Anderheiden, Michael, Gemeinwohl in Republik und Union (= Jus Publicum 152). Mohr (Siebeck), Tübingen 2006. XXVIII, 736 S. Besprochen von Walter Pauly.

 

Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wird im deutschen öffentlichen Recht wieder verstärkt über ein materiales Verständnis des in Art. 20 und 28 GG verorteten Republikbegriffs diskutiert, das in verschiedenen Spielarten den Aussagegehalt eines vorgeblich rein formalen Verständnisses als Nichtmonarchie transzendiert. In jüngster Zeit findet sich ein entsprechendes Republikprinzip sogar der Europäischen Union anempfohlen. Im Lager der wohl immer noch herrschenden rein antimonarchischen Konzeption werden solche Vorstöße nicht nur als dogmatisch überflüssig abgetan, sondern zugleich als „ahistorisch“ und als „Mode“ gerügt. Die anzuzeigende Heidelberger Habilitationsschrift verdient daher schon insofern Aufmerksamkeit, als sie den verfassungs- und dogmengeschichtlichen Wurzeln des Republikgedankens nachspürt. Inhaltlich gestaltet sie das grundgesetzliche Republikprinzip zum Schutzinstrument für kollektive Güter im Sinne eines Untermaßverbotes (S. 267ff. und 280ff.) und macht hier einen wesentlichen Unterschied zum europäischen Recht (S. 271 und 677) aus.

 

Die historische Betrachtung setzt zeitlich mit der französischen Revolution ein, in der die Kontrastierung von Republik und Monarchie beginnt, während zuvor, etwa auch noch bei Rousseau, deren Vereinbarkeit, also die Möglichkeit einer republikanischen Monarchie, angenommen wurde. Allerdings weist Verfasser nach, dass auch Protagonisten der Revolution wie Robespierre Frankreich selbst nach der Flucht des Königs noch als Republik und Monarchie betrachteten (S. 235). Die deutsche Kontrastierungslinie zeichnet der Verfasser von der „Mainzer Republik“ über Friedrich Julius Stahl, Ferdinand Lassalle und Georg Jellinek mit beachtlichen Auslassungen bis in die Weimarer Staatsrechtslehre, wo insbesondere Gerhard Anschütz für die Exklusivität von Monarchie und Republik steht (S. 236f. und 244ff.). Daneben lässt sich jedoch ein nicht auf die bloße Negation von Monarchie reduziertes Republikverständnis auffinden, prominent vertreten durch den gerne als „Vater“ der Weimarer Reichsverfassung titulierten Hugo Preuß (S. 239f.). Auch den Weimarer Republikschutzgesetzen, die sich gerade nicht gegen eine Remonarchisierung wandten, will der Verfasser daher einen Hinweis auf einen inhaltlich anspruchsvollen Republikbegriff entnehmen (S. 242ff.). Das argumentum ad absurdum, der rein antimonarchische Republikbegriff müsse das sog. „Dritte Reich“ als Republik begreifen, wird ebenfalls angeführt (S. 252).

 

Schließlich zeigt auch der genetische Befund eine gewisse Offenheit für einen materialen Republikbegriff, zunächst erhoben für den Parlamentarischen Rat und dort exponiert anzutreffen bei Theodor Heuß, der den Begriff „Republik“ im Grundgesetz „im Hinblick auf seine inhaltliche Erfülltheit für unerläßlich“ erachtete (S. 226). Neu und verdienstvoll ist die etwas breiter als gewöhnlich angelegte Auswertung hinsichtlich der Weimarer Nationalversammlung, die gleichfalls die Vielfalt der mit dem Republikbegriff verbundenen Konnotationen belegt (S. 239ff.). In den Plenardebatten stehen Monarchieverneinung und „res populi“-Formel nebeneinander, im Verfassungsausschuss findet sich sogar die Umbenennung von „Deutsches Reich“ in „Deutsche Republik“ diskutiert, um mit der neuen „Firma“ die Absage an den „Obrigkeitsstaat“ zu verdeutlichen. Angeboten hätte sich darüber hinaus, auch die Republikverständnisse in den Debatten der Frankfurter Paulskirche, u. a. zu den Stichworten „Fürstenrepublik“ und „republikanische Tugend“, in den Blick zu nehmen. Das materiale Republikverständnis als „Mode“ abzutun, muss hiernach zumindest unhistorisch erscheinen.

 

Jena                                                                                                               Walter Pauly