Wagner, Stephan, Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780-1818 (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 70). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 555 S., Tab., Abb.

 

Gegenstand dieser im Wintersemester 2002/03 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg approbierten und mit dem Kulturpreis Ostbayern der E.ON Bayern AG ausgezeichneten Dissertation sind die Bemühungen um eine Kodifizierung des österreichischen Verwaltungsrechts, die untrennbar mit dem Namen von Joseph von Sonnenfels verbunden sind.

 

Wann mit den Arbeiten am politischen Kodex begonnen wurde, ist unklar; Sonnenfels selbst berichtete, dass er 1778 für dieses Projekt zum Hofrat bei der Hofkanzlei befördert worden sei (S. 31). Nach dem Antritt seiner Alleinregierung erkundigte sich Joseph II. (1780–1790) nach dem Stand der bisherigen Arbeiten und bekundete großes Interesse. Aber schon 1782 wurde das Projekt vom Kaiser wieder verworfen, da die Gefahr bestand, dass in der Zeit, die für die Erstellung des Kodex veranschlagt wurde, der größte Teil der für die Kodifikation zu verarbeitenden Gesetze inhaltlich überholt seien – bereits hier wird der Hauptgrund, weshalb es bis jetzt zu keiner derartigen Kodifikation gekommen ist, deutlich!

 

Auch Alternativen, wie etwa die Schaffung eines systematischen Registers der geltenden Patente und sonstigen Rechtsnormen, wurden verworfen; erst unter Leopold II. (1790-1792) wurde die Idee erneut aufgegriffen. Am 26. März 1791 konstituierte sich die „politische Kompilationskommission“, in der Sonnenfels das Referat führen sollte. Er schlug eine Gliederung des Kodex in eine Einleitung und vier Hauptteile vor: 1. Militare; 2. Politicum, 3. Commerciale und 4. Camerale (S. 60). Besondere Beachtung verdienen die Bemühungen Sonnenfels’, auch Verfassungsfragen zu kodifizieren; sie gingen mit einer Überlegung zu einer Reaktivierung der Stände in den Provinzen und deren Modifikation hin zu einem neuständischen System einher: So sollten die Landtage künftig aus den Kurien des „geistlichen Standes“, dem Stand der „adelichen Güterbesitzer“, dem „Industrialstand“ und dem „Bauernstand“ bestehen (S. 76).

 

Unter Franz II./I. (1792–1835) wurden die Arbeiten fortgesetzt, standen aber ganz im Zeichen der parallel dazu laufenden Arbeiten an der Kodifikation des Strafrechts (Strafgesetzbuch 1803) und des bürgerlichen Rechts (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch 1811). Ersteres enthielt ja im zweiten Teil Bestimmungen über schwere Polizeiübertretungen; letzteres verwies nur zu oft auf „politische Gesetze“, weshalb es bei beiden Kodifikationen immer zu schwierigen Abgrenzungsfragen kam. Karl Anton von Martini hatte in seinem ABGB-Entwurf ausführlich das Verhältnis von „Gesellschaft, Gesetzgebung und bürgerlichem Recht“ regeln wollen; hier präsentierte Sonnenfels einen „Gegenentwurf“, in dem er vieles, was für den politischen Kodex vorgesehen gewesen wäre, einfließen ließ. Verwirklicht wurde weder das eine noch das andere (S. 100ff).

 

Ab 1801 wurden dann wieder die Arbeiten „zur Kompilation der Generalien und Normalien“ aufgenommen, und bis 1810 wurde auch tatsächlich Material gesammelt. Doch wurde bei weiterem Fortschreiten der Arbeiten klar, dass man das Ausmaß dieser Arbeiten vollkommmen unterschätzt hatte. Trotz mehrerer Überlegungen, wie dennoch Fortschritte erzielt werden könnten, konnte auch in den folgenden Jahren kein Entwurf zustande gebracht werden. Mit dem Tode Sonnenfels’ 1817 kamen die Arbeiten völlig zum Erliegen; am 6. 2. 1818 verfügte Kaiser Franz die Auflösung der Kommission. Vertreter von Hofkanzlei, Hofkammer und Hofkriegsrat kamen am 17. 2. 1818 zu einer Sitzung zusammen, in der sie die Unmöglichkeit der Kodifikation nochmals deutlich feststellten: Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, das in ein „bleibendes System“ gebracht werden könne, sei für die „politische Administrazion ... der beständige Wechsel“ charakteristisch und daher dieses Gebiet einer Kodifikation nicht zugänglich (S. 512f). „Es ist eine bekannte, durch häufige Erfahrungen bewährte Tatsache, daß man eben bey dem Bestreben, in einer Sache das Vollkommenste zu erreichen, meistens in überflüßige weit aussehende Unternehmungen sich verwickelt, die nicht zum Ziele führen“ (S. 514). Dies war das Ende der Bemühungen um die Schaffung eines politischen Kodex.

 

Die Arbeit besticht vor allem durch das reiche Archivmaterial, das der Autor zu Tage gefördert hat. Wichtigste Quellen sind die Akten der Gesetzgebungshofkommission selbst, daneben wurde auch sonstiges Material aus dem Österreichischen Staatsarchiv sowie auch ein „Repertorio“ aus dem Archivio di Stato di Firenze verwertet, wobei besonders hervorgehoben werden muss, dass viele der einschlägigen Quellen, wie insbesondere die Staatsratsprotokolle, vernichtet worden sind und der Inhalt nur teilweise aus anderen Archivalien rekonstruiert werden konnte (S. 20). – Auch das Verzeichnis der gedruckten Quellen und der Sekundärliteratur ist umfassend und enthält die neueste Literatur.

 

Demgegenüber lässt die Art und Weise, wie der Autor das Material verarbeitet hat, etwas zu wünschen übrig. Die Darstellung (Einleitung S. 17–23; Haupttext S. 24–211; Zusammenfassung S. 212–218; sowie Synopse S. 219–233) ist über weite Strecken nicht mehr als eine Nacherzählung der im zweiten Teil transkribierten Quellen (Quellenanhang S. 235–520), sodass bei dieser Art der Darstellung der Sinn des Quellenanhanges fraglich erscheint. Wäre die Darstellung nicht so streng chronologisch aufgebaut worden, sondern mehr nach Sachthemen gegliedert worden, so wären die meritorischen Aspekte der Kodifikationsarbeiten stärker herausgekommen als die mühsamen Prozeduren über Zusammensetzung der Kommissionen, Tagesordnungspunkte etc. Einen lobenswerten Ansatz dazu enthält die vorhin erwähnte Synopse, in der versucht wird, die Pläne Sonnenfels’ zu einer Gliederung des Kodex mit der Gliederung seines Standardlehrbuches „Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz“ zu vergleichen. Im Übrigen aber bleibt es dem an Sachfragen interessierten Leser nicht erspart, sich diese aus Berichten über die jeweiligen Kommissionssitzungen herauszusuchen, wofür ihm dankenswerterweise ein Personen- und ein Sachregister (S. 551–555) zur Hand gegeben werden. Andererseits – und dies ist vielleicht sogar vom Autor beabsichtigt gewesen – vermittelt die Arbeit in ihrem gewählten Aufbau am deutlichsten jenen Umstand, der bei den ganzen Kodifikationsarbeiten immer wieder durchschimmerte: es wurde verhandelt und verhandelt, und am Ende kam nichts heraus!

 

Wien                                                                                                  Thomas Olechowski