Caspary, Gundula, Späthumanismus und Reichspatriotismus. Melchior Goldast und seine Editionen zur Reichsverfassungsgeschichte (= Formen der Erinnerung 25). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 240 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wer nach den Anfängen der deutschen Rechtsgeschichte sucht, findet vor Hermann Conring nur Weniges. Am ehesten stehen am Beginn noch humanistische Editoren. Zu diesen zählt Melchior Goldast von Haiminsfeld, der in der Forschung vielfach als Handschriftendieb und Geschichtsfälscher angesehen wird und dessen Tätigkeit die Verfasserin eine gerechte Form der Erinnerung vermitteln möchte.

 

Ihre Arbeit ist ihre im Wintersemester 2003/2004 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Universität Gießen angenommene, von Peter Moraw betreute und im Sonderforschungsbereich Erinnerungskulturen erstellte Dissertation. Sie gliedert sich klassisch in Einleitung, Untersuchung und Schluss. Am Ende sind Abkürzungen, Quellen und Literatur sowie ein Verzeichnis von vielleicht 200 Namen angefügt.

 

Bei der Untersuchung beginnt die Verfasserin angesichts des Fehlens einer überzeugenden Biographie Goldasts mit eigenen Überlegungen zum Werden und Sein dieses späthumanistischen Publizisten. Mit Martin Mulsow lässt sie das Studium in Altdorf beginnen, wo Goldast bis 1598 Petrus Wesenbeck, Scipio Gentilis und Conrad Rittershausen gehört haben und dadurch mit dem mos Gallicus verbunden worden sein dürfte. Seine philosophischen Studien schloss er 1597 bei seinem Landsmann und wohl auch Verwandten Philipp Scherb mit dem Magister artium ab, einer juristischen Disputation über den Zivilprozess und den Prozessaufwand konnte er aus Kostengründen den Erwerb des juristischen Doktorgrads nicht mehr folgen lassen.

 

Nach der Rückkehr in die Schweiz unterstützte er besonders den wohlhabenden Universalgelehrten Bartholomäus Schobinger (1566-1604) bei der Herausgabe der historischen Schriften Joachim von Watts. Als Frucht dieser Zusammenarbeit wurden auch erstmals große Texte der althochdeutschen und mittelhochdeutschen Zeit aus verschiedenen Bibliotheken und Archiven einer breiteren gelehrten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Einen ansehnlichen Bestand an wertvollen mittelalterlichen Handschriften hat Goldast – wie andere Gelehrte seiner Zeit - aus den Bibliotheken mitgenommen (und dadurch vor dem möglichen Untergang bewahrt), in der Regel mit dem Ziel der Zugänglichmachung durch Veröffentlichung, so dass die Verfasserin ihn vor dem Vorwurf des Diebstahls entschieden in Schutz nimmt.

 

Nach Schobingers Tod und einem Verfahren wegen der Mitnahme der Bücher aus der Stadtbibliothek Sankt Gallen wechselte Goldast nach Frankfurt am Main, wo er 1607 mit den ersten beiden Bänden der Constitutiones Imperialium sein größtes Editionsprojekt begann, in dessen Rahmen Gesetze von den ältesten germanischen Zeit bis zur Gegenwart zum Abdruck gelangten, darunter auch die Goldene Bulle und der Augsburger Religionsfriede. Ein Lohn in Geld für die systematische Sammlungs- und Erläuterungsarbeit blieb freilich aus. Erst 1615 endete mit der Ernennung zum Rat des Grafen Ernst von Schaumburg die wirtschaftliche Not Goldasts und damit zugleich auch die Zeit seiner größten editorischen Produktivität.

 

In der Folge konzentriert sich die Verfasserin auf die Monarchia Sancti Romani Imperii aus den Jahren 1612-1614. Ihre Texte sollten nach Goldasts Absicht die Stellung des Kaisers stärken und die Sache der Protestanten stützen und damit Papst und Kardinäle schwächen. Dabei beutete der Herausgeber trotz gegenteiliger Beteuerungen in den meisten Fällen ältere Drucke einfach aus, so dass der größte Wert des Werkes in der Verschmelzung zu einem unübertroffenen Kompendium über das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht besteht.

 

Goldasts eigenen Anspruch, um der Sache willen von der eigenen Person abzusehen, sieht die Verfasserin am Ende einerseits durchaus eingelöst. Sie weist aber zugleich deutlich darauf hin, dass die Textauswahl auf der Standortgebundenheit des Editors beruht und dass Goldasts Streben nach der einen wahren Geschichte aus heutiger Sicht ein Irrweg war. Im Wissen darum, dass allen Objektivitätsbestrebungen zum Trotz jede historische Darstellung Konstruktion von Vergangenheit sei, sei auch ihre Arbeit nur ein Versuch der subjektiven Annäherung an den Späthumanisten und Reichspatrioten Melchior Goldast.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler