Brändle, Fabian, Demokratie und Charisma. Fünf Landsgemeindekonflikte im 18. Jahrhundert. Chronos Verlag, Zürich 2005. 570 S. Besprochen von Peter Blickle.

 

Die Schweiz bietet naturgemäß eine hervorragende Plattform, um Kontinuitäten und Diskontinuitäten von der alteuropäischen politischen Kultur in die nachrevolutionäre Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts zu testen. Für Genf (Anja Victorine Hartmann) und Zürich (Barbara Weinmann) liegen hervorragende Untersuchungen zu dieser Frage für die Städte vor. Brändle nimmt sich die Schweizer Landsgemeinden vor, namentlich Schwyz, Appenzell und Zug stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Diese mündet in die These, daß durch die Krise, welche die Länderorte im 18. Jahrhundert durchliefen, die direkte Schweizer Demokratie der Moderne befördert wurde. Dieses Verdienst kommt einer Handvoll biographisch ausführlich gewürdigter „Charismatiker“ zu (Joseph Anton Stadler, Joseph Anton Schumacher, Laurenz Wetter, Carl Dominik Pfyl und Joseph Anton Sutter), die den Rahmen der Verfassung der Innerschweizer Ländern nutzten, um eingeschlichene und verfestigte Oligarchisierungen zu bekämpfen. „Landsgemeindemokratie“ nennt die Schweizer Historiographie diese Verfassungen, der Pionierarbeit von Heinrich Ryffel von 1903 folgend, schon seit 100 Jahren. „Die Spitze der obrigkeitlichen Arkanpolitik“, so Brändles Fazit der von ihm beschriebenen Unruhen, „war gebrochen, das Gespenst des Absolutismus war endgültig verschwunden, die Landsgemeinde hatte als einzig real existierende Demokratie die Frühe Neuzeit überlebt“ (333).

 

Diese These mit dem Autor zu verifizieren verlangt vom Leser ein wenig Gelassenheit und Geduld. Nicht ohne Lust zur Zensur verarbeitet B. über 1000 Titel. Hinzukommen enorme Mengen von Archivalien, deren Ausbreitung der Untersuchung streckenweise einen mäandernden Charakter gibt. Indessen ist die Arbeit reich an interessanten Details zum Verlauf von Landsgemeinden, den Voraussetzungen und Chancen für der Mobilisierung einer Anhängerschaft, zur Bedeutung von Wirtshäusern für die Organisation von Widerstand oder zur Rolle der Weltpriester und Mönche. Insoweit ist die Untersuchung komplementär zu anderen: Z’Graggen, Ineichen, Landolt. Daß das 18. Jahrhundert in der Schweiz in den ländlichen Konflikten – und nicht anders in den städtischen Unruhen - letztlich die alten in den Landrechten und Stadtrechten seit dem Spätmittelalter niedergelegten Verfassungen reaktivieren und revitalisieren wollte und damit zu den Verfassungen und den demokratischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts anschlußfähig wird, ist eine Erkenntnis, die vor 10 Jahren Andreas Würgler einem aufmerksamen internationalen Publikum vorgestellt hat.

 

Saabrücken                                                                                                               Peter Blickle