Briefe deutscher und Schweizer Germanisten an Karl Josef Anton Mittermaier, hg. v. Jelowik, Lieselotte (= Ius Commune Sonderheft 143). Klostermann, Frankfurt am Main 2001. X, 495 S. Besprochen von Erik Jayme.

 

Briefwechsel stellen im 19. Jahrhundert eine ganz wesentliche Quelle für das Verständnis wissenschaftlicher Diskurse dar.[1] Die Briefe an und von Mittermaier bilden aber auch insoweit eine Ausnahme, als Mittermaier ungewöhnlich viele Briefpartner hatte, mit denen er in angeregtem Gedankenaustausch stand. Dies hängt auch damit zusammen, daß er mehrere Zeitschriften begründet hatte oder an solchen ständig mitarbeitete. Zusammen mit Zachariae gab er die weltumspannende „Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes“ heraus. Seine Korrespondenz mit den Autoren und Rezensenten nimmt daher einen besonderen Raum ein. Mittermaier war Italien besonders verbunden[2]; er hatte das Land bereist, im Jahre 1844 ein Buch „Italienische Zustände“[3] veröffentlicht und war mit vielen italienischen Juristen befreundet.[4] Er korrespondierte aber mit der halben Welt[5] und auch mit vielen Kollegen in Deutschland. Die Briefe befinden sich vor allem im Mittermaier-Nachlaß in der Universitätsbibliothek Heidelberg.[6] Die heutige Forschung hat sich die Aufgaben geteilt. Die Edition der Briefe italienischer Korrespondenten wird in Italien betreut; die anderen Briefwechsel werden im Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte erfasst und herausgegeben. Zu diesen gehört der hier zu besprechende Band „Germanisten“.

 

Mittermaier war ein Universaljurist. Er vertrat viele Fächer, u. a. die beginnende Rechtsvergleichung[7], das Strafrecht und das deutsche Privatrecht.[8] Als „Germanist“ glaubte er „an die gegenwartsgestaltende Kraft der Historie“[9]. Die Aufarbeitung der deutschrechtlichen Elemente des gegenwärtigen Rechts wurde sein Arbeitsprogramm. Mit der Zeit geriet er somit in einen gewissen Gegensatz zu seinem Schüler Karl Friedrich Gerber, der „die nicht zu bestreitende Wahrheit“ betonte, „daß ein großer Theil des Privatrechts in seinen allgemeinsten Grundlagen der Volksindividualität fern steht, und die Bestimmung der Gränzen durch die bei Völkern von gleicher Bildungsstufe immer in demselben Geleise sich offenbarende allgemein menschliche Idee der Gerechtigkeit empfängt“[10]. Hinzu trat der bekannte Streit zwischen Romanisten und Germanisten in der deutschen Wissenschaft. Während Gerber diese Spaltung beklagte, wünschte Reyscher, daß dieser Gegensatz „so klar…als möglich hervortrete“.[11] Reyscher leitete die „Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft“.

 

Vor diesem Hintergrund bietet die Briefedition mit ihren 267 Briefen von 31 Gelehrten eine Fülle von Einsichten und Anregungen. Mittermaier erscheint, wie die Herausgeberin zu Recht betont, als ein „Mittelpunkt einer regen „germanistischen“ Korrespondenz“[12], eine wissenschaftliche Vaterfigur, eine Drehscheibe von Ideen und Beziehungen. Alle Germanisten von Rang und Namen, die älteren und die jüngeren, sind vollständig vertreten. Hinzu kommen aber auch andere Gelehrte, die in den Wirkungskreis von Mittermaier traten, wie der nach Heidelberg berufene Johann Caspar Bluntschli.[13] Die Themen sind weitgestreut, sie betreffen nicht nur die Germanistik, sondern auch jüngste Auswirkungen der Technik auf das Verfahrensrechts, wie das Telegraphenrecht.  

