Bollmus, Reinhard, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, 2. Aufl. Mit einem bibliographischen Essay von Lehnstaedt, Stephan (= Studien zur Zeitgeschichte 1). Oldenbourg, München 2006. 375 S. Besprochen von Gernot Neusser.

 

Alfred Rosenberg, der Theoretiker der nationalsozialistischen Partei („Der Mythus des 20. Jahrhunderts“), erhielt nach der „Machtergreifung“ 1933 keine staatliche Funktion, sondern wurde – mit dem Titel „Reichsleiter“ - „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“, genannt Amt Rosenberg. In ähnlicher Weise wurden andere Weggefährten Adolf Hitlers aus der sog. „Kampfzeit“ in der Partei mit (heute würden wir sagen:) „Querschnittsaufgaben“ beauftragt, die sich teils gegenseitig überschnitten, teils auch später in staatliche Funktionen übergingen. All dies war Teil eines Machtgeflechts von „Partei und Staat“, in dem eine Vielzahl von Personen einen möglichst großen Anteil an dieser Macht für sich und den eigenen Apparat zu erlangen versuchten, freilich stets unterstellt dem Willen des „Führers“ und von diesem abgeleitet. Reinhard Bollmus war mit seiner Heidelberger Dissertation von 1968 (bei Werner Conze) schon frühzeitig daran gegangen, diesen inneren Machtkämpfen im NS- Herrschaftssystem an dem Beispiel des Amtes Rosenberg nachzuspüren und damit nicht nur ein Stück der Parteigeschichte der NSDAP zu erhellen sondern auch die daraus sich ergebenden Folgen für staatliche Funktionen und staatliches Handeln in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg wie auch während seiner Dauer (1941 wurde Rosenberg noch zusätzlich Reichsminister für die besetzten Ostgebiete). Dabei wird gefragt „nach dem Verhalten Hitlers im Einzelfall, nach der Taktik der hohen Funktionäre und nach ihren Versuchen zur Selbstbehauptung innerhalb des Ämter-Chaos“. Es wird deutlich, in welcher Weise der nach außen scheinbar „monolithische Charakter des Herrschaftssystems“ im Innern durch ein divide et impera aufgebrochen worden ist. Rosenberg war tätig auf den Gebieten des öffentlichen Kulturlebens – auch als Hauptverantwortlicher für das Parteiblatt „Völkischer Beobachter“ -, im Kirchenkampf (dazu in der Inhaltsübersicht auf S. 5 ein peinliches Erratum „1937-1645“ statt „1937-1945“), in den sogenannten „Juden- und Freimaurerfragen“ sowie in der Schulung der Partei und ihrer Mitglieder. Bei all dem hatte er im Grunde kaum Bedeutung gewonnen, da er „nicht über das politische Geschick“ verfügte und daher in den innerparteilichen Machtkämpfen durchweg unterlag und vor allem auch nicht das Ohr Hitlers hatte. Mit dem Einsatzstab Reichleiter Rosenberg betätigte er sich dann im Krieg wesentlich nachhaltiger auf dem Gebiet des Kulturraubs, allerdings in Konkurrenz zu Himmler, Göring, Goebbels, Ribbentrop und Hitler selbst, und überschritt damit „die Schwelle zwischen Recht und Unrecht“, ausgehend von seiner „Theorie vom Rasse-Recht“, in der es für den Nationalsozialismus „kein Recht an sich“ gebe. Die Darstellung der „Auseinandersetzungen um die Vorgeschichtsforschung“ (S. 153 bis 235), die von Rosenberg und seinem Amt angezettelt und jahrelang gegen den Widerstand der meisten Forscher, des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und sogar des Reichsführers-SS Heinrich Himmler (im Interesse seiner SS-Wissenschaftsorganisation „Das Ahnenerbe“) betrieben worden ist, zeigt beispielhaft die mit allen Mitteln geführten, schließlich aber doch gescheiterten Machtkämpfe um die Ideologisierung einer Wissenschaft. Mit dem Wort vom „Führungs-Chaos im Führer-Staat“ „werden die Führungsverhältnisse im Staat Hitlers an dem politischen Schicksal Rosenbergs“ deutlich gemacht. Ungeachtet dessen, daß seit dem ersten Erscheinen des Buches 1969 die Forschung weitergegangen ist – wie Stephan Lehnstaedt in seinem „bibliographischen Essay“ nachzeichnet -, hat es seine Bedeutung für die Erkenntnis des Innenlebens des nationalsozialistischen Staates behalten.

 

Bremen                                                                                                          Gerold Neusser