Wüst, Wolfgang, Die „gute“ Policey im Reichskreis. Zur frühmodernen Normensetzung in den Kernregionen des Alten Reiches. Bd. 3 Die „gute“ Policey im Bayerischen Reichskreis und in der Oberpfalz. Akademie Verlag, Berlin 2004. 880 S.

 

Nach dem Schwäbischen und dem Fränkischen Reichskreis hat Wolfgang Wüst nun auch den Bayerischen Reichskreis bearbeitet und die „gute“ Policey auch noch in der Oberpfalz erschlossen. Von den insgesamt 25 edierten Quellen stammen drei aus der Reichsstadt Regensburg und der Residenzstadt München sowie zwei aus bayerischen Landstädten und Märkten. Sechs Quellen sind den geistlichen Staaten zuzuordnen und eine den Regensburger Stadtklöstern. 11 Quellen stammen aus den weltlichen Staaten und den Abschluss bilden die Regensburger Reichstagsordnungen der Jahre 1641 und 1663.

 

In seiner historischen Einleitung betont Wolfgang Wüst, dass sowohl die Kaiser, wie auch die legislativen Reichsorgane bereits im 16. Jahrhundert weitgehend auf neue Formen zur Vermittlung allgemeiner Normen und Wertmaßstäbe setzen konnten, wobei sie auf mittelalterliche Dorf- und Stadtordnungen, Weistümer und Gerichtstatuten zurückgriffen. Mit den edierten Quellen eröffnet sich nun auch für Bayern und die Oberpfalz ein Blick, wie die Reichsgesetzgebung auf die Statuten territorialer und städtischer Policey wirkte, mit deren Hilfe die Rechte und Pflichten, öffentliche und kirchliche Ordnung, der soziale Friede sowie die Glückseligkeit, der Wohlstand und die Gesundheit jedes einzelnen Untertan hergestellt und gesichert werden sollte. Wüst hebt nachdrücklich hervor, dass dem Bayerischen Reichskreis eine entschieden größere Bedeutung zukam, als vielfach angenommen wurde. Obwohl dem Herzogtum bzw. seit 1623/28 Kurfürstentum Bayern eine dominierende Rolle zufiel, da es mit Salzburg alternierend das Direktorium wahrnahm und auch die Münzaufsicht und das Kreisbristenamt ausübte, blieb zwischen 1500/1555 und 1805 die Kreisorganisation mit ihren überterritorialen Funktionen und Aufgaben bestehen. Im Gefolge der Initiativen von Kaiser und Reichstag, die in der Reichspoliceyordnung von 1548 einen ersten Höhepunkt erreichten, entwickelten auch die Fürsten, Herzöge, Äbte und städtischen Reichsgremien ihre Vorstellungen und Absichten von den Normen und Werten. Inhaltlich und oft sogar auch formal knüpften die territorialen und städtischen Policeyordnungen an die Reichsgesetze an. So erließen die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig im Jahr 1533 eine Landesordnung, in der bei einer Regelung der Wirtshausschulden ausdrücklich auf die Reichspoliceyordnnung von 1530 Bezug genommen wird. Die thematische Spannweite in den Quellen reicht von Maßnahmen gegen das schuldenfördernde „fressen und sauffen“ in Gasthäusern und insbesondere bei Hochzeiten, Tauffeiern und Kirchweihen, gegen einen die Ständeordnung umgehenden Kleiderluxus, gegen die sich ausbreitende Spielleidenschaft, gegen Ehebruch, Fluchen und Gotteslästern bis hin zu praktischen Maßnahmen zur Seuchen- und Katastrophenprävention. Einen wichtigen Platz nehmen die kirchlichen Wertvorgaben, die Münzpolicey und die vielen Maßnahmen gegen das Bettelunwesen, gegen Gauner, Straßenräuber, Diebe und die gefährliche Bandenkriminalität ein. Eine große Rolle spielten allerorts Reglements zum Wirtshausbesuch für die Zeit vor, während und nach dem Gottesdienst, was bei der Wirtshausdichte in Bayern nicht verwundert. Spätestens in der Landesordnung für das Herzogtum Bayern von 1616 wird erkennbar, dass das Bierbrauen zum Kernbestand der Normensetzung zählte (Quellenteil Nr. 16). An prominenter Stelle der Policeyordnungen standen die Warnungen vor einer „Entheiligung“ der Sonn- und Feiertage durch Wirtshausbesuch oder durch Haus-, Ernte- oder Gewerbearbeiten, wobei zwischen katholischen und protestantischen Territorien kein Unterschied bestand. Auch gegen die textile Hoffart in Stadt und Land mussten viele Vorschriften erlassen werden, mit deren Hilfe die soziale Rangordnung festgeschrieben werden sollte.

 

Nach Wolfgang Wüst bildeten Policey und Konfession eine Einheit. Im Bayerischen Reichskreis wird der Konfessionalisierungsvorgang sowohl in den lutherischen Kirchenordnungen wie vor allem in den katholischen Policeyordnungen erkennbar. 1606 wurde in dem kleinen Pfalz-Neuburg sogar ein lutherischer Musterstaat umschrieben. In den bayerischen Landen erfolgte die Überprüfung von Kirchgang und konfessionskonformem Verhalten in der Gemeinde nicht nur durch die Organe der Diözese, sondern es wurden auch weltliche Beamte eingesetzt.

 

Um die Intention normativer Wertebildung zu erfassen, ist es nach Wolfgang Wüst hilfreich, neben Policey und Konfessionalisierung auch den Begriff Sozialdisziplinierung zu verwenden. Er weist darauf hin, dass die frühmoderne Policey die soziale Disziplinierung auch auf die Bereiche der Wirtschaft, der Ökonomie, des Handwerks und insbesondere des ländlichen Ehaftsgewerbe ausweitete. Hierzu zählten das Personal der Mühlen, Badestuben, Wirtshäuser und Schmiedestätten, aber auch die Bäcker, Metzger, Gerber und Wagner, insgesamt alle, die mit offenem Wasser und Feuer arbeiteten. Die frühmoderne Policey duldete sogar auf lokaler Ebene keine rechtsfreien Räume, zumindest im Bayerischen Reichskreis, im Gegensatz zum Fränkischen und Schwäbischen Reichskreis. In Bayern und in der Oberpfalz war der Bereich der Dörfer der Herrschaft strikt nachgeordnet. In den Gemeinden sollten nicht nur Zucht und Ordnung aufrechterhalten werden, sondern die Gemeinden sollten zum Quell allgemeiner Wohlfahrt im Staate werden, was meist kleinlich geregelt wurde. Ob dies auch stets eingehalten wurde, lässt sich kaum überprüfen. Die Policeyordnungen bedeuteten immer auch einen wichtigen Beitrag zur regionalen Identifikationsstiftung, was sie für den Landeshistoriker besonders interessant macht. Aber die edierten Policeyordnungen sind auch für den Kirchen-, Bildungs-, Wirtschafts- und Rechtshistoriker und vor allem für den Volkskundler eine wahre Fundgrube, für deren Erschließung Wolfgang Wüst zu danken ist.

 

Buckenhof                                                                                                                 Rudolf Endres