Botor, Stefan, Das Berliner Sühneverfahren – Die letzte Phase der Entnazifizierung (= Rechtshistorische Reihe 327). Lang, Frankfurt am Main 2006. 259 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die im Sommersemester 2005 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel angenommene, von Jörn Eckert betreute und durch Organisation notwendiger Kasernenunternkunft seitens eines Feldwebels zusätzlich geförderte Dissertation des Verfassers. Ihr Gegenstand ist interessant. Die Erfassung ist ungeachtet einiger Unsicherheiten grundsätzlich gelungen.

 

Gegliedert ist die Darstellung in drei Teile. Vorausgeht nach einem Verzeichnis der Abkürzungen und einer Zeittafel (1941-1972) eine Einleitung. Im Anhang sind wichtige Gesetze, Verordnungen und Anordnungen beigefügt, so dass der Leser sich selbst ein eigenes Bild machen kann.

 

In der Einleitung schildert der Verfasser kurz die Problemstellung, die sich daraus ergab, dass bereits am Beginn der 1950er Jahre Entnazifizierungs-Abschlussgesetze die Entnazifizierung ehemaliger Nationalsozialisten zu einem Abschluss gebracht hatten. Als sich nämlich erwies, dass keineswegs alle Betroffenen erfasst worden waren, ergab sich einmal mehr die Frage von Schuld und Sühne. Während es die meisten Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland bei diesem Ergebnis beließen, erließ Nordrhein-Westfalen am 24. August 1953 eine Verordnung über die Durchführung der Entnazifizierung gegen in Kategorie I und II einzureihende Personen und beschloss das Abgeordnetenhaus Westberlins am 20. Dezember 1955 die Möglichkeit eines Sühneverfahrens, um bedeutendere Nationalsozialisten weiterhin vom öffentlichen Leben auszuschließen und ihnen zumindest ihr ungerechtfertigt erlangtes Vermögen zu entziehen.

 

Die auf dieser Grundlage tatsächlich durchgeführten, nach dem Verfasser bis in das Jahr 1972 dauernden Berliner Sühneverfahren sind bislang nicht erforscht. Deswegen schließt die Untersuchung eine deutliche Lücke. Erst mit diesen Verfahren ist die Entnazifizierung vollständig abgeschlossen.

 

Der erste Teil der Arbeit ist Vorgeschichte der Entnazifizierung benannt, betrifft aber eigentlich die geschichtlichen Ereignisse von der Atlantik Charta des Jahres 1941 bis zu den Pariser Verträgen des Jahres 1955. Vorgeschichte kann aber nicht gut nach dem Abschluss der Geschichte enden wie überhaupt die Vorgeschichte gut mit dem zweiten Teil hätte verbunden werden können.

 

Im zweiten Teil geht es um die Entnazifizierung. Hier legt der Verfasser außer dem Begriff auch den Ablauf in den einzelnen Besatzungszonen dar. Ausführlich geht er auf die Abschlussgesetzgebung in den einzelnen Ländern ein, was sehr verdienstlich ist, aber eigentlich nur die Vorgeschichte seines Untersuchungsgegenstands bildet.

 

Dem dritten Teil über das Berliner Sühneverfahren stellt er Ausführungen zur Geschichte Berlins und über die Entnazifizierung in Berlin voran. Danach untersucht er das Sühneverfahren im Einzelnen. Dabei legt er die Rechtsgrundlagen dar, behandelt die Spruchkammern, die geltenden Bestimmungen und die Novellierung sowie den Ablauf und den Inhalt der Sühneverfahren (u. a. gegen Hermann Göring, Heinrich Himmler, Joseph Goebbels, Wilhelm Frick, Herbert Treff, Werner Best, Roland Freisler, Karl-Heinz Domann, Franz Schlüter, Otto Thierack, Ernst Grawitz, Leonardo Conti, Hermann Pister, Erich Walter, Willi Grützmann, Ernst Kaltenbrunner, Kurt Daluege, Bechstein, Wolfgang Stichel, Reinhard Höhn, Hans Lehmann und Heinrich Schmidt).

 

Dabei wurden von 1949 bis 1960 durch die entsprechenden Berliner Entnazifizierungsstellen insgesamt 1072 und danach nur noch vereinzelte Sühneverfahren eingeleitet und (in objektiven Verfahren) Geldstrafen in Höhe von 1,5 Millionen DM (davon im Fall Thierack 175000 DM, S. 204 bis zur Höhe von 800000 DM) verhängt (dazu Einzelheiten auf den S. 200f.). Auf dieser Grundlage schließt er an die bisher anerkannten vier Phasen der Entnazifizierung eine fünfte, letztlich nach dem Verfasser erst 1979 endende Phase der Entnazifizierung an. Diese nehme den Entnazifizierungsverfahren in West-Berlin den Vorwurf des gescheiterten Experiments, wenn auch die Unrechtstaten nicht hätten aufgewogen werden können und viele ehemalige Nationalsozialisten sich einer gerechten Strafe entzogen hätten.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler