Wadle, Elmar, Landfrieden, Strafe, Recht. Zwölf Studien zum Mittelalter (= Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 37). Duncker & Humblot, Berlin 2001. 304 S.

 

Elmar Wadle hat in diesem Band zwölf seiner Studien zum mittelalterlichen Recht, die er im Verlauf der letzten dreißig Jahre verfaßt und verstreut an verschiedenen Orten veröffentlicht hat, zusammengestellt und nochmals publiziert. Die erneute Publikation rechtfertigt sich nicht nur aus der Tatsache, daß sämtliche Arbeiten um drei zentrale Themenbereiche der Rechtgeschichte des Mittelalters, nämlich die Entwicklung der Gottes- und Landfrieden, die Entstehung der Strafe im Mittelalter und die Frage nach dem Geltungsgrund mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen kreisen, sondern vor allem daraus, daß sie alle Fragestellungen und Ergebnisse enthalten, die wesentlich zur Revision des herkömmlichen Bildes von der mittelalterlichen Rechtsentwicklung beigetragen haben.

 

Den Hauptanteil machen Wadles Arbeiten zu den Gottes- und Landfrieden aus, in denen wichtige Korrekturen der bisherigen Ansichten über die mittelalterlichen Landfrieden, die vor allem durch die Arbeiten Kluckhohns, Hubertis, Wohlhaupters und Gernhubers geprägt waren, vorgenommen werden.

 

Der Reigen der Arbeiten wird eröffnet mit dem Forschungsbericht über die Entwicklung der Gottes- und Landfriedensforschung nach 1950, in dem nicht nur die seit diesem Zeitpunkt erschienenen Arbeiten aufgelistet und gewürdigt, sondern vor allem die Schwerpunkte und Aufgaben künftiger Untersuchungen vorgestellt werden. Zu Recht hält Wadle die Frage nach der Rolle der Friedensbewegung und Friedensidee, nach dem Gesetzescharakter der Reichsfrieden, wie Wadle die in der bisherigen Terminologie bezeichneten Reichslandfrieden nennt, nach der Bedeutung des Friedenseides sowie die Frage nach dem Verhältnis von Landfrieden, materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht sowie die nach der richtigen Bezeichnung der Friedenstexte für wichtige Desiderate der gegenwärtigen wie einer künftigen Landfriedensforschung.

 

Als zweites ist die Untersuchung über den Reichslandfrieden von 1103, den sog. ersten Mainzer Reichslandfrieden, abgedruckt, dessen urkundliche Fassung uns nicht überliefert ist, von dem wir aber wissen, daß er von Heinrich IV. nach einem Bericht eines anonymen Autors „mit eigener Hand“, wie es hieß, befestigt wurde. Wadle sieht die Bedeutung dieses Friedens vor allem darin, daß in ihm erstmals die Friedensidee der mittelalterlichen Gottesfriedensbewegung vom Kaiser aufgegriffen und auf das ganze Reich ausgedehnt wurde. Hinzuzufügen wäre noch, daß durch diese Ausdehnung auf das ganze Reich die Gottesfrieden zu säkularisierten Friedensinstrumenten der weltlichen Gewalt mutierten.

 

Einen wichtigen Beitrag zur Korrektur der überlieferten Ansichten über die mittelalterlichen Landfrieden enthält auch die Studie zu den frühen deutschen Landfrieden, mit denen bekanntlich allgemein die Vorstellung vom Anfang der Gesetzgebung im Heiligen Römischen Reich und damit vom Beginn einer normativen Überlieferung im deutschen Recht verbunden wird. Sie müssen, wie Wadle zu Recht hervorhebt, wesentlich differenzierter betrachtet werden, als dies bisher geschehen ist, und dürfen nicht unterschiedslos nach den Maßstäben der modernen Rechts- und Staatslehre beurteilt werden. Als maßgebend für ihre Beurteilung können nur die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte sowie Inhalt und Form der Friedenstexte heranzogen werden. Sie allein vermögen hinreichend Aufschluß über die Wirksamkeit der Frieden zu geben, wie Wadle überzeugend nachweist. Schwierig bleibt freilich auch bei dieser differenzierten Betrachtung die Beantwortung der Frage nach der Geltung der Landfrieden. Auch hier ist, so will es scheinen, zweifelhaft, ob die Verwendung des modernen Begriffs der Rechtsgeltung den mittelalterlichen Verhältnissen wirklich gerecht wird.

