Stechern, David, Das Recht in den Romanen von Sir Walter Scott (= Münsteraner Studien zur Rechtsvergleichung 101). Lit, Münster 2003. XXXII, 152 S.

 

Sir Walter Scott (1771-1832) gilt als der Begründer des europäischen historischen Romans. Er ist auf diesem Gebiet wohl das gewesen, was man heutzutage einen Erfolgsschriftsteller nennt. Als Advokatensohn, der einem alten schottischen Geschlecht entstammte, hat er nicht nur den Beruf seines Vaters ergriffen und ist dann seit 1799 als Sheriff-deputy der Grafschaft Selkirk und von 1812 an als Clerk beim „Court of Session“ in Edinburgh tätig gewesen. Vielmehr hat er früh schon literarischen Ehrgeiz an den Tag gelegt. Zunächst haben ihn schottische Balladen und Legenden fasziniert und beschäftigt. Doch hat er sich alsbald, nicht zuletzt unter dem Einfluss von Goethes Werk, der Romanform zugewandt. Mit dem Dichter selbst hat er in einem regen Briefwechsel gestanden. 1814 hat Scott seinen ersten historischen Roman in der Reihe der sog. „Waverley-Novels“ veröffentlicht. Die insgesamt 27 Bände sind unter dieser Bezeichnung erschienen, weil als ihr Verfasser bis 1827 lediglich der „Autor von Waverley“ in Erscheinung getreten ist. Scotts Werke sind im Publikum überaus beliebt gewesen. Schon zu seinen Lebzeiten sind sie in viele Sprachen, auch in die deutsche, übersetzt worden. Der Schriftsteller hat sich in späteren Jahren freilich – vor allem aus finanziellen Gründen, wenn auch nicht ganz Balzac vergleichbar – zu einer regen literarischen Produktion genötigt gesehen. Der Umstand, dass er zeitlebens zugleich seinen erlernten Beruf ausgeübt hat, rechtfertigt es, ihn in die beachtliche Phalanx der „Dichterjuristen“ (Wohlhaupter) einzuordnen.

 

In literarhistorischer Hinsicht haben Persönlichkeit und Werk Scotts längst angemessene Beachtung gefunden. Nunmehr hat sich, von Bernhard Großfeld angeregt, David Stechern in seiner Münsteraner Dissertation – wohl erstmals aus spezifisch rechtsgeschichtlicher Sicht – jener Romane angenommen. Freilich hat er schon im Hinblick auf den Umfang des erzählerischen Werkes eine Auswahl treffen müssen; sie betrifft im Einzelnen sieben Romane aus den Jahren 1814 („Waverley“), 1815 („Guy Mannering“), 1816 („The Antiquary“), 1818 („The Heart of Midlothian“, „Rob Roy“) und 1819 („The Bride of Lammermoor“, „Ivanhoe“). Das schließt, soweit ersichtlich, jedenfalls jene Texte ein, die im Hinblick auf das zentrale Erkenntnisinteresses Stecherns besondere Aufmerksamkeit verdienen. Ist es ihm dabei doch um die Frage gegangen, die sich im Falle historischer Romane geradezu aufdrängt: ob und inwieweit die Darstellungen der geschichtlichen Wirklichkeit entsprechen – soweit diese sich überhaupt mehr oder minder zuverlässig rekonstruieren lässt.

 

Damit hat sich der Verfasser eine ebenso anspruchs- wie reizvolle Aufgabe gestellt. Sie hat es – etwa im Hinblick auf „Ivanhoe“ - erfordert, sich mit der allgemeinen staats- und erbrechtlichen Lage im England des 12. Jahrhunderts, mit dem Lehnswesen, den Strafen für Wilderer, also dem Jagdrecht, und dem Gottesurteil durch Zweikampf auseinander zu setzen. An weiteren Romanen Scotts, die im 17. und 18. Jahrhundert, also zu dessen Lebzeiten spielen, hat Stechern den Kindsmordprozess in Schottland sowie das schottische Erb-, Insolvenz- und Armenrecht näher analysiert. Die in verschiedenen Romanen thematisierte Union zwischen England und Schottland und ihr Einfluss auf das Recht haben ihm Anlass dazu gegeben, das Appellationsrecht zum House of Lords sowie das Recht des Hochverrats im Einzelnen zu untersuchen. Die letztere Fragestellung umfasst sowohl die Rechtsgrundlagen als auch die einzelnen Tatbestände des Hochverrats sowie die dafür vorgesehenen Strafen (von der Todesstrafe über die Verbannung bis hin zur Entziehung des Grundbesitzes). Schließlich hat sich Stechern am Beispiel einschlägiger Romane juristischen Ämtern, Funktionen und Befugnissen zugewandt. Im Mittelpunkt dieser Darstellung stehen Zuständigkeit und Aufgaben des Friedensrichters, seiner Hilfspersonen, des Sheriffs und der Anwälte.

 

Stechern kann Scott – in Detaildarstellungen wie in seiner zusammenfassenden Würdigung – bescheinigen, in seinen Romanen nicht nur seine beachtlichen Kenntnisse des zeitgenössischen, namentlich des schottischen Rechts mehr oder minder ausgiebig verwertet, sondern auch bemerkenswertes historisches Wissen an den Tag gelegt zu haben. Zwar sind dem Schriftsteller hin und wieder Fehler und Ungenauigkeiten in der Wiedergabe vor allem zeitlich länger zurückliegender Vorgänge oder älterer Einrichtungen unterlaufen. Auch ist strenge Faktentreue keineswegs immer Sache des Schriftstellers, der sich nicht zuletzt dem Genre des Abenteuer- und Liebesromans verpflichtet gefühlt hat. Doch ist es Scott oft genug gelungen, ein authentisches Bild der von ihm geschilderten Epoche, ihrer Personen und Ereignisse zu entwerfen. Mit diesem Urteil befindet sich Stechern - der eine in der Detailanalyse wie in der Gesamtdarstellung vorzügliche Studie vorgelegt hat – in guter literarhistorischer Gesellschaft. Eine solche Feststellung erscheint unabhängig von Grundfragen gerechtfertigt, die über die Untersuchung hinausweisen: wie viel Fiktionalität ein historischer Roman, der seinem Anspruch genügen will,  erträgt und welcher literarische Rang jenem Autor zukommt.

 

Saarbrücken                                                                                                  Heinz Müller-Dietz