 

Besonders interessant ist der Briefwechsel mit Karl Friedrich Gerber, da hier auch 7 Gegenbriefe von Mittermaier selbst aufgenommen werden konnten. In seinem Brief vom 2. Juni 1850 ( Nr. 163, S. 319ff.) spricht Gerber offen die wissenschaftlichen Differenzen zu Mittermaiers Forschungsansatz aus, offener und klarer, als es sich aus seinen Schriften ergibt. Bei Mittermaier wird zudem der politische Hintergrund sichtbar[14]: „Vorzüglich aber müssen wir eine nationale deutsche allgemeine Gesetzgebung vorbereiten; diese muß auf nationale Grundlagen gebaut werden“ (Brief an Gerber, v. 20. 5. 1850, S. 317). Die werdende Nation bedurfte einer ihr entsprechenden Rechtsordnung. An solchen und ähnlichen Äußerungen, aus denen sich wertvolle Einsichten für das Verständnis der allgemeinen und der Wissenschaftsgeschichte ergeben, ist der Briefband reich. Man möchte sich wünschen, das viele weitere Bände folgen.

 

Heidelberg                                                                                                                 Erik Jayme



[1] ) Auf dem Bereich der Germanisten vgl. z. B. Mario G. Losano, Der Briefwechsel zwischen Jhering und Gerber, Teil 1, Ebelsbach 1984.

[2] ) Vgl. Erik Jayme, Mittermaier und Italien, in: Wilfried  Küper (Hrsg.), Carl Joseph Anton Mittermaier – Symposium 1987 in Heidelberg – Vorträge und Materialien, Heidelberg 1988, S. 7ff.

[3] ) Neudruck (eingeleitet und herausgegeben von Erik Jayme), Heidelberg 1988; italienische Fassung „Delle condizioni d’Italia del Cav. Carlo Dr. Mittermaier – Consigliere intimo e Professore a Heidelberga con un capitolo inedito dell’autore e con note del traduttore – versione dell’Ab. Pietro Mugna, Leipzig, Mailand, Wien 1845.

[4] ) Zum Briefwechsel mit Giuseppe Pisanelli siehe Erik Jayme, Giuseppe Pisanelli fondatore della scienza del diritto processuale civile internazionale, in: Giuseppe Pisanelli – Scienza del processo – cultura delle leggi e avvocatura tra periferia e nazione (Hrsg. Cristina Vano), Neapel 2005, S. 111ff.

[5] ) Zu dem Briefwechsel mit François Laurent siehe Erik Jayme, Karl Mittermaier und das Internationale Privatrecht, in: Liber Memorialis François Laurent 1810–1887, Brüssel, 1989, S. 805ff.

[6] ) Das Familienarchiv gelangte allerdings nicht vollständig in die Universitätsbibliothek Heidelberg. Zu den beklagenswerten Verlusten gehört der umfangreiche Briefwechsel mit Pasquale Stanislao Mancini, von dem sich nur einige wenige Briefe an Mittermaier erhalten haben.

[7] ) Emerico Amari ( 1857) bezeichnete Mittermaier als eine „biblioteca vivente di leggi comparate“: Emerico Amari, Critica e storia di una scienza delle legislazioni comparate (neue vollständige Ausgabe von Giuseppe Bentivegna), 2005, S. 205 N. 18; vgl. Erik Jayme, Rechtsvergleichung und Fortschrittsidee, in: ders., Rechtsvergleichung, 2000, S. 20.

[8] ) Vgl. Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Seerechts, 5. Aufl., Regensburg 1837.

[9] ) Hans Schlosser, Karl Joseph Anton Mittermaier als Germanist, in Küper, oben Note 2, S. 21ff., 27.

[10] ) Carl Friedrich Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Jena 1852., aus der Vorrede zur ersten Auflage, XIV. Zu Gerber vgl. Mario Losano, Studien zu Jhering und Gerber, Teil 2, Ebelsbach 1984, S. 90ff.

[11] ) Losano, vorige Note, S. 47.

[12] ) Einleitung, S. 4.

[13] ) Vgl. Erik Jayme, Johann Kaspar Bluntschli (1808–1881) und das Internationale Privatrecht – Zu einem Brief Bluntschlis an den Fürsten Bibesco, Festschrift Laufs, 2006, S. 135ff.

[14] )Vgl. auch Reinhard Mußgnung, Mittermaier als Politiker, in: Küper, oben Note , S. 51 ff.