 

Von besonderer Bedeutung für die Landfriedensforschung ist Wadles Studie über die Delegimitierung der Fehde durch die mittelalterliche Friedensbewegung. Deren wesentliches Ergebnis ist die These, daß alle in den mittelalterlichen Friedensinstrumenten enthaltenen Regelungen eine Delegitimierung der Fehde intendierten und die Erledigung der Streitfälle einer institutionalisierten Gerichtsbarkeit übertrugen. In der Tat wird sowohl in den Gottesfrieden wie in den Landfrieden der Fehde als dem überlieferten Verfahren der individuellen Durchsetzung von Rechtsansprüchen nach und nach die Legitimität entzogen, so daß deren Rolle als Rechtsdurchsetzungsverfahren immer mehr zurückgedrängt und schließlich vollständig durch das gerichtliche Verfahren ersetzt wurde. Fehde war zwar nie bloße Selbsthilfe, wie man immer noch lesen kann, sondern stets ein kraft Rechtsgewohnheit anerkanntes Verfahren zur individuellen Durchsetzung von Rechtsansprüchen, das jedoch unter dem Einfluß der mittelalterlichen Friedensidee und der Friedensbewegung allmählich seine rechtliche Funktion verlor und von einem institutionalisierten Verfahren vor Gericht abgelöst wurde.

 

Die folgenden Arbeiten befassen sich mit einzelnen Frieden, zunächst mit der Konstanzer Pax von 1105, sodann dem Heerfrieden Friedrich Barbarossas von 1158 und schließlich dem sog. Brandstifterbrief desselben Herrschers aus dem Jahre 1186. Die Konstanzer Pax betrachtet Wadle zu Recht als einen Gottesfrieden, bei dem die Sorge für die Sicherheit der Kirche im Vordergrund stand, auch wenn viele Fragen, namentlich in Bezug auf die politischen Bedeutung der Pax, offen bleiben müssen. Der Heerfriede Friedrich Barbarossas, ein in der Forschung wenig behandelter Friedenstext, ist für Wadle ein weiteres Zeugnis für die Wirkung der mittelalterlichen Friedensidee, die darauf ausgerichtet war, die Fehde zurückzudrängen und Fehdehandlungen als Unrecht zu qualifizieren. Zu Recht wird die Ansicht Hanna Vollraths zurückgewiesen, daß es sich bei den mittelalterlichen Frieden um „lithurgische Inszenierungen“ gehandelt habe, auch wenn man die rechtliche Bedeutung der bei den Friedensaufrichtungen üblichen Rituale nicht unterschätzen darf. Solche Rituale waren Formen, in denen sich Rechtsvorstellungen manifestierten und die konstitutiv für deren Wirksamkeit waren, erschöpften sich aber nicht in diesen. Den sog. „Brandstifterbrief“ möchte Wadle zutreffend lieber als „Nürnberger Friedebrief“ bezeichnet wissen, weil seine Bestimmungen sich nicht auf die Bekämpfung der Brandstiftung beschränkten, sondern sich wie die bis dahin verlautbarten Frieden insgesamt gegen die Fehde und deren Praxis richteten. Als wesentlich sieht Wadle neben dem Einfluß des kanonischen Rechts vor allem die Tatsache, daß in diesem Frieden das Schadentrachten als zulässiges Fehdemittel verboten und zu einem kriminellen Unrecht erklärt wurde, das mit der Acht bedroht war. Es ist richtig: Aus dem „Brand“ als zulässiges Fehdemittel war eine strafbare Handlung, ein „Friedensbruch“, geworden und damit der Fehde ein wesentliches Element ihres Instrumentariums der Rechtsdurchsetzung genommen.

 

Die letzte Abhandlung aus dem Themenbereich der Gottes- und Landfrieden ist dem sog. Ewigen Landfrieden von 1495 gewidmet, der allgemein als Schlußpunkt der Landfriedensbewegung gilt, in Wahrheit jedoch der Friedenssicherung, so sieht es Wadle, ein neues Ziel gab. Dieses Ziel hieß: Friede durch Recht und Gerechtigkeit, d. h. Friede allein durch gerichtliches Verfahren unter Ausschluß jeder Form einer individuellen Rechtsdurchsetzung. Diese Entwicklung wird von Wadle in seinem Aufsatz in prägnanter Weise skizziert, wobei er auch auf die weitere Entwicklung nach 1495 hinweist, in der der Ewige Landfriede auch als Grundlage für die Herstellung des konfessionellen Friedens im Heiligen Römischen Reiches diente.

 

Bei den Arbeiten aus dem strafrechtlichen Themenbereich ist zunächst Wadles Studie über die Strafe als Instrument des Friedens abgedruckt, in der er sich einerseits mit Viktor Achters Thesen über die Geburt der Strafe kritisch auseinandersetzt, zum anderen aber nach der Funktion der Strafe als Instrument des Friedens im Rahmen der mittelalterlichen Friedensbewegung fragt. Wadle kritisiert zu Recht den in der rechtshistorischen Forschung vielfach zu beobachtenden sorglosen Umgang mit Begriffen wie Strafe, Straftat und Strafrecht bei der Kennzeichnung der mittelalterlichen Rechtformen und mahnt zu einer vorsichtigeren und vor allem quellengerechteren Darstellungsweise. Als Instrument des Friedens erscheint die peinliche Strafe für Wadle erst im Hochmittelalter und empfing dort ihre Legitimation aus der Friedensidee und der dem Frieden verpflichteten Gemeinschaft, wobei der Beitrag des römischen und des kanonischen Rechts im einzelnen allerdings noch nicht geklärt sei und noch ermittelt werden müsse.

