Behrisch, Lars, Städtische Obrigkeit und soziale Kontrolle – Görlitz 1450-1600 (= Frühneuzeit-Forschungen 13). bibliotheca academica, Epfendorf am Neckar 2005. 314 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die im Sommersemester 2002 von der philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität in Berlin angenommene, von Heinz Schilling betreute und von der Volkswagen-Stiftung und der Berliner Nachwuchsförderung ermöglichte Dissertation des Verfassers. Noch eine Arbeit zur sozialen Kontrolle in der frühneuzeitlichen Stadt fragt der Verfasser den Leser in der Einleitung. Er begründet seine kaum überraschende Bejahung mit dem Hinweis, dass mit dem rund 10000 Einwohnern zählenden, dem König von Böhmen untertänigen Görlitz erstmals eine der Autonomiestädte des mittleren, nördlichen und östlichen Reichsgebiets in das Visier der Kriminalitätsgeschichte gerate, was neue Perspektiven und neue Erkenntnisse erwarten lasse.

 

Danach stellt er den Forschungsstand zum Verhältnis Stadt und Kriminalität auf engem Raum dar. Die daraus erwachsende Fragestellung formuliert er als Kontrolle ohne Konsens? Als empirische Grundlage wählt er die Gerichtsbücher der Jahre 1447-1480, 1519-1547 und 1569-1593, obgleich eine vollständige Erfassung vermutlich noch sicherere Ergebnisse hätte erbringen können, und bei der Gliederung entscheidet er sich gegen Zeitabschnitte und für Sachgebiete.

 

Im ersten Teil der Arbeit untersucht er Obrigkeit und Bürgerschaft in Görlitz. Dabei fragt er zunächst nach dem Verhältnis von Stadt und Landesherrschaft. Danach geht er auf Stadtregiment und Bürgerschaft ein und gelangt zu dem Ergebnis, dass im Verhältnis zwischen dem aus den Braubürgern rekrutierten Rat und der Bürgerschaft Konflikt Vorrang vor Konsens gehabt habe, die Auseinandersetzung aber die oligarchische Verfassung nicht erschüttern habe können.

 

Im zweiten Teil unterscheidet er im Rahmen der eigenständigen Gerichtsbarkeit zwischen Gewaltdelinquenz, Eigentumsdelikten und Ordnungs- und Sittendelikten. Bei der Gewaltdelinquenz ermittelt er vor allem eine Fortdauer des milden, aber schematisch-unflexiblen Bußenrechts, bei der Eigentumsdelinquenz eine etwas intensivere Aktivität der Obrigkeit mit stärkerer Kriminalisierung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und bei den Sexualdelikten einen bereits in den 1530er Jahren erkennbaren reformatorischen Impuls. Als Grund dafür sieht er die Notwendigkeit der Demonstration der Bereitschaft des Rates zur Durchsetzung von Frieden, Ordnung und Sittlichkeit in seinem Herrschaftsbereich an.

 

Indirekt bestätige sich, dass auch in Görlitz Pflege und Entwicklung des Strafrechts kein zentrales Anliegen der Obrigkeit gewesen seien. Der um 1530 einsetzende und um 1570 abgeschlossene Normwandel ordne sich in die allgemeine Entwicklung des Strafrechts ein. Für Görlitz sei jedenfalls festzuhalten, dass die Konflikte des städtischen Alltags eine regelmäßige Nutzung der obrigkeitlichen Sozialkontrolle erforderlich gemacht hätten.

 

Insgesamt sei die Wirksamkeit der Strafgerichtsbarkeit geringer und die Kontrolle alltäglicher Konflikte weniger zureichend gewesen. Der daraus folgende gewaltsamere Austrag von Streitigkeiten könne für den Nordosten des Reiches kennzeichnend sein, weshalb die Görlitzer Ergebnisse allgemeinere Bedeutung haben könnten. Diese durch umfangreiche Literaturverwertung und sorgfältige Quellenuntersuchung gewonnenen, auch in Englisch und Französisch zusammengefassten, durch Tabellen, Graphiken und Karten veranschaulichten Erkenntnisse bilden eine wertvolle Grundlage für weitere Forschungen.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler