingern des 6. und 7. Jahrhunderts sowie die Rolle der dabei involvierten Personen und kommt zu dem Schluss, dass 751 nicht nur eine Dynastie aus der Geschichte verschwunden sei, sondern ein „Politikwechsel“ stattgefunden habe. Manche Erzählungen im Liber Historiae Francorum, an deren Glaubwürdigkeit schon wiederholt gezweifelt wurde, nimmt Wood allerdings vielleicht zu wörtlich. – Theo Kölzer, Die letzten Merowingerkönige: rois fainéants? (S. 33-60): ist eine gut geschriebene, kritische Auseinandersetzung mit den Versuchen Jean Versueils und anderer, die merowingischen „Schattenkönige“ politisch aufzuwerten. Kölzer sieht in der „Klosterpolitik“ der Königin Balthild den letzten Versuch einer eigenständigen merowingischen Politik, fordert aber zu Recht, die Bewertung der Merowingerzeit von der Bewertung der Merowingerkönige zu trennen. – Ulrich Nonn, Die Nachfolge Karl Martells und die Teilung von Vieux-Poitiers (S. 61-73), beschäftigt sich mit dem schon viel diskutierten Vorgängen der Jahre 737 bis 742 (vgl. zuletzt dazu Matthias Becher, Eine verschleierte Krise. Die Nachfolge Karl Martells und die Anfänge der karolingischen Hofgeschichtsschreibung, in: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, hg. von Johannes Laudage, 2003, S. 95-133) und den widersprüchlichen Nachrichten der Historiographie und kommt zu dem Schluss: „Die Teilung von Vieux-Poitiers bleibt immer noch rätselhaft“ (S. 73). – Roger Collins, Pippin III as Mayor of the Palace: the Evidence (S. 75-91) versucht aus den Quellen Angaben über Pippins Kirchenpolitik in seiner Zeit als Hausmaier zu gewinnen als Hintergrund für seine Kontaktaufnahme mit dem Papsttum im Vorfeld der Königserhebung, kann aber leider nur wenig Belege finden. – Janet L. Nelson, Bertrada (S. 93-108), setzt die Reihe ihrer Portraits karolingischer Frauen fort, listet allerdings nur die Belege für die erste Karolingerkönigin bis 754 auf und diskutiert sie, wobei natürlich die wichtigere Phase in Bertradas Leben die Zeit nach Pippins Tod 768 bis ca. 771 war. – Stuart Airlie, Towards a Carolingian Aristocracy (S. 109-127), untersucht, wie sich die karolingische Aristokratie gegenüber Pippin I. nach 751 verhielt und wie Pippin sich gegen Opposition durchsetzte. Das Schicksal seines Halbbruders Grifo ist für diese Untersuchung ein wichtiger Angelpunkt. – Dieter Geuenich, … noluerunt obtemperare ducibus Franchorum. Zur bayerisch-alemannischen Opposition gegen die karolingischen Hausmaier (S. 129-143), kommt zu dem Schluss, dass ohne die Eroberung und schrittweise Integration von Alemannien in das Frankenreich, die zur Beseitigung des Herzogtums führte, „der Dynastiewechsel von 751 nicht möglich gewesen“ wäre (S. 143). – Walter Pohl, Das Papsttum und die Langobarden (S. 145-161), legt dar, dass wir keine langobardischen Quellen zu den Konflikten mit dem Papsttum besitzen und dass König Aistulf sich im Prolog seiner Gesetze darauf berief, das römische Volk sei ihm von Gott übertragen worden, mithin in direkter Konkurrenz zum Papsttum stand und so in eine politische Konstellation geriet, die schließlich zum Untergang des Reiches führte. – Yitzhak Hen, The Christianisation of Kingship (S. 163-177), wertet das merowingische Königtum in liturgischer Hinsicht auf, denn nicht erst die Karolinger „used the patronage of liturgy as a political machinery of propaganda (S. 174). – Arnold Angenendt, Pippins Königserhebung und Salbung (S. 179-209), gibt zunächst einen Überblick über die Forschungen der letzten Jahre zu Pippins Erhebung und Salbung und hält gegen Josef Semmler, Der Dynastiewechsel von 751 und die fränkische Königssalbung (2003) daran fest, dass der Bericht des Fredegar-Fortsetzers zu 751 als Salbung zu deuten sei. - Michael Richter, Die frühmittelalterliche Herrschersalbung und die Collectio Canonum Hibernensis (S. 211-219), betont, dass in irischen Quellen der Brauch der Königssalbung nicht nachzuweisen sei. - Michael McCormick, Pippin III, the Embassy of Caliph al Mansur, and the Mediterranean World (S. 221-241), beschäftigt sich mit der vom Fredegar-Fortsetzer c. 51 geschilderten Gesandtschaft aus Bagdad, ordnet sie in das Beziehungsgeflecht der Reiche rund um das Mittelmeer ein und bescheinigt Pippin „brilliantly political initiatives“ (S. 241) bei seiner Kontaktaufnahme mit dem Kalifen in Bagdad, zu denen die letzten Merowingerkönige nicht mehr fähig gewesen seien. - Olaf Schneider, Die Königserhebung Pippins 751 in der Erinnerung der karolingischen Quellen: Die Glaubwürdigkeit der Reichsannalen und die Verformung der Vergangenheit (S. 243-275), nimmt nochmals die „alte Diskussion“ auf, betont die Echtheit der umstrittenen Clausula de unctione Pippini von 767 und zeigt die große Bedeutung der Darstellung in den Reichsannalen für die nachfolgende Überlieferung auf sowie die Verformung des Ereignisses in den späteren Quellen. - Helmut Reimitz, Der Weg zum Königtum in den historiographischen Kompendien der Karolingerzeit (S. 277-320), beschäftigt sich mit der „Neukontextualisierung“, vergleicht drei Geschichtskompendien und möchte zeigen, „wie sehr gleichartige Texte zur Geschichte der Franken zu Ressourcen genutzt werden konnten, um zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Kontexten politische und soziale Rollen in den fränkischen Regna der Karolingerzeit zu definieren und zu legitimieren“ (S. 312). - Hans-Werner Goetz, Der Dynastiewechsel von 751 im Spiegel der früh- und hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung (S. 321-367), gibt einen guten Überblick, auch mit Hilfe instruktiver Tabellen, über die Erwähnungen von Details des Ereignisses von 751 in den erzählenden Quellen bis Gottfried von Viterbo und in den Königsurkunden. Während in ottonischer und frühsalischer Zeit die Erinnerung daran seltener wachgerufen worden sei, könne man ab der Mitte des 11. Jahrhunderts wieder eine Zunahme von Nachrichten konstatieren und auch in spätmittelalterlichen Staatsschriften fehle das Ereignis von 751 durchaus nicht.

 

Der umfangreiche und umsichtig redigierte Band, der dem Thema viele verschiedene Facetten abgewinnt und in manchen Punkten zu abschließenden Ergebnissen kommt, wird durch ein Namenregister abgerundet.

 

Heidelberg                                                                                         Martina Hartmann