Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft. Zum Gedenken an Hans Großmann-Doerth (1894-1944), hg. v. Blaurock, Uwe/Goldschmidt, Nils/Hollerbach, Alexander (= Beiträge zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik 171). Mohr (Siebeck), Tübingen 2005. 123 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Das „selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft“ sowie „sinnlos gewordenes liberales Wirtschaftsrecht“ und dessen ordnungspolitische Einordnung waren die zentrale Thematik von Hans Großmann-Doerth, dem das Walter Eucken Institut zusammen mit der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Freiburger Universität 2004 aus Anlass des 60. Todestages dieses Juristen eine Gedenkveranstaltung widmete. Der Band vereinigt neben einer Einführung von N. Goldschmidt (Hans Großmann-Doerth und die Freiburger Schule) Beiträge über Großmann-Doerth im Kontext der Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (M. H. Speck) und über „Wirtschaft und Rechtsordnung. Möglichkeiten und Grenzen autonomer Rechtssetzung“ (U. Blaurock). Es folgen der Wiederabdruck der Freiburger Antrittsvorlesung von 1933: „Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht“, Briefe Großmann-Doerths sowie eine Bibliographie und ein Verzeichnis der gemeinsamen Seminare Großmann-Doerths mit Freiburger Wirtschaftswissenschaftlern. Großmann-Doerth war nach seiner Habilitation bei Wüstendorfer (Hamburg) 1930 einem Ruf an die Deutsche Universität Prag gefolgt, bevor er Anfang 1933 nach Freiburg kam. Zusammen mit Walter Eucken war er Gutachter der Habilitationsschrift Franz Böhms. Bereits 1933 begründete er die Forschungsgemeinschaft von Juristen und Volkswirten (sog. Freiburger Schule) mit Gemeinschaftsseminaren und 1936 mit Eucken und Böhm die Schriftenreihe „Ordnung der Wirtschaft“. Nach der Einleitung in diese Schriftenreihe war die Wirtschaftsverfassung „als eine politische Gesamtentscheidung über die Ordnung des nationalen Wirtschaftslebens zu verstehen“ (S. 14).

 

Damit lag im Kern das Gedankengebäude des Ordoliberalismus „in seinen charakteristischen Grundzügen“ vor (S. 14f.). Schon 1931 hatte Großmann-Doerth sich für den Deutschen Juristentag in der Tschechoslowakei sehr kritisch mit der Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Rechtsform auseinandergesetzt, eine Thematik, die er in weiteren Aufsätzen und vor allem im Ausschuss für GmbH-Recht der Akademie für Deutsches Recht (1937-1939) weiter verfolgte. In seiner Antrittsvorlesung setzte er sich mit den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ auseinander, die der Staat unter seine Kontrolle bringen sollte (S. 92). Das ambivalente Verhältnis, das Großmann-Doerth gegenüber dem nationalsozialistischen Staat hatte, von dem er sich eine Verwirklichung seiner rechtspolitischen Forderungen wohl erhoffte, behandeln die Beiträge nur am Rande (vgl. S. 17f., 35f.; hierzu insb. M. Stupp, GmbH-Recht im Nationalsozialismus, Berlin 2002, S. 36ff., 220ff.). Jedoch war Großmann-Doerth weder in der NSDAP noch innerlich der NS-Ideologie verhaftet; dazu war er eine viel zu eigenständige, „eine energische und feste Persönlichkeit“, wie Eucken 1935 notierte (S. 17). Zusammen mit Franz Böhm hat Großmann-Doerth eine ordoliberale Rechtswissenschaft begründet, deren Weiterentwicklung ihm durch seine tödliche Verwundung als Regimentskommandeur im Jahre 1944 versagt blieb. Ohne seine Beiträge und diejenigen Ludwig Raisers zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist letztlich das AGB-Gesetz von 1976 undenkbar. Insgesamt ist die Bedeutung der Gedächtnisschrift darin zu sehen, dass sie auf einen Juristen aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts aufmerksam macht, an dem die deutsche Rechtsgeschichte nicht vorbeigehen sollte.

 

Kiel

Werner Schubert