 

Die zweite Abhandlung befaßt sich mit der umstrittenen Frage nach der Entstehung der öffentlichen Strafe im frühen Mittelalter. Hier gelangt Wadle auf der Grundlage der derzeitigen Forschungsergebnisse zu dem Resultat, daß es um 900 bereits ersten Formen einer öffentlichen Strafe gegeben hat, wie immer man diese im einzelnen auch bezeichnen wolle. Fraglich hingegen erscheint Wadle, ob ein sogenanntes innersegmentäres Strafrecht gegeben bestanden hat, dessen Vorhandensein von einem Teil der Forschung jedenfalls für die merowingische Zeit negiert wird. Eine mögliche Lösung könnte es geben, meint er, wenn man die Struktur der Verbände, in denen diese Form des Strafrechts praktiziert worden sein könnte, untersucht. Insgesamt bleiben für Wadle - und darin ist ihm zuzustimmen - viele Fragen offen, nachdem sich das herkömmliche Bild von der Entstehung der öffentlichen Strafe als nicht tragfähig erwiesen hat. Ob die in der neueren Forschung und auch von Wadle verwendete Formulierung „öffentliche Strafe“ eine zutreffende Umschreibung der frühmittelalterlichen Sanktionsphänomene ist und überhaupt sein kann, muß freilich als fraglich beurteilt werden. Die Formulierung „öffentliche Strafe“ setzt bereits ein bestimmtes Strafverständnis voraus, das für das frühe Mittelalter nicht anzunehmen ist.

 

An der Spitze der Arbeiten aus dem letzten der obengenannten Themenbereiche steht zunächst ein Beitrag über die Entstehung, Funktion und Geltungsgrund normativer Rechtsaufzeichnungen im Mittelalter, in dem die Ergebnisse der Reichenau-Tagung über „Recht und Schrift im Mittelalter“ zusammengefaßt sind und in dem festgehalten wird, daß durch die Rechtsaufzeichnung eine neues Verständnis vom Geltungsgrund des Rechts erzeugt wurde, das neue Ansichten, vor allem über eine in die Zukunft gerichtete Geltungsweise ermöglichte.

 

Die letzte in der Sammlung abgedruckte Abhandlung beschäftigt sich mit der Frage des Verhältnisses von Gewohnheitsrecht und Privileg, die seit jeher ein schwieriges Thema in der Jurisprudenz wie in der rechtshistorischen Forschung war und ist und eine Fülle gelehrter Literatur hervorgebracht hat, ohne daß es zu einer allgemein anerkannten Meinung gekommen wäre. Wadle untersucht das Verhältnis am Beispiel der Königsurkunden des 12. Jahrhunderts und gelangt zu dem Ergebnis, daß auch in den Königsurkunden des 12. Jahrhunderts die gleiche Beobachtung gemacht werden kann wie in denen des 10. und 11. Jahrhunderts, nämlich daß es auch hier eine legitimierende Kraft der „consuetudo“ gibt, die sich in der Fixierung einzelner Rechte und Befugnisse, d. h. in den Privilegien, zeigt. Insoweit sind die Einzelurkunden Zeugnisse der Tradition eines einheitlichen Rechtsdenkens, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht erkennbar sein mag. Wadle führt mit dieser Studie die Untersuchungen weiter, die Hermann Krause für die ottonische und die salische Zeit angestellt hat, wobei er zu Recht feststellt, daß sich in dem von ihm untersuchten Zeitraum mancherlei Veränderungen namentlich unter dem Einfluß des Kirchenrechts abgespielt haben.

 

Wadles Arbeiten zeichnen sich insgesamt durch eine Fülle von Erkenntnissen aus, mit denen wesentliche Teile des überlieferten Bildes der eingangs erwähnten Themenbereiche präzisiert und korrigiert worden sind. Vor allem der vorsichtige Umgang mit dem herkömmlichen begrifflichen Instrumentarium ohne ein Abgeleiten in bloße Beschreibung verdient besondere Hervorhebung. Noch immer neigt die rechtshistorische Forschung dazu, sich des begrifflichen Apparats des geltenden Rechts zu bedienen, um Institutionen der Vergangenheit zu erklären, was notwendig zu Fehlinterpretationen führen muß. Umgekehrt führt der Mangel an juristischer Kenntnis auf Seiten der historischen Forschung vielfach zu Fehlurteilen, die bei Rechtshistorikern oftmals Kopfschütteln erzeugen. Wadle hat in seinen Arbeiten methodisch die Mitte gehalten zwischen juristischem Verständnis einerseits und historischer Kenntnis anderseits und auf diese Weise die rechtshistorische Forschung um wichtige Erkenntnisse bereichert.

 

Salzburg                                                                                                        Arno Buschmann